
Liebe modebewussten Leserinnen und Leser,
vor 12 Jahren hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich wollte mein Leben einfacher gestalten, mich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. Ich wollte mehr Zeit haben, um wirklich wichtige Denkprozesse ablaufen zu lassen — um für spannende kreative Taten den Kopf freizuhaben. Fazit: Ich war nicht mehr gewillt, mich ablenken zu lassen von den Banalitäten des täglichen Daseins.
Eine Sache, die mich damals jeden Tag schwer beschäftigt hatte, war nach dem Aufstehen und Duschen die Frage: „Was für ein T-Shirt ziehe ich heute an?“ Ich besaß eine Sammlung dieser Kleidungsstücke, die mehrere Schubladen füllten. Es gab sie in Grau, in Rot, in Blau, in Schwarz. Selbstverständlich auch einige in Weiß. Mindestens die Hälfte der Shirts hatten Aufdrucke: Palmen mit Strand, amerikanische Universitäts-Embleme, Abbildungen von Einstein und Hulk, die Sonne/Mond-Illustration vom King Crimson-Album „Larks Tongues in Aspic“, ein Arrangement von lustigen Sprüchen aus der TV-Serie „Big Band Theory“. Und einiges Originelle mehr. Es war ein schrecklicher Ballast, der mich zuviel Kraft kostete.
Also ging ich ins Kaufhaus C&A — ich war bei Bekleidung schon immer ein arger Geizhals gewesen. Ich erwarb 20 identische weiße T-Shirts in XL mit Rundhalsausschnitt und weitere 20 identische weiße T-Shirt in XL mit V-Ausschnitt. XL deswegen, weil mir L schon immer zu eng war, zu dicht an die Haut drückte, zu sehr die Wampe betonte. Alle Shirts natürlich OHNE irgendwelche Aufdrucke. Pure white. Die Shirts kosteten, so weit ich mich erinnere, das Stück 7 oder 8 Euro. In der Masse war das also durchaus eine Investition.
Alle meine bunten und bedruckten T-Shirts verbannte ich in eine große Schachtel, dorthin in die Schrankwand, wo man nur mit einer Leiter raufkommt — wegwerfen traute ich sie mir (noch) nicht. Fortan war ich ein glücklicher Mann. Jeden Morgen zog ich eines der neuen weißen Shirts heraus, für Frühling und Sommer wählte ich eines mit V-Ausschnitt, für Herbst und Winter eines mit Rundhals-Ausschnitt. Das waren Entscheidungen, die konnte ich treffen, ohne durchzudrehen. Wenn mich der Hafer stach und im Frühjahr eine frische Brise wehte, zog ich auch mal ein Rundhals-T-Shirt an, wen juckte es — mich nicht.
Die kommenden 12 Jahre waren sorglos. Ich hatte zwei große Schrankfächer für die gestapelten Shirts, die frischgewaschenen legte ich nach dem Waschen und Trocknen immer zuunterst. Jeden Morgen holte ich eines der oberen heraus. So dass alle Shirts im Laufe der Zeit eine gleichmäßige Abnutzung erlitten, durch ihren regelmäßigen, nassen, schaumigen, wirbelnden Aufenthalt in der Waschmaschinen-Trommel. Ein perfektes System — so weit so gut.
Vor einem Jahr bemerkte Alexandra (und sicher nicht nur sie), dass ich weiße T-Shirts mit diversen kleinen Löchern trug. Woher diese Löcher kamen, das weiß der Teufel. Ich hatte sie nicht hineingebohrt. Ich legte auch nie Nägel oder Schrauben in die Waschmaschinentrommel. Wie auch immer: Ich war der Ansicht, dass diese 5 mm-Löcher dem angenehmen Tragekomfort keinerlei Abbruch taten. Die Shirts waren doch einwandfrei! Außerdem laufen die Leute seit Jahrzehnten mit ungleich größeren Löchern und hässlichen Flickstellen an ihren Jeans herum und finden sich damit auch noch attraktiv. MODE! Und für meine bescheidene Weißwäsche sollte dieser sehr dehnbare Begriff „Mode“ nicht anwendbar sein? Offensichtlich.
