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Liebe Leserinnen und Leser,

seitdem ich mir im klaren bin über die Existenz des „Bucklicht Männleins“ (siehe Blog Nr. 319), diesen völlig unberechenbaren Unglücksbringer, bin ich ein Mann der Vorsicht geworden. Allerdings: So vorsichtig kann man gar nicht sein, um den schändlichen Taten dieses hinterhältigen Wesens entgehen zu können.

Viele haben sich bereits gefragt, wie es aussieht, dieses sagenhafte, bösartige Männlein. Ich habe das nun während meines Sommerurlaubs in Frankreich und Belgien herausgefunden! Doch um es etwas spannender zu machen, darf ich erst ein wenig berichten — über besagte Urlaubsreise und was sich da zugetragen hat.

Der Herr Zinkl und seine geliebte Alexandra haben sich mit dem Mercedes-Benz (ja, genau: Jenes Zinklauto war bereits Thema in Blog Nr. 320) und ihren grandiosen E-Bikes Ende August diesen Jahres nach Nancy begeben. Das ist eine prachtvolle französische Stadt in der Region Grand Est, rund 160 Kilometer westlich von Straßburg. Begeistert haben Alexandra und mich dort die wunderbare Architektur des Spätbarock, vor allem der Place Stanislas aus dem 18. Jahrhundert. Dieser riesige Platz im Herzen der Stadt (für Alexandra und mich ist er der schönste Platz Europas) wird von schmucken Palästen und vergoldeten, schmiedeeisernen Toren und Rokoko-Brunnen eingerahmt — in dessen Mitte wacht der imposante Stanislas als gusseiserne Statue über sein Reich.

Wer bitte ist Stanislas? Das fragen sich Leute, die bisher nur von Napoleon Bonaparte gehört haben. Nun, Stanislas Leszczyński war ein polnischer König mit einem sehr bewegten Leben und Wirken. Als letzter Herzog von Lothringen ging er in die Historie von Nancy ein, er hat viel für die Stadt getan und ist deshalb dort heute noch allgegenwärtig. Es gibt beispielsweise die Stanway- und Stanbus-Linien (Stanway ist die Straßenbahn von Nancy). Es gibt das Restaurant Stan Kebab, es gibt von Stanislas eine riesige Wandmalerei an einer Hausfassade. Ja, jeder noch so mickrige Laden in der Stadt verwendet für sich den (meist abgekürzten) Vornamen dieses herrlichen Herrschers, der in Nancy sicher nicht schlecht gelebt hat — seine Leibesfülle lässt darauf schließen.

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Alexandra und ich waren drei Tage in Nancy und wir haben es uns gut gehen lassen. Deshalb badeten wir auch im spektakulären Nancy Thermal — Spa Thermal et Institut de Soins. Das Gebäude sieht aus wie ein gigantischer römischer Tempel und wir fuhren mit unseren E-Bikes vor, um uns in der Badeanstalt von den heißen Quellen umsprudeln zu lassen. Die Räder parkten wir in einer speziell für Fahrräder vorgesehenen Garage, neben dem Haupteingang des Gebäudes.

Ich zog meine mitgebrachte Badeshort an, die mit den Palmen und bunten Kolibris drauf. Ich war schon umgekleidet, da trat ein gestrenger Wächter des Badeparadieses auf mich zu und informierte mich darüber, dass Badeshorts nicht erlaubt seien. Zuerst dachte ich schon, ich solle völlig nackert in die heißen Pools hüpfen, aber nein! Ich musste mir im Shop eine enganliegende schwarze Badehose für 5 Euro kaufen, um den Ansprüchen französischer Badekultur zu genügen. Das war vielleicht ein Geschiss, bis ich wieder hinter die Absperrung in den Badebereich kam. Spa-Erholung beginnt anders, das kann ich euch sagen.

Aber schön wars drinnen, vor allem im badewannenwarmen Außenpool, umrahmt von hohen Säulen, direkt aus der Antike importiert. Zwei Stunden plantschten die beiden Münchner, dann verließen sie das Gebäude, um mit ihren E-Bikes in die Innenstadt zurückzuradeln. Die französische Spätnachmittagssonne vergoldete unsere Teints. Mein Teint allerdings verfärbte sich urplötzlich ins Bleiche, als mir gewahr wurde, dass sich in der Fahrradgarage ein Rad zu wenig befand. Nämlich das meinige. Meines hatte sich in Luft aufgelöst. Ich war komplett geschockt. MEIN RAD, mein bester Kamerad seit über sechs Jahren, mit dem ich bereits fast 25.000 Kilometer in vielen Ländern Europas zurückgelegt hatte! Dieses MEIN RAD war gestohlen worden. Ich konnte es nicht fassen. Es war, als wäre mir ein Körperteil vom Leib geschnitten worden. Hier das allerletzte Bild von MEIN RAD (das vordere). Alexandra hat es fotografiert, als hätte sie den Raub geahnt.

