319_es ist wie es ist

Liebe Leute,

„Es ist wie es ist.“ Diesen bedeutungsschwangeren Satz sagt Robert de Niro in dem Martin Scorcese-Film „The Irishman“, unnachahmlich gesprochen von Christian Brückner (de Niros deutscher Synchronstimme). In dem Mafia-Epos ist Frank Sheeran (de Niro) der Mann fürs Grobe, der sich mit den Jahren in der Verbrecherorganisation hocharbeitet. Weil sich der Gewerkschaftsführer Jimma Hoffa (Al Pacino) nachhaltig weigert, im Sinne der Organisation zu wirken, versucht ihm Sheeran — auf Verständnis hoffend — beizubringen, dass es keinen anderen Ausweg mehr gibt, als ihn zu beseitigen: „Es ist wie es ist.“ Hoffa checkt es nicht, bleibt arglos und wird von Sheeran ermordet.

Seitdem ich diesen Spruch gehört habe, sage ich das auch immer. Wenn ich mich in einer Lage befinde, die sich halt so ergeben hat und in der man nichts mehr groß machen kann. Es ist wie es ist.

Zum Beispiel bei der Versteifung meines linken großen Zehs durch zwei Nägel (siehe Blog Nr. 314). Der Zeh ist nun steif, es ist wie es ist. Damit mir dieses (inzwischen weitgehendst unnütze) Teil aber nicht nochmal Schwierigkeiten macht, habe ich mir bei CERVA heute Sicherheitsschuhe gekauft. CERVA ist ein hervorragend sortierter Laden in der Münchner Implerstraße und hält alles zum Thema Arbeitskleidung bereit. Ich wurde dort ausgesprochen freundlich und kompetent beraten, man ließ mich mehrere Paar „Panzerschuhe“ anprobieren und ich habe mich für ein Modell der renommierten Marke PUMA entschieden. Mit dieser Fußbekleidung kann mir nun ein 1 Kilogramm-Bleigewicht herunterfallen, das macht meinen gepanzerten Zehen garnix aus. Vielleicht geht auch eine 5 Kilogramm-Hantel, aber ich werde den Teufel tun und das austesten.

Meine liebe Tochter Linda, die in Wien studiert, musste ein Referat schreiben zum Thema „Das bucklicht Männlein“. Walter Benjamin, ein bedeutender Kulturkritiker und Philosoph des 20. Jahrhunderts, befasst sich mit dem „bucklicht Männlein“ in seinem Essay über Franz Kafka. Im Großen und Ganzen steht dieses gespenstische Männlein bei Walter Benjamin für das Unheimliche, Unerklärliche, das Schicksalhafte und die Allgegenwärtigkeit sowie Unvermeidbarkeit des Todes.

In dem Volkslied wird eine Gestalt beschrieben, die einem bei jeder Tagesaktivität immer zuvorkommt. Das Männlein scheint überall aufzutauchen und dies, bevor man überhaupt die Gelegenheit hat, es zu bemerken. Bewusst wird einem dabei eine gewisse Unbeholfenheit und Hilflosigkeit, ein Kontrollverlust, denn das Männlein ist einem immer voraus.

Dazu kann ich nur sagen, ich habe das Gefühl, mich verfolgt das bucklicht Männlein seit geraumer Zeit auch. Nicht nur, dass ich vor bald drei Jahren fast von einem Motorrad überfahren worden wäre, mir dabei aber trotzdem einen dreifachen Bruch am linken Fußgelenk geholt hatte. Auch dass ich vor zwei Monaten mit dem Rad saublöd umgefallen bin und mir dadurch die Meniskussehne am linken Knie zerschliss. Nicht zu vergessen das langjährige Arthrose-Thema mit meinem linken großen Zeh und seiner finalen Versteifung. Nicht nur das, du vermaledeites bucklicht Männlein!

Gestern nämlich rollte ich mit meinem e-Bike den schmalen Radweg auf der Görresstraße entlang, da öffnete sich vor mir überraschend die rote Fahrertür eines parkenden Autos. Ich konnte gerade noch haarscharf daran vorbeiflitzen. Andernfalls wäre ich wohl mit einem Salto erneut im Operationssaal gelandet, vielleicht sogar derart angeknackst, dass meine bisherigen Vorfälle vergleichsweise als lachhaft harmlos einzustufen gewesen wären. Du verfluchtes, verdammtes bucklicht Männlein! Dieses Mal bin ich dir gerade noch entkommen.

Seitdem habe ich Angst. Ich lebe ein unsorgloses Leben. Meine Lieblingsbeschäftigung, das Radfahren, wird zu einer waghalsigen Konzentrationsübung, denn das bucklicht Männlein lauert überall, um mich zu schädigen. Aufpassen, das muss man. Aufpassen! Immer aufpassen. Aufpassen, wenn man sich die Fußnägel schneidet.  Aufpassen, damit einem der heiße Kaffee nicht die Zunge verbrennt. Sogar aufpassen, wenn man in der Nase bohrt.

Aufpassen muss man wie in dem Film „Lawinen über Tolzbad“ (Originaltitel: CAREFUL) von dem kanadischen Regisseur Guy Maddin. In dem Ort Tolzbad dürfen die Menschen nur flüstern, denn jede akustische Erschütterung kann sofort eine todesbringende Lawine hervorrufen und alles verschütten. Was schließlich auch passiert.

Es heißt ja, es sind die kleinen Momente im Leben, die einen glücklich machen. Das mag sein, aber jene kleinen Momente, die einem einen verhängnisvollen Unfall bescheren und einen für Monate und oft auch für immer unangenehm beschäftigen, auf die kann ich mittlerweile gut verzichten.

Gell, du bucklicht Männlein! Aber was flüstert mir das Männlein daraufhin ganz leise ins Ohr? „Es ist wie es ist.“

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