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Liebe Leser,

an solchen Proklamationen (siehe Abbildung) kommt man seit Jahren nicht mehr vorbei, wenn man in bayerischen Städten um diverse Litfaßsäulen herumkurvt. Die Radiosender buhlen um Hörerschaften und versuchen, diese mit allen Mitteln der Konkurrenz zu entreißen. Und weil sie glauben, dass jeder Mensch immer nur die größten Hits aller Zeiten hören will, spielen sie sie halt. Immer wieder.

Was zur Folge hat, dass man bei den Radiosendern heutzutage weitgehenst das gleiche Zeug hört, egal wie viel man daran herumschraubt. Außer: Man verirrt sich nach Bayern 2 oder zu irgend einem Klassiksender. Wobei: Auch die Klassiksender spielen viel lieber die größten (Klassik-)Hits aller Zeiten. Mozarts Jupitersinfonie anstelle irgendwas von seinen unbekannten Zeitgenossen Etienne-Nicolas Méhul oder Domenico Dragonetti.

Natürlich kann man heutzutage auf unzähligen Internet-Radioprogrammen genau das hören, was man mag. Die einen spielen ununterbrochen nur Smoothjazz à la Sade. Die anderen bringen Highspeedprog à la Dream Theater. Und freilich gibt es Sender, die — man höre und staune! — nur Oldies aus den 70er Jahren in die Atmosphäre hineinwirbeln. Aber musikalische ABWECHSLUNG auf EINEM Sender? Vergiss es, das war einmal.

Das gab es vor 45 Jahren. Im Bayrischen Rundfunk spielte man von 14 bis 14.30 Uhr Progressives von Pink Floyd, Genesis, Peter Hammill und Gentle Giant. Gleich danach präsentierte Frau Edenhofer bis um 15 Uhr die aktuellen Charthits aus englischsprachigen Gefilden (Gary Glitter, Sparks, Rubettes). Diese Stunden waren für den jungen Zinkl der Quell des Lebens. Damals durfte der BR noch solche Konstrast-Kapriolen schlagen, denn es gab ja keine privat finanzierten Sender, die ihm Werbeetats streitig machen konnten.

In unserer goldenen Gegenwart aber sind auch öffentlich-rechtliche Radio-Sender darauf erpicht, möglichst viel an Werbegeldern heranzuschaufeln. Deshalb werden sie einen Teufel tun, ein völlig unbekanntes und etwas merkwürdiges Musikstück zu präsentieren. Weil sie Todesangst davor haben, dass der verschreckte Konsument sofort auf die Konkurrenz umschaltet. Dass es den Hörer vielleicht sogar erfrischen könnte, wenn er nicht zum fünfzigsten Mal am Tag Ed Sheeran oder Helene Fischer in sein Gehirn lassen muss: Dieser Gedanke ist den Radioverantwortlichen so fremd wie den Tauben die Diskussion um die Schadstoffe durch Dieselmotoren.

Aber was rede ich denn da: Das ist doch genauso wie bei Don Quichotte, der mit Windmühlenflügeln gekämpft hat. Um 1800 herum regierte in Wien ein Mann namens Beethoven. Zu Recht, weil er halt einfach um einen Quantensprung bessere musikalische Ideen hatte als seine Konkurrenz. Damals gab es in Wien aber auch einen gewissen Anton Eberl. Der war gar nicht schlecht und bei den Kritikern ebenfalls hochangesehen. Eberl war fleißig und komponierte viel schöne Musik für Kammermusiker und Orchester. Ich schätze ihn sehr. Aber wer hat sich nachhaltig durchgesetzt? Der Mann mit den größten Hits natürlich. Fast keine Sau kennt heute mehr den Anton Eberl.

