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Liebe Leute,

vorausschicken darf ich eine kurze Anekdote aus tiefster Vergangenheit, die mit den eigentlichen Ereignissen in den ersten Julitagen 2024 allerdings nur marginal zu tun hat.

Ich war 1981 ein begeisterter Tischtennisspieler. Wir hatten damals in der Garage eine Platte, darauf spielten mein guter Freund Hans und ich wie die Teufel. Ich war 21 und die Welt stand uns offen. Mein Opa war zu dieser Zeit schon 87, ihm stand die Welt nicht mehr ganz so offen. Opa kam zufällig in die Garage herein und schaute sich das Treiben kurz an. Und sagte dann den legendären Satz: „Varruckte Welt“. Diese Szene werden Hans und ich nie vergessen.

So, wir schreiben das Jahr 2024, alles ist anders, aber die Welt „varruckter“ als je zuvor. Doch ich will jetzt keinesfalls wieder ins Politisieren kommen, so nach dem Motto: Alles wird immer schlimmer. NEIN, ich will über „Varruckts“ berichten, das MIR geschehen ist, bzw. auch meiner Alexandra, die das ja miterlebt hat.

Also, nun beginnt mein Reisebericht „Wien-Kurzurlaub“! Start am Samstag, den 29. Juni, im frühesten Münchner Morgengrauen um Viertel nach vier. Ich hatte meinen treuen Benz aus der Tiefgarage geholt und ihn vor die Toreinfahrt meines Zuhauses geparkt, um ihn in aller Ruhe zu beladen. Ich stehe da also mit Warnblinkanlage, da will ausgerechnet um diese unheilige Zeit ein Nachbar mit seinem breiten Kombi rausfahren. Nervig. Er blafft mich an, er habe einen Termin, ich solle sofort wegfahren. Ich werfe schnell die Koffer auf den Rücksitz und lange in die Hosentasche. Der Autoschlüssel ist nicht mehr drin! Soeben hatte ich ihn noch. Wo ist das Ding geblieben? Der Nachbar schimpft hinter seinem Lenkrad, ich eile zurück in die Wohnung, krame schnell den Ersatzschlüssel heraus, humple zurück zum Benz und setze ihn zurück. Der Nachbar fährt raus und weg.

Ich hasse ihn, weil er schuld ist, dass ich in der Hektik meinen Autoschlüssel verloren habe. Ich krieche in der Dunkelheit auf dem Asphalt herum und suche ihn. So ein Schlüssel ist 250 Euro teuer, wenn man ihn bei Mercedes nachmachen lässt. Es ist ja riskant, nur EINEN Autoschlüssel zu haben. Ich finde ihn nicht, nirgends. Er ist auch nicht ins Auto gefallen, er hat sich in Luft aufgelöst. Ich suche 20 Minuten vergebens nach dem Schlüssel, überall, bin schließlich schweißgebadet und fahre dann fluchend in die Landsberger Straße, um Alexandra mit ihrem Gepäck abzuholen.

So beginnt unsere Fahrt nach Wien. Zwei Stunden am Steuer grübele ich darüber nach, wo dieser vermaledeite Mercedesschlüssel nun wohl liegen mag. Vielleicht ist er in einen Gulli gerutscht. Oder es hat ihn ein Marder verschleppt. Wahrscheinlich hat ihn das „bucklicht Männlein“ weggestohlen (siehe auch Blog Nr. 319).

Irgendwann entschließe ich mich, nicht mehr über den Verlust nachzudenken. In Wien haben Alexandra und ich drei wunderbare Tage, über die ich durchaus berichten könnte, aber: Darum geht es hier nicht. Hier geht es um Unbill! Genau!

Drei Tage später wollen wir wieder heimfahren, nach München. Es ist 10 Uhr am Dienstagmorgen. Der Benz steht in der öffentlichen Parkgarage vom Hanusch Krankenhaus im 14. Wiener Gemeindebezirk. Als ich den Wagen starten will, grunzt es leise und das Display flackert kurz, das ist alles. Tot. Ich probiere es fünf Mal. Fünf Mal tot. Ich denke mir: Oh nein, bitte das jetzt nicht!

Alexandra geht zum Parkgaragenwächter, der ist glücklicherweise da und gutartig. Er kommt zum Benz und bringt ein kompaktes Starter-Instrument mit. Der Benz springt jetzt an, aber der kluge Mann sagt, die Batterie sei fast leer und wir sollten einige Kilometer fahren, damit sie sich wieder auflädt. Schon klar! Wir fahren erleichtert los, 153 Kilometer, Richtung München.

