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Liebe Leser,

in meinen beiden Blogs Nr. 068 und Nr. 072 bin ich ein wenig gehässig geworden, zu den Themen Fußball und Radio. Nun muss ich ergänzen: Gehässigkeit ist sicher keine schöne Gefühlsregung — doch manchmal ist sie der Anlass für einen konstruktiven und gehaltvollen Diskurs.

Meine Schriftstücke haben beim Thema „Radio“ eine (berechtigte) Gegenstimme hervorgerufen, dafür bin ich durchaus dankbar. So muss ich also gestehen, dass von mir ein solch hervorragendes BR-Programm wie das von Bayern 2 völlig außer acht gelassen wurde. Hier kann der intellektuelle Kultur-Feingeist aufatmen, wenn er das fröhliche Generve auf Bayern 3 oder Antenne Bayern oder Radio Arabella nicht mehr aushalten will.

Zinkl hat ja kein konventionelles Radio in seinem trauten Heim herumstehen, aber über das iPad und die BR-App empfängt er online ganz wunderbar alles, was an Gutem und Schlechtem gesendet wird. Und da hat er eine sensationelle Entdeckung gemacht: BR Heimat! Dort werden nur Töne gebracht, die Zinkl aus seiner Kindheit höchst vertraut sind: bayerische Volksmusik, Blasmusik, Zithermusik, Salonmusik aus dem ersten Drittel des 20 Jahrhunderts und sogar liebliches Liedgut, dargebracht vom Tölzer Knabenchor. Ist das geil! Das ist der Stoff, den die Verjüngungsgurus vor nicht allzu langer Zeit aus dem ältlichen Programm von Bayern 1 herausgeschmissen haben, weil sie der Ansicht waren, das sei nicht mehr zeitgemäß für die „Best Ager“.

„Best Ager“ ist übrigens ein Begriff aus der Werbebranche. Gemeint sind damit die alten Zausel zwischen 45 und 69, die genug Geld im Beutel haben, um sich einen drei Meter breiten OLED-Fernseher kaufen zu können. Denen ist es ja keinesfalls zuzumuten, auf ihrem BR-Radio-Lieblingssender vermuffter Musik lauschen zu müssen, nein, jene erhalten nun statt Zithermusik aus Berchtesgaden: Rod Stewart aus Übersee. Dieser gute Mann im sogenannten Super Best Ager-Alter (70 – 99) kommt übrigens im Sommer endlich wieder mal nach München gesegelt, um erneut sein „I Am Sailing“ herauszukrächzen. Das muss ich mir nicht geben, dann lieber den glöckchenhellen Tölzer Knabenchor.

Ja, Gott sei Dank hat der BR für das Vermuffte ein akustisches Ghetto geschaffen, an dem sich ewige Nostalgiker wie der Zinkl satt hören können, bis ihnen der Schleim aus den Ohren quillt. Claudia, die Liebste, hat schon gesagt, dass sie das nicht aushält. Kein Problem, dann lege ich halt Zinklmusik auf, das entgiftet gleich wieder.

So, dies als Nachtrag zum Thema Radio. Und nun zum Fußball / TV (ächz/würg).

Vor kurzem hat sich mein lieber und hochverehrter Geschäftskollege und Freund K. ins Wochenende verabschiedet: mit einem netten Rund-E-Mail, welches sich an vertraute Geschäftspartner richtete. Wortlaut: „Ein schönes Wochenende, euch allen! Heute 20:30 Olli Kahn mit KMH“.

Zinkl bekam dieses Brieflein auch und musste erst einmal darüber sinnieren, wer Olli Kahn eigentlich ist. Und was bedeutet KMH? Gut dass es Google gibt: KMH = Katrin Müller-Hohenstein! Ich will nun nicht berichten, was diese beiden Leutchen dazu beitragen, um ein schönes Wochenende erst möglich zu machen, das kann jeder selbst googeln. Aber ich habe K. persönlich zurückgemailt — arrogant und intolerant, wie das halt so meine Art ist: „Da hammas schon wieder: Fußball. Als ob es nix anderes gäbe, womit sich die Beschäftigung lohnt.“