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Es ist ja unmoralisch, dem unverschämten Dieb die Pest an den Hals zu wünschen, aber ich tat es trotzdem. Alexandra befragte mich, ob ich den Urlaub abbrechen wolle, denn sie weiß ja: E-Biken auf der Reise ist meine große Freude. Aber das kam natürlich für mich nicht in Frage. Nein, wir besuchten stattdessen Decathlon.

Das ist ein Unternehmen, nicht ganz so unbekannt wie der gute Stanislas. Es handelt sich schließlich um einen der größten Sportartikelhersteller der Welt, mit Sitz in Frankreich, gegründet von einem gewissen Michel Leclercq. Meine Liebste und ich fuhren mit dem Stan-Bus am nächsten Morgen ins Gewerbegebiet von Nancy und ich suchte mir ein preiswertes französisches Bike aus. Es war dunkelblau und trug den Akku unter dem Gepäckträger (so wie mein früheres Rad, schnief). Die guten Leute von Decathlon richteten mir das Rad sofort her, so dass ich es nach einer Stunde mitnehmen konnte. Schon merkwürdig, auf einem völlig fremden Pferd zu reiten, aber man gewöhnt sich ja an vieles. Alexandra fuhr mit dem Bus zurück in die Innenstadt, ich mit dem neuen Gefährt. Gaaanz vorsichtig, man fällt ja so leicht runter von einem neuen Radl.

Unsere Urlaubsreise konnte also beherzt weitergehen, in den Süden, nach Dijon, der Stadt der würzigen Senfspezialitäten. Ebenfalls ein wundervoller Ort, um französisches Flair zu genießen. Erwähnte ich bereits, dass der normale Franzose des Englischen nicht mächtig ist? Für mich, der ich damals in der Realschule auf den (freiwilligen) Französischunterricht aus reiner Faulheit verzichtet hatte, war das nicht immer so einfach. Beispielsweise, als der Vermieter unseres Dijoner Appartements am Telefon nur französisch sprach. Da hilft Gestikulieren ziemlich wenig. Alexandra aber half, wie sie das in bleischweren Situationen halt immer tut, die Beste aller Besten.

Nach ein paar Tagen Dijon (inkl. einer herrlichen Radltour in der wilden Sommerhitze durch die Burgunder Weinberge) kam ich ins Grübeln. Sollten wir nun weiter in den Süden Frankreichs reisen, wo es bekanntermaßen noch viel mehr Diebe gibt? Wo man mir vielleicht auch das neue französische Bike unter dem Hintern wegstehlen würde? Mir war nämlich klar geworden: Das Bucklicht Männlein ist immer dabei! Es nimmt jede Gelegenheit wahr, um mich zu schädigen. Es wartet nur darauf. Daher beschlossen Alexandra und ich, uns lieber in nördliche Gefilde zu begeben, nach Belgien — auch weil sich meine Begleiterin bei 31 Grad im Schatten nicht am wohlsten fühlt.

Über Troyes und Reims gelangten wir also nach Dinant, das ist ein pittoreskes Städtchen, nicht weit hinter der französischen Grenze, eben in Belgien. In Dinant hat Adolphe Sax das Saxophon erfunden, überall in der Stadt stehen Saxophon-Denkmäler herum, ein Restaurant heißt „Coté Sax“. Das ist genauso ein Zirkus wie mit dem Stanilas in Nancy.

In Dinant fing es leider schon an zu herbsteln, Schluss mit 31 Grad im Schatten, was der Zinkl ganz persönlich bedauert hat. Was mir über das mäßig gute Wetter hinweggeholfen hat, war allerdings das belgische Bier. Es hält sich nicht auf mit dem lächerlichen bayerischen Reinheitsgebot oder mit einem Alkoholgehalt von unter 6 Prozent. Das „Affligem“ und auch „Leffe“ ist ein wunderbar würziges Gebräu, das einen bereits nach einem halben Liter Biergenuss wanken lässt. Gut so! Ich habe in Belgien viel Bier getrunken, nach dem Radeln freilich, nicht davor!

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Der Höhepunkt unserer Etappenreise war schließlich das weltgewandte Antwerpen, die große Hafenstadt. Dorthin, vorbei am Verkehrsknotenpunkt Brüssel, begleitete uns ein irrer Autobahnverkehr und zeitraubende Staus machten uns grummeln. Der Nieselregen aus der grauen Himmelssuppe passte gut dazu. In Antwerpen wohnten wir dafür im schönen Hotel „Prize by Radisson“, sehr stylish und farblich erfrischend gestaltet. Hervorzuheben dort auch die luxuriöse, außergewöhnlich gut beheizte Tiefgarage, in welcher der Benz UND die Räder absolut safe waren. Da traut sich kein Übeltäter hinein. Gell, Bucklicht Männlein? Ausgetrickst.