Es ist Mittagszeit, wir besuchen Enns — angeblich die älteste Stadt Österreichs —, parken den Wagen direkt vor dem mächtigen Ennser Turm und essen beim Brandner super österreichische Schnitzel. Strahlend blauer Wolkenhimmel. Während Alexandra noch ein wenig herumspaziert, gehe ich schon zum Benz. Er lässt sich nicht öffnen. Fünf Mal nicht. Auch der metallene analoge Steckschlüssel, der im Funkschlüssel integriert ist, kann das Schloss der Fahrertüre nicht öffnen. Toll. Großartig. Vielleicht ist die Batterie im Schlüssel leer. Wir spazieren zum Elektroladen Hartlauer und ich kaufe neue Knopfzellen-Batterien. Aber vergebliche Liebesmüh, das Auto bleibt trotzig verschlossen.

Ich krame meine goldene ADAC-Karte heraus (bin Mitglied seit 1985) und beginne zu telefonieren. Ich erfahre, dass sich der ADAC mit dem Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touring Club (kurz ÖAMTC) in Verbindung setzen wird. Dieser werde in zwei Stunden jemand schicken, um zu helfen.

Inzwischen sind dunkle Regenwolken aufgezogen und es beginnt zu nieseln. Okay, das passt. Das Handy klingelt, der ÖAMTC ist in sieben Minuten da. Tatsächlich: Es erscheint ein kompaktes eidottergelbes Abschleppfahrzeug mit einem ebenso kompakten freundlichen Spezialisten. Ich erkläre ihm, dass das Auto nicht mehr aufgeht. Das sei kein Problem, sagt der Meister. Er stemmt die Fahrertüre oben ein klein wenig auf, so dass er einen langen Draht hineinschieben kann. Dieser hakt sich innen am Türgriff ein — oh Wunder, Sesam öffnet sich! So machen das also Autodiebe. Er lacht und sagt, ich solle den Motor starten. Ich folge — jedoch: Keinen Mucks tut der Wagen. Nur das Display flackert ein wenig. Der Meister sagt, das liege wohl an der Zündung, nicht an der Batterie. In diesem Falle könne er nix machen.

Wir stehen ratlos da und warten auf eine Eingebung. Der freundliche Meister sagt, er kenne nicht weit von hier, in Ansfelden, eine Werkstatt. Der Besitzer sei ein Elektronikspezialist, sein Betrieb arbeite viel für den ADAC / ÖAMTC. Er könne uns dorthin schleppen. Amsfelden sei nur ein paar Kilometer weg. Während Alexandra und ich in der Fahrerkabine des Schleppers sitzen, erzählt uns der gutgelaunte Tscheche eine Horrorstory, was ihm einmal mit seinem Toyota in Italien passiert ist. Ich bin zutiefst dankbar, dass wir diese Panne in Austria haben und nicht in einem Service-Entwicklungsland.

Schließlich landen wir in der fabelhaften Großwerkstatt von Elektronikspezialist Nuri Bugari. Bugari spricht Wiener Dialekt, schließt eine Batterie-Starterhilfe an, welche nichts bringt und weiß dann sofort, was los ist. Es sei ein typischer Vorfall in diesem A-Klasse-Modell, die Elektronik des Zündschlosses sei hinüber, das sei ihm bekannt. Alexandra und ich bereiten uns geistig darauf vor, dass wir uns trennen müssen. Sie wird mit dem Zug von Linz aus nach München heimfahren, weil sie morgen im Büro sein muss, ich werde hier vier Tage übernachten, bis der Benz repariert sein wird. Ja mei!

Bugari macht uns einen Vorschlag: Er habe vor längerer Zeit für solche Fälle ein Spezialinstrument erfunden, welches er in die defekte Zündschlosselektronik einbauen könne. Dann würden wir mit dem Wagen in gut zwei Stunden heimfahren können. Kostet bei ihm nur 850 Euro netto. Bei einer Mercedes-Fachwerkstatt würden wir mindestens das Doppelte bezahlen und außerdem auf unbestimmte Zeit auf Ersatzteile warten müssen. Schon klar, dass ich dieses Angebot mit Handkuss annehme. Bugari meint, wir könnten im Aufenthaltsraum hinter der Werkstatt gerne warten, es gäbe Getränke, alles da. Alexandra zieht es vor, zum nahe gelegenen Drogeriemarkt zu spazieren — ich bevorzuge den Verbleib in der Werkstatt, um das dortige Tun zu studieren. Ich liebe eine solche Atmosphäre, besonders wohl fühle ich mich tatsächlich im unaufgeräumten, versifften Hinterzimmer. Hier war garantiert in diesem Jahr noch niemand putzen, ganz allerliebst, dieses Ambiente. Hier darf der Automechaniker noch Automechaniker sein.

