291_wiederfinden

Liebe Leserinnen und Leser,

dieser Sommer bringt mir so manch interessante Begegnung. Kürzlich kommentierte eine Dame einen meiner Blogs zum „faulsten Lehrer Deutschlands“ (siehe Blog Nr. 210), weil sie jenen interessanten Herrn namens Hartmut Löffler vor Jahren in einer Surfschule kennengelernt hatte. Ich verortete die Dame aufgrund lückenhafter Erinnerungen und deswegen falscher Interpretation ihres Pseudonyms fälschlicherweise als eine Schulkameradin aus meiner Fachoberschulzeit (1976) — aber es stellte sich schnell heraus, dass Sie das eben nicht war. Trotzdem sind wir nun über meinen Blog freundschaftlich verbunden.

Vor einigen Tagen betrat ein älterer Herr in meinem Alter in Begleitung einer Dame den Hinterhof, auf den ich durch wucherndes  Bambusgestrüpp zu blicken pflege. Die beiden sahen sich suchend um, also fragte ich, ob ich behilflich sein könne. Der Herr meinte, er wolle zu mir, wir würden uns von früher kennen. Er habe auch bereits kürzlich einen meiner Blogs kommentiert, unter Pseudonym.

Ich stand auf dem Schlauch, der gute Mann war mir völlig unbekannt, obwohl seine Stimme in meinen hintersten Gedächtniswinkeln eine minimale Regung von Bekanntheit verursachte. Schließlich gab er sich zu erkennen als die älter gewordene Version eines 14-jährigen Realschülers, der in Markt Schwaben die Schulbank gedrückt hatte — in derselben Klasse wie ich. Er und seine Gattin waren auf Besuch in der bayerischen Landeshauptstadt und so war er auf die verwegene Idee gekommen, den alt gewordenen Zinkl zu überraschen. Das fand ich umso großartiger, als mir der Junge damals sehr sympathisch gewesen ist. Er hatte mir sogar Schallplatten geliehen! Ja, genau, damals hat man sich unter jungen Musikbegeisterten noch Schallplatten AUSGELIEHEN, um sie mit dem Cassetten-Recorder für sich zu konservieren. War es „Aqualung“ von Jethro Tull oder ein Vinyl von der relativ unbekannten deutschen Band Zomby Woof? Das weiß ich freilich nicht mehr.

Wir haben uns sehr nett unterhalten und mitgeteilt, was aus uns geworden ist. Und ich hoffe, wir bleiben künftig in lockerem Kontakt miteinander. Somit muss ich feststellen, dass meine Blogger-Aktivität und deren Verbreitung im Internet dann doch manchmal was Gutes hat. Der gläserne Zinkl, man findet ihn, wenn man ihn sucht.

Es lässt sich aber leider nicht alles wiederfinden. Der britische Popmusiker Jarvis Cocker (manchen vielleicht bekannt als Sänger der Band PULP) hat eine unterhaltsame Biographie verfasst, in welcher er diverse merkwürdige Gegenstände aus seiner Zeit als Kind und Jugendlicher vorstellt, die er in einem vollgemüllten Dachspeicherraum seines Elternhauses in Sheffield wiederentdeckt hat. Mir hat dieses Buch „Good Pop, Bad Pop“ viel Spaß gemacht und ich wünschte, ich hätte auch einen solchen Raum in Markt Schwaben, in welchem sich noch der ganze Kram befindet, den ich in den 60er Jahren in Händen hielt.

Es gibt zwar das wunderbare Religionsbuch aus der ersten Klasse mit der gruseligen Abbildung des aus dem Himmel verstoßenen Erzengel Luzifers, es gibt auch noch den batteriebetriebenen Metallroboter, den ich mal zu Weihnachten bekam, aber… die unzähligen Comics aus meiner Kindheit (Fix und Foxi, Bessy, Silberpfeil, Kater Felix, ZACK, Perry unser Mann im All und vor allem Superman und Batman) sind alle weg. WEG! Das ist sehr sehr traurig. Ich habe auf die Hefte halt nicht gut aufgepasst und irgendwann hat sie meine Mama wohl in den Müll gegeben. Na gut, diese Hefte von damals kann man auf ebay oder in diversen Comic-Antiquariaten immer noch kaufen, aber inzwischen zu horrenden Preisen.

Was mir jedoch wirklich sehr fehlt und was auch nicht mehr zu bekommen sein dürfte: die kleinen Sammelbilder aus Kaugummipackungen, welche ich damals zuhauf hatte. Bilder aus TV-Serien wie Bonanza und Fuzzy, aus dem allerersten Batman und Robin-Film, Illustrationen aus 50er Jahre Science Fiction. Diese Bildchen waren auf dünnem Papier schlecht reproduziert, doch sie übten auf mich eine ganz besondere Faszination aus. Ich hatte als Sammler immer schon den Drang nach Vollständigkeit, aber soviel Kaugummi konnte man gar nicht kaufen, um eine Komplettierung zu erreichen.

Es gibt kein einziges Sammelbildchen mehr im Zinklarchiv und dieser Verlust ist fast noch schlimmer als derjenige der Comics. Hätte ich als 6-jähriger geahnt, dass ich diese kleinen Kostbarkeiten als 63-jähriger lieben würde, hätte ich sie aufgehoben. Aber als Kind verschwendet man sehr selten Gedanken daran, wie es sein wird, wenn man eines Tages ein Greis ist. Tatsächlich gibt es auf ebay vereinzelt Kaugummibilder zu erwerben, aber DIE ORIGINALE, die ich als Kind in Händen hielt! Das ist so unmöglich, wie ans Ende der Milchstraße zu reisen.

Oder jener kleine Kieselstein! Als ich 1979 mal mit meinem damaligen Kumpel Werner nach einem Kinobesuch in München spätnachts aus reinem Unfug von Schwabing nach Markt Schwaben spaziert bin (immerhin 25 Kilometer), nahm ich zur Erinnerung einen kleinen Stein mit, der am Wegesrand lag. Jenen habe ich zwar ein paar Jahre archiviert, aber auch er ist längst aus meinem Leben verschwunden. So ein Steinchen hält sich ja eigentlich Jahrmillionen, er verfällt nicht wie Comics, die im Müll gelandet sind. Es muss ihn noch irgendwo geben in Bayern, aber WO? WO NUR? Ihn zu finden, ist ebenfalls so unmöglich, wie von Hand eine Atomspaltung vorzunehmen.

Das ist ein Thema, welches mich schwer beschäftigt. Ich beneide Jarvis Cocker um seine lustigen Erinnerungsstücke. Oder um seine Plastiktütensammlung mit merkwürdigen Aufdrucken. Heutzutage gibt es ja kaum mehr Plastiktüten, aus Umweltschutzgründen. Es lohnt sich also nicht, eine aktuelle Sammlung anzulegen. Wie man weiß, halten sich Plastiktüten mindestens genauso lange wie Kieselsteine. Wenn es mal keine Menschen mehr auf der Erde gibt, werden die verbliebenen Kellerasseln auf Plastiktüten von Tengelmann, Hertie und Montanus-Schallplatten spazierengehen und sagen: „Schaut, Freunde, so war das damals.“

————————

PS:
Das Kaugummibild, welches diesen Blog schmückt, habe ich auf ebay entdeckt und soeben für 4 Euro erworben. Ich hatte es damals als Kind. Ist das nicht herzallerliebst?

abstand-linie


Entdecke mehr von ZINKLS BLOG – DER BLOG ZUM PROG DES LEBENS

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.