Antwerpen hat großartige Architektur zu bieten! Der Bahnhof ist ein grandioser Palast, es haut einen um vor Begeisterung, wenn man in der Halle steht. „Damals waren Bahnhöfe noch Kathedralen der Moderne, die das Bahnfahren zum Erlebnis gemacht haben, heute sind sie meistens heruntergekommene verpisste Drogenumschlagplätze, die man lieber meidet.“ (Originalzitat Johann Schlicht).

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Noch mehr hingerissen hat mich das Hafenhuis von der berühmten Architektin Zaha Hadid, in dem sich die Antwerpener Hafenbehörde befindet. Auf ein altehrwürdiges Gebäude hat man einen gigantischen Neubau gelegt, der sieht aus wie ein Schiff aus Glas, wie ein bizarres Alienraumschiff, das darauf gelandet ist, um von dort den Planeten zu zu erobern. Ich musste um das Gebäude zweimal herumradeln und es von allen Seiten fotografieren. Das Teil ist sowas von geil, sowas Mutiges gibt es in ganz Deutschland nicht. Da, seht selbst:

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Das bedeutendste Erlebnis in Antwerpen hatte ich allerdings in einem Museums-Shop. Wie wir alle wissen, sind Museums-Shops ja immer ein kreativ sprudelnder Quell der Freude. Man findet dort wunderherrliche Kunstbücher über Andy Warhol und David Bowie, man findet lustige und zugleich nützliche Gegenstände wie Bleistifte in Form des Eiffelturms oder sonstige Kleinode, die einem das Herz bis rauf zur Kehle schlagen lassen. Ich habe das Bucklicht Männlein gefunden!

Echt jetzt? Dazu muss ich etwas ausholen.

Der niederländische Maler Hieronymus Bosch war ein Großmeister seines Fachs und einer der innovativsten Künstler seiner Zeit. Er lebte und wirkte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis zum Jahre 1516. Bosch war in seinen religiösen Motiven und Themen seiner Zeit weit voraus, denn er brachte darin auch alptraumhafte, surrealistische Szenen unter (obwohl sich die Stilrichtung des Surrealismus erst über 400 Jahre später verbreiten sollte). Ich verehre Boschs Werke und vor allem sein Gemälde „Die Versuchung des Hl. Antonius“. Vielleicht weil ich auch so ähnlich heiße. Vor allem aber, weil es viele gruselige Details enthält, die mein düsteres Herz erfreuen. In besagtem Bild wimmelt es von merkwürdigen Mischwesen, bizarren Monstern und diversen Grauslichkeiten, dass es eine wahre Freude ist.

Eine dieser obskuren Gestalten findet sich im linken unteren Bereich des Tafelbildes. Es ist ein buckliger Kerl mit rotem Gewand und einem Vogelkopf. Der komische Vogel hat einen langen, sich verkreuzenden Schnabel, in dem er ein Stück Papier (einen Brief?) hält. Auf dem Kopf trägt das Wesen einen umgekehrten Trichter, aus dessen Spitze ein Holzast ragt, an der an einer Schnur eine rote Kugel baumelt. Außerdem trägt der lustige Kerl Schlittschuhe! Der gute Hieronymus hatte sicher jede Menge Spaß bei der Kreation dieses Geschöpfes.

Nun, der Antonius Zinkl hatte mindestens genauso viel Spaß, als er eine lebensechte Skulptur dieses Wesens im Schaufenster vom Antwerpener MAS-Museumsshop entdeckte und erwerben konnte. DAS WAR DAS BUCKLICHT MÄNNLEIN! Jenes Wesen, das Antonius schon so einige nicht ganz glückliche Momente bescherte hatte. Endlich hatte der Schrecken ein Gesicht! Ich war erleichtert. Es ist doch schon besser, wenn man weiß, wie der Widersacher aussieht. Nämlich so:

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Nachtrag: Zurück in München. Bin heute mit dem neuen E-Bike fast im Schritttempo auf dem Radweg der Leopoldstraße geradelt. Da tippelte vor mir plötzlich ein zweijähriges Kind auf die Fahrbahn. Ich brüllte laut und bremste. Nur weil ich so langsam gefahren war, hatte ich das Kind nicht überrollt. Die Mutter drehte sich erschrocken um und holte ihren kleinen Liebling sofort zu sich zurück. Ich war außer mir! Geschockt. Die Mutter sicher auch. Aber nochmal alles gutgegangen. Doch wisst ihr, an wen ich in diesem Moment denken musste? Wisst ihr das?

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