moolit

Liebe Leser,

mir ist bekannt, dass manche Menschen in größten psychischen Schwierigkeiten (nach eigenem Bekunden) letztendlich  zu Gott gefunden haben — der ihnen einen Ausweg aus einem tiefen schwarzen Loch gezeigt hat. Ich werde darüber nicht spotten, denn die Hauptsache ist ja, dass man wieder Licht sieht am Ende des Tunnels. Ob das ein überirdisches Wesen mit allmächtigen Kräften bewirkt — oder ob sich das innerste Ego in einem letzten Kraftakt plötzlich und unerwartet selbst am Schopf packt, um sich aus der Not herauszuziehen, ist zweitrangig.

Keine Angst, nach dieser bleischweren Einleitung geht es nun aber heiter weiter. Zinkl hat nämlich auch Gott gefunden. Als er 13 Jahre alt war, und zwar ganz ohne innere Not. Nämlich in der Inkarnation des britischen Gentlemans Steve Hackett. Wie das vor sich ging, darf ich hier berichten.

In Vorbereitung zur großen Gotteserleuchtung arbeitete der Heilige Geist in Form meines guten Markt Schwabener Klassenkameraden Rudi Seibold mit. Außerdem Jesus Christus in der Inkarnation von Rudis älterem langhaarigen Cousin Peter, der in einer kleinen Dachgeschosswohnung in München nistete. Rudi hatte Kenntnis, dass sein Cousin ein Schallplattenfreak war, den man mal besuchen könnte, um seine Schätze zu begutachten und sich vielleicht davon welche leihweise mitzunehmen. Der freakige Peter war wortkarg aber gutartig und hat dem Rudi ein paar interessante Platten mitgegeben. Er war cool drauf, hätte man sagen müssen, wenn dieses Wort damals schon im deutschen Umlauf gewesen wäre.

Nach ein paar Tagen lieh mir Rudi kameradschaftlicherweise zwei dieser Platten weiter, damit ich sie vielleicht mit meinem Cassetten-Recorder aufnehmen könnte. Es waren Alben von mir völlig unbekannten Bands mit komischen Coverillustrationen. Auf dem einen war das Gemälde von drei jungen langhaarigen Typen, nebeneinander im Profil dargestellt, die an ihren nackten Schultern zusammengewachsen waren! Auf dem anderen Cover sah man das Bild eines komischen Mannes mit grünlicher Haut und im Anzug, der sich vom Rasenmähen ausruhte und deshalb auf einer Gartenbank schlief. Mir war das sehr suspekt, denn bis dato kannte ich nur fotografische Covers, auf denen sich extrovertierte, eitle Sänger in Glitzeranzügen zur Schau stellten.

Die Musik auf diesen Scheiben war entsprechend. Höchst seltsam war sie, wirr, mit merkwürdigem Gesang. Viele längere Stellen hatten gar keine Gesangspartien, und die Lieder schienen nahtlos ineinander überzugehen. Das konnte ich damals überhaupt nicht haben. Mein musikalischer Kleingeist kannte ja neben dem deutschen Schlager nur The Sweet, Slade und T.Rex — dies alles regelmäßig aus der freitäglichen Radiohitparade. Diese fremdartigen Leihplatten von Rudis Cousin ließ ich ein paar mal ablaufen, ich wollte dem Zeug schon noch eine kleine Chance geben, bevor ich sie zurück gab.

Es war der bedeutende Sommer ’73, ich wandelte ein wenig auf unserer sonnendurchfluteteten Terrasse umher, um zu sinnieren. Plötzlich kam mir eine ganz merkwürdige, fremdartige, aber zauberhaft süße Melodie in den Kopf. Wie aus heiterem Himmel, als hätte sie mir ein goldener Sonnenstrahl gebracht. Ich war fasziniert. Dass sich diese Melodie irgendwie auf einer der geliehenen Platten befinden musste, war nachvollziehbar.

Mein Forscherdrang war geweckt, ich war wohl ganz unvermutet auf eine seltene Diamantenader gestoßen. Die Stelle stammte von einem Lied namens „Firth of Fifth“, von der Gartenbankschläferplatte — es war der Instrumentalteil des Stückes mit einem „singenden“ Gitarrensolo. Ich stellte dieses Lied immer wieder an, denn es war das ergreifenste und schönste Stück Musik, dass ich in meinem dreizehnjährigen Leben bis dato gehört hatte. Auch die anderen Lieder auf der Platte waren gleich exotisch-magischen Edelsteinen, die ich mir nun erarbeitete und von da an für immer in einer unsichtbaren Halskette an mir tragen würde.

Ich wusste damals nicht, dass ich mit dem fünften Album „Selling England by the Pound“ von Genesis eines der ewigen, genialen Meisterwerke der noch jungen progressiven Rockmusikszene Englands in Händen hielt — ein Werk, das in der gesamten Musikgeschichte der Menschheit Maßstäbe gesetzt hat. Und diese Sichtweise kommt für mich eindeutig vor der Best-of-Liste des Rolling Stone-Magazins, in welchem man freilich Bob Dylan und — wen wundert es? – die Rolling Stones preist. Wirklich gepriesen seien jedoch für alle Ewigkeit der Rudi und Rudis prophetischer Cousin Peter und sein Namensvetter Peter Gabriel ja sowieso.

Dies war jedenfalls der Beginn meiner künftigen, jahrzehntelangen musikalischen Entdeckungsreise in den Bereichen der intelligenten Rockmusik, der klassischen Musik, des Jazz. Ich habe seitdem Unmengen an guter Musik gehört und mich für vieles euphorisch begeistern können. Aber mit „Firth of Fifth“ hat es begonnen. Dieses Lied hat mich so zu Herzen gerührt, dass mir die Tränen gekommen sind. Das passiert mir sehr, sehr selten – bei sehr wenigen Musikstücken.

Mir ist das damals zum erstem Male so ergangen, und dafür bin ich wirklich dankbar. So muss es sein, wenn Gott zu mir spricht. Nur so und nicht anders (vorausgesetzt, ich bin nicht in Not – in diesem Falle kann er gern auch was sagen).

PS:
Preisfrage: Wie hieß die zweite Schallplatte, die mir Rudi geliehen hatte? Wer es mir als erstes schreibt, der bekommt eine Zinkl-CD geschenkt! Auflösung nächste Woche.

Herr Harant spottet mal wieder:

Nächste Woche heißt das Thema:
HITLER. JESUS. ROLAND.

abstand-linie

zinkl-harant_icon2