Liebe Leserinnen und Leser,

dies ist der dritte Teil meiner Berichterstattung über das Wirken der bayerischen Kabarettgruppe Scharwitzl (siehe auch Blog Nr. 334 und Blog Nr. 335).

1982 engagierte ich mich im Jugendzentrum „JIMS“. Das waren zwei muffige Kellerräume im alten maroden Schulgebäude von Markt Schwaben. Es war erst vor kurzem amtlich genehmigt worden, dass sich dort junge Leute treffen durften, um laut Rockmusik zu hören, Bier zu trinken und zu rauchen. Ab und zu fanden auch Konzerte von Amateurbands statt. Ich ging hin, bemalte im JIMS ungefragt eine Wand mit einer surrealen Landschaft und lernte dort nette Leute kennen.

Hans und ich waren der Ansicht, dass wir für künftige Scharwitzl-Sketche dringend eine weibliche Komponente bräuchten — um unser Themenspektrum und Theaterspiel erweitern zu können. Als ich mal wieder einen Abend im JIMS verbrachte, bemerkte ich ein sehr hübsches Mädel mit dicker Brille. Da ich auf Mädels mit Brille stand, stellte ich mich ihr vor. Sie war Schülerin am Gymnasium Markt Schwaben, deshalb hatte sie Scharwitzl bereits auf der dortigen Bühne gesehen. Ich erzählte ihr, dass Sepp nicht mehr dabei war und dass wir dringend eine Frau suchten, die Lust hätte bei uns einzusteigen. Andrea war zu dieser Zeit zurückhaltend und etwas schüchtern, aber erstaunlicherweise sagte sie zu mir, sie könne es ja mal versuchen.

Im Nachhinein darf ich sagen: Das war für Hans und mich ein sensationeller Glücksgriff. Andrea stellte sich als brillante Komödiantin heraus und ebenso als hervorragende Darstellerin für dramatische Rollen. Sie konnte wunderbar den bayerischen Dialekt sprechen, sie konnte eine alte traurige Oma spielen, genauso wie eine sexy Discotänzerin. Andrea war darüber hinaus extrem kreativ und — nicht ganz unwichtig — auch sehr zuverlässig. Dass wir drei als Scharwitzl-Team in den nächsten fünf Jahren ganz wunderbar harmonieren würden, das hätte damals keiner von uns gedacht. Einmal erzählte mir Andrea, dass sie es mir zu verdanken habe, dass sie durch Scharwitzl ihr Selbstbewusstsein stärken konnte und dass das Theaterspielen ihr Leben enorm bereichert habe. Das hat mich sehr gefreut.

Nun sprudelte die Scharwitzl-Energie wieder ungebremst und wir entwickelten neue Szenen und Lieder für künftige Bühnenauftritte. Ich hatte die Idee, Goethes Faust umzuschreiben, daraus eine zeitgemäße Kurz-Version zu kreieren. Also kaufte ich das gelbe Reclam-Heft (Faust Teil 1) und dichtete das Drama um, mit entsprechenden Verkürzungen natürlich. Hans wollte den dämonischen Verführer Mephisto geben (sein optisches Vorbild war Gustav Gründgens), ich war der verzweifelte und verklemmte junge Faust auf der dringenden Suche nach einer Geliebten — und Andrea spielte selbstverständlich das (ziemlich aufreizende) Gretchen in der Disco. Bei uns war es allerdings so, dass sich Mephisto letztendlich selbst das Gretchen schnappt und sich daraufhin Faust mit einem Dolch das Leben nimmt. Das wahre Leben halt. Und einer unserer ersten Versuche, die Dinge „gegen den Strich zu bürsten“, was wir später in unseren Texten immer wieder taten.

Als zweites längeres Stück überlegten wir uns eine Parodie auf das Märchen „Der Froschkönig“. Das war immerhin über 20 Jahre vor Otto Waalkes’ Spielfilm über Schneewittchen gewesen! Wir planten da allerdings ein Vier-Personen-Drama. Hans als Gaukler, der durch das Stück führt, Andrea als naive Prinzessin, ich als eitler König. Fehlte der Frosch! Damit kam mein guter alter Freund Peter (Bäda) ins Spiel. Den gebürtigen Poinger kannte ich als sehr fröhlichen Gesellen, der ganz hervorragend Luis Trenker imitieren konnte. Bäda erklärte sich bereit, den Frosch zu spielen, mit grünem Kostüm und grüner Badehaube — und das konnte er ganz ausgezeichnet, er war ein hinterfotziger bayerischer Frosch. Bäda würde als Frosch auch das berühmte Lied aus dem Musical „Anatevka“ singen: „Wenn ich einmal reich wär’, ei di widi widi widi widi bum“. Was haben wir bei den Proben gelacht damals — allerdings machte es mich wahnsinnig, dass Bäda immer ein „widi“ zu wenig sang. Na gut.

Wir überlegten uns für unsere Rollen passende Kostüme und organisierten königliche Gewänder und sexy Disco-Outfits. Hans sollte als Mephisto aufwändig geschminkt und ich als Märchenkönig ordentlich eingepudert werden. Wir bauten einen schönen Brunnen aus Pappe für Bäda, würden aber auch nur mit Stühlen improvisieren, nämlich eine schräge Fahrschullehrerszene im Auto. 

Wir stellten ein abendfüllendes Programm zusammen, welches wir im Sommer aufführen wollten. Wir hatten auch Szenen für Andrea solo (die Tagesschau-Sprecherin mit kuriosen Nachrichten), für Hans solo (der Barde mit sozialkritischem Liedgut) und ich hatte vor, ein bizarr-boshaftes Lied am Keyboard zum Besten zu geben, auf das ich wild einschlagen würde, weil ich zu faul war,  das Stück ordentlich einzuüben. Am Ende der Show sollte es einen weiteren Sketch zu dritt geben: die „Familie Scharwitzl“ mit Andrea als Mama, mir als frechem Bubi und Hans als schimpfendem Vater, der mit dem neu gekauften Videorecorder nicht klarkommt. 

Es war jedenfalls ein Spektakel, das man in der Aula des Markt Schwabener Gymnasiums bis dato nicht gesehen hatte. Als Zugabe spielten wir das einzige alte Stück von 1981: das „Viechzeigs am See“-Lied. Die Zuschauer sangen begeistert mit. Wenn ich jetzt beim Schreiben daran denke, wie das damals war, kommen mir fast die Tränen vor Rührung. Schade, dass die Show nicht gefilmt worden ist. Naja, vielleicht auch ganz gut so  😉

Fortsetzung folgt bald: Scharwitzl, Teil 4.

abstand-linie


Entdecke mehr von ZINKLS BLOG – DER BLOG ZUM PROG DES LEBENS

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.