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Liebe Leser,

ich erinnere mich gerne an die Fernsehillustrierte der frühen 70er Jahre, welche die Zinklfamilie abonniert hatte. Solche Postillen (was für ein wundersames Wort) gab es damals nur wenige, wir hatten nicht „Bild und Funk“ und nicht die „Hörzu“, sondern den „Gong“. Heute gibt es diese Blätter ja wie Sandkörner am Meer, und die Titelseiten sind stets reserviert für Michelle Hunziker, Jennifer Aniston, Sylvie Meis und Kate Hudson. Sie sollen den Betrachter erotisch aufwallen.

Aber damals waren diese Damen noch winzige blonde Irrlichter im Universum der Ungeborenen, und es ging beim historischen Gong auf den Titelseiten um das traute Familienheim und um die lieben Bekannten aus dem ersten und dem zweiten Programm. Deshalb wurden charismatische Persönlichkeiten abgebildet, so wie Inge Meysel, Ivan Rebroff, Anneliese Rothenberger, Peter Alexander und Heidi Kabel (apropos Heidi Kabel: Kann sich noch jemand an Henry Vahl erinnern, den gewitzten Alten aus dem Hamburger Ohnsorgtheater?).

Naja, das wallte den kleinen Zinkl alles nicht so sehr auf, aber als dann eines Tages „Karate-Emma“ im kleinen Schwarzweißfoto in der ARD-Programmübersicht (Dienstag, 21.00 Uhr) erschien, war es um ihn geschehen. Mrs. Peel in schwarzem Leder — die erste große Liebe seines Lebens! Manchmal durfte er aufbleiben, um sie zu sehen. Es war die beste Stunde der Woche. Umso tragischer ist es für ihn, Frau Rigg heutzutage als harsche, verfaltete Oleanna Tyrell in „Game of Thrones“ betrachten zu müssen. Der dann am Ende (Achtung, Spoiler!) auch noch der Giftbecher gereicht wird. Ein Schocker ohnegleichen. Nicht der Giftbecher, nein, sondern die Tatsache, dass der Mensch so altern muss. Nie wurde mir bewusster als hier, dass Schönheit vergänglich ist.

Doch hinfort mit dieser gar schrecklichen Vision — zurück zum guten alten „Gong“. Es gab natürlich eine Rätselseite mit gedoppeltem Bild (man finde die 10 Fehler) und eine Schlussseite mit Bilderwitzen, die damals schon unlustiger Schrott war. Man hat sie sich trotzdem reingezogen. Und es gab Alexander Borell!

Der Lebensberater, Kummerkastenonkel und Kopf-hoch-Psychotherapeut, der unzähligen verzweifelten Lesern den Lebensmut zurückgegeben hat, wurde von mir mit größtem Interesse gelesen — eigentlich war es neben Emmas Bild das Interessanteste am ganzen Heft. Die Rubrik hieß „Unter vier Augen“, und hier konnte Zinkl für sein noch junges Leben Tipps speichern, die später gewiss nützlich sein würden. Borell war klasse, sein kleines Schwarzweißfoto (ja, auch er hatte eines) weckte Vertrauen, er sah aus wie ein netter Onkel. Ich hätte ihn gerne als Onkel gehabt, einen gebildeten Mann, nicht so wie meine echten Provinzonkels, die nichts wussten über tiefenpsychologische Betrachtungen, sondern nur was über Beckenbauer.

Ein immer wieder vorkommendes Hilferuf-Thema in Briefen an Alexander Borell war die unüberwindbare Schüchternheit junger Pubertärlinge gegenüber Angebeteten des anderen Geschlechts. Da ging Alexander B. manchmal der Hut hoch. Schüchternheit sei doch nur der Ausdruck von Eitelkeit und Hochmut und man solle bloß nicht glauben, dass einem ein Zacken aus der Krone falle, falls man es riskieren würde, einen Korb zu kassieren bei einem Liebesantrag.

Solche Analysen fand der pubertäre Zinkl hochspannend, war er damals doch selbst ein Ausbund an arroganter Schüchternheit. Gut sich im Spiegel der Selbsterkenntnis zu betrachten und dann festzustellen: Du selbstverliebtes dummes A…, nimm dich nicht so wichtig! Er wurde dann auch in kürzester Zeit zu einem Herzensbrecher par excellence, der sich die Mädels gnadenlos untertan machte (na gut, zumindest wurde das Stottern etwas besser).

Inzwischen weiß ich, dass Herr Borell auch ein ausgezeichneter Fachmann für Amateurfotografen war, er hatte eine lustige Kolumne unter dem Pseudonym „Nörgelmann“. Mit diversen Ratschlägen unterstützte Borell die Hobbyfotografen aufs Beste. Anscheinend war er aber wirklich ein Spezialist, denn er verfasste zahlreiche Beiträge auch für professionelle Fotografenmagazine.

Alexander Borell — das Allroundgenie: Er schrieb außerdem noch jede Menge an Liebesromanen und Krimis („Die blonde Witwe“, „Der Teufel mit den blonden Haaren“, „Liebe hat tausend Augen“, „Seitensprung mit Hindernissen“ usw.). Ich kannte damals nur seinen Kummerkasten im Gong, aber ich sehe ein, dass man davon alleine gewiss nicht leben kann.

Ich werde im Zinklblog in Kürze ebenfalls Lebensberatung anbieten, es gibt ein Buch „Alexander Borell antwortet“, das habe ich bereits in einem Antiquariat günstig erworben. Dieses wird mich sicher dabei unterstützen, wenn es darum geht, empfindsamen Idioten die Schüchternheit auszutreiben. Man möge mir bitte ab sofort Probleme zutragen, ich werde sie seriös behandeln und nützliche Lebenshilfe bieten. Man vertraue mir, ich hatte einen gestrengen Lehrmeister.

PS:
Nun aber mal im Ernst: Borell hat das wirklich nicht schlecht gemacht mit seinen Ratgebereien. Angeblich erhielt er im Laufe der Jahre ca. 300.000 Briefe! Meistens lag er goldrichtig bei den Antworten, das muss hier gesagt werden. Der gute Mann starb vor 20 Jahren mit weisen 85. Solche Allround-Kapazitäten wie ihn gibt es heute nicht mehr. Ach, die gute alte Zeit, wo ist sie hingegangen?

Hier Borell akustisch:

Herzliche Grüße,
Zinkl (Schreiberling), Harant (Akustiker)

Nächste Woche geht der Fight mit dem Schmerz in die finale Runde!
DER SCHMERZ, MEIN FREUND. Teil 2

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