
Liebe Leserinnen und Leser,
wenn man ganz besonders gescheit tun will, dann behauptet man: Das Leben im Jetzt — also im zeitlich nicht messbaren „Jetzt gerade“-Zustand — ist das, worauf man sich konzentrieren sollte. Nur dieser Zustand macht froh, denn es gibt ja nur ihn. Was davor war und was danach sein wird, ist Schall und Rauch, das eine ist unveränderbar, das andere völlig ungewiss.
Das ist freilich nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern das predigt so mancher weise Gelehrte. Auf der Couch sitzen, in die Luft starren und sich SPÜREN. Nicht an das denken, was war und was sein wird. Das erlöst einen von Gegrübele über verpasste Möglichkeiten in den letzten Jahrzehnten und verhindert die Sorge darüber, wie lange man noch zu leben hat.
Allerdings: Ich bekomme das nicht hin. Das einzige, was wirklich zählt, ist wahrscheinlich die Vergangenheit. Denn die hat stattgefunden, das ist belegt. Jeder hat zwar zur selben Zeit etwas anderes erlebt, aber das ist alles gespeichert. Wenn auch oft im Hinterstübchen unauffindbar verräumt. Deshalb werden ja auch Millionen von Fotobüchern produziert. „Schau!“, sagt man dann, „damals hatte ich noch das grüne Käppi von der Insel Texel auf! Welches ich letzte Woche verloren habe! Oh Gott, mein Lieblingskäppi!“ Und dann vergießt man ein kleine Träne. Dafür sind Fotobücher gut. Ich kann davon ein schönes Lied singen, denn meine liebe Alexandra ist diesbezüglich die zuverlässigste Dokumentatorin nicht nur unserer Urlaubsreisen, sondern auch des alltäglichen Lebens.
Doch manchmal frage ich mich, ob das Verhältnis ausgewogen ist. Ich meine das Verhältnis zwischen dem zeitlichen Aufwand einer monatelangen Fotobucherstellung und zwischen dem Zeitraum, den man benötigt, um sich so ein Fotobuch dann nach Jahren wieder durchzublättern. Natürlich hat man auch Freude bei der Fotobuchgestaltung. Das sind außerdem die Momente, in denen sich der anfangs genannte „Gerade jetzt“-Zustand auf magische Weise mit der Erinnerung verquickt. Man ist dann gewissermaßen doppelt anwesend: Im „Gerade jetzt“ am 3. Oktober des Jahres 2024 und in der Domkuppel der Kathedrale Santa Maria del Fiore in Florenz am 2. September 2023. Doppelte Anwesenheit, das hat schon auch was für sich.
Tatsächlich kann die Aufarbeitung von Vergangenem aber auch verpflichtend sein. Mein bester Freund Hans erzählte mir von einigen Terrabyte-Festplatten mit Fotos und Filmen, die sein lieber Vater der Familie vererbt hat. Die Menschen dokumentieren halt gern mehr oder wenig ausführlich ihr Leben und im Jenseits kann es ihnen ja ziemlich egal sein, wie intensiv das Dokumentierte später noch unter die Lupe genommen wird. Wenn man nur noch Asche ist, dann muss man sich auch nicht mehr ärgern: „Herrschaftszeiten, die ganze Fotografiererei und kein Schwein interessiert sich jetzt mehr dafür! Da hätte ich mir die Kathedralen ja gleich NUR anschauen können. Mensch!“
Fotobücher macht man, um die angenehmen Lebensevents sichtbar zu behalten. Für die unangenehmen Erlebnisse sind bei mir meistens Träume zuständig. Traum: Ich war in der Realschulzeit und hatte mal wieder vergessen, den Nachmittagsunterricht zu besuchen. Schlimme Befürchtungen kamen auf, dass ich deswegen den Abschluss nicht schaffen könnte. So einen Dreck träumt mein schuldbewusstes Hirn noch nach 50 Jahren. Geht’s noch? Vom Schmusen mit meiner ersten Freundin träume ich nie. Mein Traumhirn ist halt kein Genießer, sondern ein Sorgensafe, der sich gerne immer wieder mal öffnet, um zu zeigen, was er Ungutes angesammelt hat.
Also, wie man sieht: Es ist überhaupt nicht menschlich, nur im „Hier und Jetzt“ zu existieren. Das Hirn braucht den Vergleich mit der Vergangenheit. Es kann dann denken: „In den 80er war ich ein ein weitgehendst von Empathie befreiter Tropf. Inzwischen weiß ich, dass ich nicht der Nabel der Welt bin.“ Gut — insgeheim weiß ja jede/jeder von sich selbst, dass er/sie natürlich schon der Nabel der Welt ist. Wer soll es sonst sein? Man wird als ICH geboren, man stirbt als ICH, dazwischen denkt man als ICH. Daraus folgt: Nabel der Welt. Gegenstimmen?
