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Liebe Leser,

aus eigener jahrelanger Erfahrung kann Zinkl wahrheitsgemäß berichten: Das stärkste und gleichermaßen extrem süchtig machende Genussmittel für pubertierende Mädchen ist nicht Zucker, sondern ein Produkt der Firma Apple.

Nicht nur meine bald 16-jährige Tochter Linda und all deren Freundinnen, sondern auch die erst 11 Jahre alte Lili sind dem iPhone so stark verfallen, dass sie sich innerhalb weniger Tage in graue leblose Fleischbrocken verwandeln und verranzen würden — sofern man ihnen dieses Instrument entziehen würde. Da Zinkls Sozialgefüge so gut wie nur aus weiblichen Personen besteht, kann er seinen Bericht leider nicht auf Teenager-Jungs ausdehnen. Aber auch bei denen darf angenommen werden, dass sie von dieser unheilbaren Epidemie ergriffen worden sind.

Nun wird man mich oberlehrerhaft darauf hinweisen können, dass diese Erkenntnis ein uralter Hut ist. Pubertiere und Smartphones — das gehört zusammen wie ein Kaninchen und seine Ohren, wie die Erde und der Mond, wie Jesus und die Nächstenliebe. Das ist inzwischen Naturgesetz geworden. Was aber ergänzt werden darf, ist, dass es für die süßen kleinen ins kopulationsfähige Alter gekommenen Girlies auch ein unabdingbares Must (man spreche es englisch aus) ist, ein Exemplar der neuesten iPhone-Generation zu besitzen. Aktuell wäre dies das Apple iPhone XS für schlappe ca. 1.250,- Euro.

Meine Linda hat sich zwar — bescheiden, wie ist ist — nur das „iPhone XR“ für ca. 850,- Euro geleistet, aber vor allem deshalb, weil sie einfach nicht noch mehr Geld aus allen möglichen Bezugsquellen zusammenkratzen konnte. Das war bitter für sie, aber inzwischen hat sie damit leben gelernt.

Während sich die meisten Apple-affinen Erwachsenen sorglos damit begnügen, mit uralten, abgestoßenen, der argen Langsamkeit verfallenen iPhones zu hantieren, bekommen junge Mädels die schreckliche Krätze, wenn sie sich nicht die allerfrischesten Instrumente vor das Gesicht schnüren können. Davon lebt Apple und gar nicht schlecht.

Diese Kinder schwören Ihren Eltern, dass sie in der Schule jahrelang nur noch Spitzennoten mit nach Hause bringen werden, wenn ihnen jene Begehrlichkeit erfüllt wird. Sie verzichten auf ein neues Rad, auf neue Klamotten, auf Urlaub, auf alles. Wenn ihnen das neueste iPhone gekauft wird.

Diese Versprechungen sind freilich reine Lügengebilde, denn kaum können sie sich das neue geile Gerät mit ihren kleinen grellrot lackierten Fingernägeln vor die Stupsnase halten, sind sie vergessen: die Versprechungen. Es ist dann auch gar keine Zeit mehr für Spitzennoten— selbstredend! Dafür beginnt das Gejammer und Gezeter zwölf Monate später von neuem. Nämlich genau dann, wenn Apple das „iPhone XXXHYPER“ auf den Markt schmeißt. Genau ab diesem Zeitpunkt ist das vorhandene Gerät laut Bekunden der kleinen Monster als schrottreif zu bezeichnen.

Nun gut. Aber man muss auch sehen, dass die lieben Pubergirls gar keine Chance haben, ein anderes Verhalten an den Tag zu legen. Bei ihnen in der Schule, in der Clique, im Verein herrscht brutalster mentaler Druck. Wer keine hippen Klamotten trägt und wer vor allem kein modernes Smartphone besitzt, ist ein Mensch niedrigerer Klasse, ein Proll, eine arme Sau. Der gilt nicht viel, der gehört nicht dazu. Es ist also reine Notwehr, wenn ein zeitgemäßes iPhone eingefordert wird. Und deshalb sollten die Eltern ruhig ihr letztes Hemd geben, um diese Notwendigkeit in Erfüllung gehen zu lassen. Eh klar, oder?

