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Liebe Freundinnen und Freunde fernöstlicher Kultur,

in den frühen 70er Jahren war der Zinklbub süchtig nach Dinosauriern. Er verschlang zu diesem Thema das entsprechende „WAS IST WAS“-Buch und bei Kränen, Baggern und Erntemaschinen, die er herumstehen sah, sagte er zu seinen Freunden immer: „Schaut, ein Saurier!“ Aber er war der einzige, der das so visionierte. Man hielt ihn deswegen für einen Freak.

Das war ein Vierteljahrhundert vor „Jurassic Park“ und zu dieser Zeit mussten für die urzeitlichen Geschöpfe in Filmen noch biegbare Figuren aus Gummi herhalten oder es waren No-name-Darsteller in bizarren Kostümen, die ein Miniaturmodell von Tokio plattmachten. Im legendären Kino von Markt Schwaben (das gibt es schon lange nicht mehr) waren diese fantastischen Wesen quicklebendig — und dem Zinklbuben kam es nie in den Sinn, über die aus heutiger Sicht murksige Inszenierung der Viecher zu lamentieren. Das war damals halt State-of-the-Art.

Der allererste japanische Godzilla von 1954 war mir leider im deutschen Fernsehen nicht begegnet (und ich habe ALLES gesehen, was zum Thema Fantasy und Science Fiction vor allem spätnachts gesendet wurde) — der Markt Schwabener Godzilla und weitere beeindruckende Schreckenskreaturen waren bereits ein fernöstliches Produkt der 60er Jahre. Die deutschen Filmverleiher gaben den wunderbaren Trickwerken aus Japan eigene (völlig bescheuerte) Titel wie beispielsweise „Frankenstein und die Monster aus dem All“. Dabei hatten jene mit dem Ingolstädter Wissenschaftler rein gar nichts zu tun. Als Jugendlicher aber nahm ich das sehr ernst und fragte mich ständig, warum dieser ominöse Frankenstein nie sichtbar vorkam und wie er es geschafft hatte, solche großen Monster zu erschaffen. War dieser Frankenstein ein Gott? Saß er in einer unsichtbaren Raumstation im Weltall? Egal, es minderte nicht meine Begeisterung für diese Art von Filmen. „Frankensteins Monster im Kampf gegen Ghidorah“, „Frankenstein jagt Godzillas Sohn“, „Godzilla — Frankenstein: Zweikampf der Giganten“ etc. Wie gesagt, die deutschen Filmtitel waren kompletter Blödsinn, aber ich habe alles angeschaut, was unser Landei-Kino diesbezüglich hergab.

Das Thema „Godzilla“ ist mit den Möglichkeiten der digitalen Kreation in den 90er Jahren wieder aufgegriffen worden, auch von Hollywood. 1998 verfrachtete der deutsche Regisseur Emmerich den überdimensionalen Zerstörer nach New York und gab ihm ein neues Design. Der Kopf des Drachen sah nun aus wie ein Mix aus Tyrannosaurus rex und von Hans Rudolf Gigers Alien: also der Inbegriff des Fürchterlichen. Fürchterlich war auch, wie das Tier in Manhatten wütete. Der Slogan auf den Kino-Plakaten: „Size matters“. Den guten Frankenstein hatte man endlich nicht mehr bemüht. Die Story dieses Films war dünn (klar: Emmerich!) und es ging im Grunde ja nur um Action und darum, die neuen berauschenden Möglichkeiten von CGI (Computer Generated Imagery) zu zeigen.

Heutzutage gähnt man da, denn fast kein Film wird mehr ohne CGI fabriziert — ja, die real gefilmten Szenen sind inzwischen fast schon eine Seltenheit geworden. Die Herausforderung besteht mittlerweile darin, es so zu machen, dass man nicht gleich daran denken muss, dass der ganze Quatsch computergeneriert worden ist. Und da kommt der brandneue „GODZILLA MINUS ONE“ ins Spiel, den ich das große Vergnügen hatte erleben zu dürfen, noch dazu in einem sehr kleinen Provinzkino in Cham in der verschneiten Oberpfalz. Ganz allerliebst!

Die Japaner haben einen prachtvollen Nostalgiedrachen kreiert, der dort agiert, wo er erstmals im wahrsten Sinne des Wortes aufgetaucht ist: in der Meeresbucht von Tokio und kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs. Es ist ein dramatischer, auf mich fast dokumentarisch wirkender Film geworden, in dem es endlich auch wieder um die Menschen und ihr Schicksal geht und nicht nur um das Monster und dessen Vernichtungswut.

Die Hauptperson ist ein junger Kamikazeflieger, der vor dem Tode verschont geblieben ist und die zornige, ungeheuerliche Kreatur aus nächster Nähe miterleben muss. Ein großes Thema ist in dem Film auch das Trauma der japanischen Bevölkerung durch den verheerenden Weltkrieg und die Atombomben. Die schrecklichen Kriegserfahrungen sind noch nicht überwunden, da taucht der nächste Schrecken in Form eines gigantischen Dinosaurierdrachens auf, der blaue Flammen speit und Schlachtschiffe wie Frisbeescheiben wirft. Die japanische Regierung hat dem nichts entgegenzusetzen, weil alle Waffen im Weltkrieg zerstört worden sind.

Und — erfrischend: Das unbesiegbare Tier sieht wieder aus, wie es sich gehört (der Kopf!), ist richtig böse und nicht mehr der sympathische Held, der sich ja nur gegen die schießwütigen Menschen wehrt. Der Film setzt natürlich CGI ein, aber so, wie ich es gut finde: eben nicht, wie bei den Marvel-Superheldenfilmen, wo alle Action wie schon hundertmal gesehen wirkt und noch dazu hektisch geschnitten ist. Godzilla zertritt Tokio ganz gemächlich wie eine Stop-Motion-Figur und das wirkt auf mich komischerweise sehr intensiv. Back to the roots. Bravissimo!

Geil dazu auch der Soundtrack! Sphärische dezent-bedrohliche Flächen, im Kontrast dazu wuchtige sinfonische (mich ein wenig an Strawinskys „Sacre du printemps“ oder auch an Dukas‘ „L‘apprenti sorcier“ erinnernde) Musik. Großartig: Man hat die Melodie aus dem 1954er Godzilla-Original von Akira Ifukube miteingebaut, die mich immer wieder voll packt. Godzilla und diese Melodie — das gehört zusammen wie Dr. Frankenstein und seine von ihm geschaffene Kreatur! Ba-ba-ba, ba-ba-ba, babababa-bababa. Und jetzt alle!

Genau, da mutiere ich zum Zinklbuben, der damals dem profanen Alltag zumindest für 90 aufregende Minuten am Sonntagnachmittag entfliehen konnte. Fazit: Für Monsterfilmfans mit Geschmack ist „GODZILLA MINUS ONE“ eine ganz große Freude!

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