Ich kann es verstehen, dass die Münchner Philharmoniker in ihren Konzertprogrammen Mozart, Beethoven, Schubert, Bruckner, Brahms und Mahler drin haben. Immer und immer wieder. Weil diese talentierten Komponisten eben die größten Hits aller Zeiten geschrieben haben. Und das dröge konservative Publikum nichts anderes in die Gehörgänge hineinlassen will. Keinen Anton Eberl, keinen Friedrich Kiel, keinen Joseph Eybler, keinen Jan Vaclav Kalivoda, keinen Wilhelm Kienzl. Sobald ein etwas unbekannterer Meister auf dem Podium präsentiert wird, sind die Zuschauerreihen schon gelichtet. Traurig aber wahr.

Ich gebe ja zu, die erstgenannten Komponisten sind durchaus die viel besseren. Aber es ödet mich trotzdem an, immer wieder Schuberts Unvollendete auf dem Programm lesen zu dürfen — wo es doch wirklich unglaublich viele Alternativen gibt, die AUCH interessant und hörenswert sind. Aber, wie gesagt: Windmühlengefechte! Es regiert allüberall der verflucht langweilige Mainstream mit den größten Hits aller Zeiten.

Warum rege ich mich überhaupt auf? Potentiell musikinteressierte und begeisterungsfähige Menschen haben im Internet ein Universum an Möglichkeiten, neue ungehörte spannende Musik zu entdecken — in einer Vielfalt, die einem beinahe die Luft abschnüren könnte, weil man dieses gigantische Angebot nur zu einem winzigen Bruchteil konsumieren kann und durch mehrmaliges Hören erst schätzen und lieben.

Und genau da sollten das Radio und seine kompetenten Moderatoren ins Spiel kommen, um eine hochwertige und abwechslungsreiche Auswahl aus dem riesigen Angebot nicht zur zu spielen, sondern auch zu kommentieren. So wie das einst der Fall gewesen ist. Nur so konnte ich in den frühen 70er Jahren eine Band wie Van der Graaf Generator kennen- und lieben lernen.

Aber was solche Leistungen betrifft, ist das heutige Radio ein Ort der Ödnis. Glattgebügelt, fern jeglicher Lust an musikalischer Bandbreite und Originalität, fern davon, dem Hörer Klänge und Melodien vermitteln zu wollen, welche über den ganzen 0815-Schlamm hinausgehen. Und warum? Weil sich die Radioverantwortlichen davor fürchten, dass Erwin Normalhörer die neuesten Spots von XXXXXXX-Lutz verpassen könnte, weil sie der Ansicht sind, er würde bei einem ihm nicht vertrauten Musikstück sofort den Sender wechseln. Tut er das?

Diese Denkart regiert sogar im öffentlich-rechtlichen „Konzertsaal“, welcher doch sowieso von den Gebührenzahlern unterstützt wird. Der sogenannte Bildungsauftrag, der eben auch musikalische Vielfalt und Niveau beinhalten sollte, wird nur noch in der Nische realisiert. Und selbst dort halbherzig.

Aber Zinkl redet sich ja um Kopf und Kragen! Absurderweise lebt er als Grafiker davon, dass auf BAYERN 1 und auf BAYERN 3 eben NICHT Van der Graaf Generator gespielt wird. Sondern ausschließlich Musik für Erwin. Danke, Mainstream. Du hältst mich am Leben.

Doch schön, dass ich nicht nur die größten Hits aller Zeiten längst auf Millionen Vinyls, CDs, iPods und iPads gespeichert habe. Ich kann sogar Anton Eberl hören und Peter Hammill, auch wenn sich die Radiosender um diese großartigen Musiker einen feuchten Kehricht scheren. Was kümmert es mich, ich brauche das Radio nicht mehr. Auf diese Weise entgehen mir zwar auch die genialen Werbespots von Seitenbacher, aber das lässt sich gerade noch verschmerzen.

PS:
Aber es gibt sie dennoch, die geilen kleinen Radiosender: Unbedingt hörenswert zum Beispiel „Lord Litter’s Magic Music Box International’ auf Radio Marabu Berlin. Der großartige unübertroffene Lord spielt sogar Musik von ZINKL. Yessssss.

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