Damals, in Zinkls Realschulzeit, hat es völlig gereicht, wenn man ein kleines Schweizer Taschenmesser mit dabei hatte, um Anerkennung und Würdigung zu erfahren. Es gab noch keine Firma names Nike, und Adidas war ganz gewiss keine Nobelmarke. Die Wörter Chat und Emoji waren noch nicht erfunden worden, und selbst Telefonieren stellte manchmal ein Problem dar, wie ich nachfolgend kurz berichten darf:

Ja, meine Jugendzeit wäre schöner gewesen, wenn es bei uns in der Wohnung ein ganz normales analoges Telefon mit Wählscheibe gegeben hätte. Aber das konnte sich meine Mama erst 1978 leisten, da war ich dann schon 18. In den Zeiten davor musste meine süße 14-jährige Freundin Gisela deshalb bei der Tante Susi anrufen, die im ersten Stock des Elternhauses wohnte. Ich wurde immer laut von der Tante gerufen, stolperte die Treppen rauf, um Giselas Stimmchen am Hörer zu haben. Das ging Tante Susi gehörig auf die Nerven, weil es einmal am Tag geschah. Einmal für drei Minuten! Meine Herren, waren das harte Zeiten damals!

Die kleinen Biester, die im aktuellen Jahrzehnt exisitieren, machen am Tag höchstens einmal drei Minuten Pause vom Telefonieren und Chatten. Die restliche Zeit ist der iPhone-Kommunikation vorbehalten. Ich will hier nicht beklagen, dass diese Kommunikation so gehaltvoll ist, wie ein Kubikmeter freier Raum zwischen Neptun und Saturn. Das wäre spießig und altmodisch und total verranzt. Wieso verranzt? Weil das der zeitgemäße Begriff ist, den Linda verwendet, wenn sie Eigenschaften und Denkweisen von Erwachsenen charakterisiert. Ich bin Ranzmann — aus ihrer Sicht. Danke, Linda.

Um nochmal in die Vergangenheit abzuschweifen: Was wäre das 15-jährige Zinklchen damals froh gewesen, wenn es ein iPhone gehabt hätte! So musste es die saulangweiligen Nachmittage nach der Schule damit vertun, komische Comics zu zeichnen oder Kaugummibilder zu sammeln oder für seine Schwestern Bilderrätsel zu erfinden. Viel lieber hätte es mit seinem damaligen Schwarm Karin Stöckl gechattet. Aber das ging ja nicht. Ein Elend war das. Damals. Von wegen früher war alles besser. War es nicht. Aber Lamentieren nützt ja nix. Also zurück ins Jahr 2019.

Was bleibt Ranzmann hier noch zu bemerken? Genau: Seien wir dankbar, dass sich die Puberkids von heute keinesfalls saulangweilen müssen, denn sie haben ja ein iPhone. Und falls das ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, dann füllen die argen Quälgeister ihre Zeit wunderbar damit aus, ihre potentiellen Finanziers aufs Unerbittlichste zu bedrängen und zu manipulieren. Ja, hier zeigt sich schon früh der Mensch in seiner ganzen egomanen Unnachgiebigkeit.

Zinkl hofft, dass nun bald der iPhone-InsideBrain-Chip auf den Markt kommen wird. Diese dringend benötigte Innovation wird den Mädchen unter die rechte Schläfe eingepflanzt. Sie können dann telefonieren und chatten, und sich gleichzeitig die Fingernägel knallrot lackieren. Weil für die Kommunikation mit Gleichaltrigen an anderen Orten kein weiteres Instrument mehr benötigt wird. Es wird alles über den Gehirnchip gesteuert.

Doch das Beste: Dieser neuartige Superchip bietet Eltern gegen Aufpreis die Möglichkeit, phasenweise eine komplette Abschaltung vorzunehmen. Es entstehen dadurch graue leblose und vor allem stumme Fleischbrocken, die verranzen würden, wenn man vergäße, den Chip zur rechten Zeit wieder zu aktivieren. Zinkl könnte es bei Linda glatt mal vergessen.

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