Ich trug meine Löcher also zwar nicht mit Stolz, aber mit der gebotenen Portion Ignoranz. Keanu Reeves hockt sich zum Essen in abgerissenen Klamotten in den Straßenstaub zu Obdachlosen dazu. Das findet man toll, wo er doch so unfassbar reich ist. Ich mache das nicht, ich bin aber auch nicht so reich wie Keanu. Doch es sind die kleinen Dinge, die einen manchmal arg piesacken können. Vergleichbar mit Wassertropfen, die einem immer auf dieselbe Stelle auf den Kopf plumpsen. Bis der Schmerz unerträglich wird. Immer wenn ich morgens ein T-Shirt aus dem Schrank holte und mir ein Löchlein ins Gesicht sprang, kam die krätzige Stimme aus meinem Hinterstübchen: „Willst du dir nicht endlich mal was besseres leisten, du alter Penner? Alexandra sagt schon nichts mehr, aber sie wird sich ihren Teil denken. Hast du das nötig, so herumzulaufen? Du bist echt das Allerletzte.“
Schweren Herzens ging ich wieder zu C&A. Zum Glück startete gerade ein Sonderverkauf mit weißen unbedruckten T-Shirts — ganz besonders günstig im Preis. Ich kaufte 30 identische (natürlich XL), diesmal alle mit Rundhals-Ausschnitt. V-Ausschnitt war für mich inzwischen passé, denn ich wollte nicht mit meinen mittlerweile stark ergrauten Brusthaaren auffällig werden. Auch wenn das Alexandra vielleicht sexy findet — die Öffentlichkeit sollte davon nicht belästigt werden.
Daheim stellte ich fest, dass die neuen T-Shirts hinten oben ein eingenähtes SCHWARZES Bändchen für die Größenbezeichnung besaßen. Das war ein großes Glück für mich, denn somit konnte ich die Teile sofort und eindeutig von meinen Steinzeit-Shirts unterscheiden. Die Neuen bekamen ein extra Schrankfach, ganz für sich alleine. Um sie erstmal zu schonen, trug ich weiter die löchrigen Hunde — schließlich hatten mich jene über ein Jahrzehnt lang treu begleitet. Ich brachte es nicht übers Herz, sie auszumustern. So wie man alte Menschen aus dem Berufsleben ausmustert, wenn sie es nicht mehr bringen. So herzlos.
Natürlich zog ich zu besonderen Anlässen eines der neuen T-Shirts an: wenn eine Jubiläums-Geburtstagsfeier stattfand, wenn man in ein klassisches Konzert ging, wenn man zeigen wollte, wer man war. Aber ich muss gestehen: Das wohlige Tragegefühl, das ich mit einem alten, zerwaschenen, löchrigen Shirt empfand, konnte sich keinesfalls einstellen. Meine Senioren waren über die Jahre durch das zahllose Waschen auch viel dünner geworden, was mir entgegenkam. Ich transpiriere ja schnell. Es kostet mich also durchaus jedesmal Überwindung, wenn ich eines der neuen T-Shirts anziehen muss.
Vielleicht tragen sich die Neuen in weiteren zehn Jahren so richtig angenehm (wenn auch sie abgenutzt und löchrig sein werden), das wird wohl so sein. Ich muss also durch diesen Prozess durch, da hilft kein Jammern und kein Schimpfen.
Viele von euch werden sich nun vielleicht mal wieder denken: Mein Gott, der Zinkl hat Probleme. Die arme Sau. Aber mal ehrlich: Was jucken uns Putin und Trump, die sind so weit weg. Aber ein T-Shirt, das trägt man jeden Tag, damit muss man leben.

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Die Sache ist die, als sehr modebewusste Tochter war mir diese praktische T-Shirt-Idee mehr als fremd… ich war beim Kauf besagter T-Shirts damals dabei und war fassungslos! Wozu? So viele billige T-Shirts?! Ab und zu nahm ich mir eines der T-Shirts zum Schlafen oder trug es in der Schule: Oversized konnte so ein simples weißes Shirt ganz cool aussehen 🙂 Hauptsache ich nahm mir das Shirt von oben, ohne das System zu verwüsten — Unordnung im Zinkl-Haushalt — ein No-go!
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Schlimm wäre, wenn unser Kolumnist plötzlich die T-Shirt-Farbe wechseln würde oder mir im rosa Oberhemd an seinem Küchentisch gegenüber säße. Würde ich ihn wiedererkennen? Hielte ich ihn für einen Eindringling, der sich als Zinkl ausgibt? Bitte keine Experimente! Das Original gibt es nur in weißen T-Shirt! Seit Menschengedenken! @realtonizinkl
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