Diese meine Bemerkung hat Kollegenfreund K. so richtig angetriggert, und er hat höchst fundiert eine Antwort geschrieben, die nicht unveröffentlicht bleiben darf:

„Nix anderes“ habe ich ja nicht geschrieben… aber auch! Und ist er nicht DER(!) Schmierstoff gepflegter Konversation und des smallen talks am Stehtisch einer Gesellschaft? Als kein höherer Ausweis für diese Qualifikation kann die Zugehörigkeit gelten, die der Sport hat im Allgemeinen und der Fußball im Besonderen zum Allgemeinwissen und Konverations-Kanon des diplomatischen Corps… im Rahmen der Ausbildung zum Attachee! Diese höchste aller 360°-Bildungsprüfungen (Diplomatenschule) kommt nicht ohne Fußballwissen aus — historisches und aktuelles. Es ist wie es ist. Besser also man nähert sich der Materie. Als Sonderling allein mit einer Sinalco am Stehtisch der Gesellschaft will man nicht verdorren. Und immerhin: Vom gold’nen Tomahawk-Steak bis zum kollektiven „you‘ll never walk alone“ der gelben Wand… aus dem Kosmos Sport lässt sich auch eine Menge Übergeordnetes ableiten… womit wir beim Dschungelcamp wären, das mitnichten zu Unrecht bereits 2x für den Grimmepreis nominiert wurde!

Oioioioioi, mit einer Sinalco als Sonderling am Stehtisch der Gesellschaft verdorren, das ist schon echt brutal, das ist gnadenlos. Da muss ich mir gleich einen Krug Jim Beam nachschenken, um das durchzustehen. Und mir alle bisher gesendeten Folgen des Aktuellen Sportstudios nochmal aufmerksam angucken, im Rahmen der Ausbildung zum Attachee.

Der Grimme-Preis wird jährlich vom Grimme-Institut in Marl vergeben. Seit 1964 würdigt er Produktionen und Leistungen, die „die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen und nach Inhalt und Methode Vorbild für die Fernsehpraxis sein können“.

Was K. sagt, das stimmt! Vor allem eine solche hammermäßige Produktion wie „Das Dschungelcamp“ kann die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen optimal nutzen und ist auch inhaltlich ein wahrhaftiges Vorbild für das, was TV leisten kann und tatsächlich leistet.

Menschen, die vor nicht allzulanger Zeit noch den Status „prominent“ besaßen, weil sie in besonderer Weise auffällig geworden sind in den Bereichen Showbusiness und Sport — diese be- und geliebten Menschen sind inzwischen (un)freiwillig gelandet — am Stehtisch der Gesellschaft als Sonderlinge, allerdings mit einer Flasche Katzenpisse. Diese bemitleidenswerten Existenzen, die man mit dem Etikett C degradiert hat, dürfen nun nämlich für einen Bruchteil ihres einstmals üppigem Salärs ein Dasein fristen, in welchem sie in einen stolzen Wettstreit treten: um zu zeigen, dass man Ekelerregendstes auch mit Würde, Gleichmut und Humor ertragen kann. Ein Tun, welches ihnen einst wahrlich fremd war, ist nun ihre Profession geworden: sich beispielsweise splitternackt im verschlossenen Sarg von Tausenden von Kakerlaken umspülen zu lassen.

Freilich könnte Radio diese Show nicht angemessen wiedergeben. Man muss schon deutlich sehen können, wie hübsche junge Frauen in Bikinis riesige Fischaugen, Kamel-Penisse, Straußen-Ani und lebendige Skorpione in sich hineinwürgen, ohne sich übergeben zu müssen. Das kann nur TV. Deshalb völlig zu Recht der Grimme-Preis für diese Produktionen. Wie gesagt: vorbildlich!

Vielleicht sollte man langsam daran denken, ein TV-Format einzuführen, in denen sich C-Promis gegen angemessenes Honorar Zehen oder ein ganzes Bein amputieren lassen, ohne Betäubung. Oder sich ein Auge ausstechen lassen, um es gegen ein großes Haiauge auszutauschen. Ich könnte mir vorstellen, dass es in diesem Falle Grimme-Preise nur so hageln würde.

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