Am späten Nachmittag ist der Benz repariert. Er springt an, alles bestens. Holy Bugari sei Dank. Ich bezahle, wir fahren die 233 Kilometer direkt nach München, ohne den Motor noch einmal auszuschalten. Gott bewahre! Mir schwant nämlich, dass er danach nicht wieder anspringen könnte. Das werde ich nicht mehr riskieren. Benzin ist noch genug im Tank.

Nachdem ich den Benz am frühen Abend in meine Münchner Tiefgarage gefahren habe, schalte ich die Zündung aus und schließe den Wagen ab. Letzteres hätte ich besser nicht getan. Denn als ich nochmal testweise probiere, ob sich der Wagen öffnen lässt, funzt der Schlüssel wieder nicht. Das hatten wir schon mal, mittags in Enns am Turm. Ich gehe heim und denke mir: Wenigstens ist die Karre nun in der Heimat geparkt und stört niemanden. Soll sie hier verrosten.

Am nächsten Vormittag telefoniere ich mit Bugari in Ansfelden. Er meint, ist ja klar, er habe die Elektronik am Zündschloss repariert, aber die Batterie sei hinüber. Ich kann mich zwar nicht erinnern, dass er mir das gestern gesagt hätte, aber: Es ist wie es ist. Also telefoniere ich erneut mit dem ADAC. Der Servicemann sollte bitte (wieder) eine A-Klasse-Tür aufstemmen können und soll außerdem eine neue Batterie mitbringen. Ich warte den ganzen Nachmittag, Niemand meldet sich. Ich rufe an und frage, wann denn mit dem Pannenservice zu rechnen sei. Ach, sie hätten meine neue Pannenmeldung mit der gestrigen in Österreich verwechselt. Aber in zwei Stunden, so gegen halb neun, käme nun jemand.

Ich treffe den Münchner ADAC-Spezialisten — einen jungen fröhlichen Typ mit Vollbart — am Eingang zur Tiefgarage am Josephsplatz. Er fährt mit seinem ebenfalls eidottergelben Wagen tief hinunter in das schneckenhausartige Gebäude, wo der tote Benz steht. Ich folge ihm langsam mit meinem Rad. Zu langsam. Die Schranke am Eingangstor senkt sich bereits und schlägt mir auf die Nase. Die Brille wird verschont. Das Nasenbein scheint nicht gebrochen, aber es blutet aus der Nase. Egal. Ich folge dem ADAC nach unten.

Der ADACler interessiert sich sehr für den Fall. Er erkundigt sich, was in Österreich passiert ist, ich erzähle ihm von dem Bugari-Aufenthalt. Er erklärt mir, da komme ihm so manches spanisch vor. Er wolle mir ja keine Batterie verkaufen, wenn der Benz danach trotzdem wieder stehen bliebe. Finde ich grundsätzlich gut. Aber die Batterie ist tatsächlich hinüber, das ist ihm nach einigen Tests ganz klar. Er baut mir eine neue Batterie ein. Der Wagen startet. Unglaublich! Ich fahre das Schneckenhaus hoch und hinaus, berappe 150 Euro für die Batterie und bedanke mich bei dem netten Kerl. Er erzählt mir noch, meine A-Klasse sei ein sehr spezieller 2009er Prototyp und habe so einige Macken. Ich antworte, bisher war der Benz immer zuverlässig gewesen, auf der Insel Texel, in Oslo und in Florenz. Er meint, da hätte ich aber Glück gehabt bisher. Das höre ich nicht gerne.

Ich fahre noch etwas in der Stadt herum, am liebsten würde ich den Motor für immer laufen lassen. Ich traue dem Frieden nämlich nicht. Auf jeden Fall werde ich den Motor erst wieder ausschalten, wenn ich danach zurück auf meinem Tiefgaragenplatz stehe. Bei der Einfahrt sehe ich mein wertvolles Texel-Käppi flach gequetscht auf dem Asphalt im Dreck liegen. Es muss mir heruntergefallen sein, als mir die Garagenschranke vorhin auf die Nase geschlagen hat. Ich halte den Benz an — ohne den Motor auszuschalten! — und hole das überrollte, nasse Texel-Käppi ins Auto. Es weint. Aber es ist noch tragbar. Was einen nicht umbringt, macht einen stärker. 

Seitdem ich am Samstagmorgen meinen Autoschlüssel verloren habe, ist Kfz-mäßig so einiges schiefgegangen. Jaja, es ist bekannt: Ein Unheil kommt selten allein. Aber bei mir immer noch unter dem Motto: Glück im Unglück! Ich bin gespannt, ob morgen der Benz anspringt. Grrrrr.

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