Puh, das ist starker Tobak heute, wie man früher so schön sagte. Bin gerade etwas melancholisch drauf, aber doch ziemlich froh. Sehr froh sogar. Überschwenglich froh! Meine liebe Mama hatte nämlich vor einer Woche einen Schlaganfall, sie konnte plötzlich kein Wort mehr formulieren. Zum großen Glück war meine Schwester Cornelia gerade bei ihr und hat erkannt: Wir müssen sofort ins Krankenhaus! Dort hat man meine Mama sofort operiert, hat ihr ein Blutgerinnsel aus dem Kopf entfernt. Die Ärzte sprechen von einem medizinischen Wunder. Denn meine Mama kann nun, nach einigen Tagen in der Klinik, sogar wieder etwas besser sprechen als vor dem Schlaganfall. Es ist unfassbar! Nun kommt sie auf eine vierwöchige Kur ins niederbayerische Hinterland und freut sich sogar darauf.
Diesmal also war nicht das „Bucklicht Männlein“ am Start (siehe auch Blog Nr. 323), sondern ein lichtdurchfluteter Schutzengel aus den gnädigen Sphären weit hinter dem Andromedanebel. Ja, den gibt es auch! Er kommt selten, aber wenn er kommt, dann tut er, was ein anständiger Schutzengel tun sollte. Abgesehen davon sollten sich Lichtwesen sowieso untereinander helfen. Meine Mama war nämlich mindestens 65 Jahre wie ein Engel für meine Schwestern und mich und meine beiden Töchter. Wenn es jemand verdient hat, gerettet zu werden, dann sie.

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Lieber Toni, da kann ich dir nur voll zustimmen! Wenn es „Engel“ auf Erden gibt, dann sind / waren es unsere Mamas! Sag ihr liebe Grüße von mir und ich wünsche ihr alles Gute!
Bäda
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Bei Start dieses Kommentars geht es regulär auf 3 Uhr zu, unregulär auf 4 Uhr. Zeitumstellung war. Nur noch ein paar Stunden und dann werde ich den 4. oder 5. Tag in Garten mit Heckenschnitt verbringen. Menno, warum dauert das dieses Jahr so lange!? Und überhaupt, woher kommen die Kreuzweh!?
Ich hab mich heute Nacht in deine Blogwelt vertieft und so manches mal ziemlich heftig gegrinst, gekichert und gelacht. Kommentieren hätte ich so einiges können. Nur meine EDV ist etwas veraltet. Jeder getippte Buchstabe erfordert Korrektur. Ich weiß, es liegt an dem überalterten liebgewonnene Teil Hardware; ich weiß aber wie das funktioniert. Das Neue liegt seit ein paar Monaten neben mir. Wenn ich es alle 3 Wochen mal einschalte – cool, flux, toller Speicher … aber die virtuelle Tastatur ist halt eine andere. Und das Android ist auch anders. Umgemodelt. Kein original Android, sondern ein aufgepimptes. Menno, wo bleiben da die Schwierigkeiten, wenn schon alles für den Anwender gelöst ist!?
Da liebe ich doch das reale Leben. Nein, Fahrrad wurde nicht geklaut. Inspiriert durch Toni steht das damals erworbene 12 Monate alte E-Bike seither gut geschützt, angekettet und ungenutzt im Keller; wo sind eigentlich die Schlüssel!? Naja, kein Problem, einsam ist es dort nicht, die Vespa fristet ähnliches Dasein in 2024. Dafür standen im Juni 600m2 Grund und Boden im ungeplanten eigenen RegenSammelbecken; blöde nur, daß dort auch ebenerdig 3 Gartenhäuser stehen mit 70m2 überbauter Fläche. Wegen damaliger Flutung raten die Fachfirmen nun aus Moder- und Altersgründen zu Abriss und Neubau; nicht unter 50Tsd, eher 70. Nicht kleckern; klotzen. (Dabei hab ich doch schon Apfelbäumchen gepflanzt; das liegt doch hinter mir! Ich befinde mich doch auf einer anderen Zielgeraden.)
Meine Mutter hat sich das auch überlegt und neigte sich heute zum k.otzen. Äh, eigentlich nicht. Mit 86 ist sie einfach seitlich umgefallen – im dementen Zustand im Angriff auf meine Schwester quer über den Couchtisch. Da sich Muttern von Blutsverwandten Fremden nicht helfen lassen wollte – „fass mich bloß nicht an“ – hat der gerufene Notarzt übernommen. Im Krankenhaus: Brüche im Arm und in der Hand – nun gegipst – und bitte holen sie die Patientin zur weiteren Pflege wieder aus dem Krankenhaus ab. Meine Schwester, in der Schweiz lebend, ist begeistert; sie hatte meinen Vater, 84, vertreten, der sich dieses Wochenende eine kurze emotionale Auszeit im Geburtsort gegönnt hatte.
Ich sollte jetzt ins Bett gehen. Die Akkus von der Heckenschere sind jetzt geladen. Zeit zum Entspannen. Liebe und herzliche Grüße ans „Bucklicht Männlein“ und alle in deiner Familie. Ich habe heute gerne in deinen Blogs gelesen. Danke dafür. Gute Nacht. Äh, Guten Morgen – schönen Sonntag! 😉
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