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Liebe Leser,

vor einiger Zeit habe ich mir, in entspannter Grundhaltung liegend, meine beiden nackerten Beine angeschaut. Und mir gedacht: Wie konnte das nur passieren? Wo sind sie geblieben, die schönen Anton Zinkl-Beine von 1970? Wenn ich damals an den späten Samstagnachmittagen in der heißen Badewanne gelegen bin, umwölkt von flockigen Schaumbergen, als sich der Fußballplatzdreck so langsam von den zehn Jahre alten Oberschenkeln und Knien löste, da freute ich mich über meine schönen Jungensbeine und dachte mir: So lässt es sich leben.

Und heute, 48 Jahre später? Große behaarte Haxen, mit Narben an den Schienbeinen, vereinzelten Altersflecken und die Zehen erst! Die letzte Pediküre ist im August gewesen, die Nägel sind zwar geschnitten, aber nicht achsensymmetrisch, die Nägel meiner beiden kleinen Zehen waren immer schon ein Witz. Als sie zehn Jahre alt waren, hatten sie die Ausmaße von 3 x 0,5 Millimeter (geschätzt). Heute: 7 x 2 Millimeter. Und sie wachsen eher nach oben als nach vorne. Was sollen die bitte bringen? Lustigerweise haben meine beiden Töchter Marlena und Linda exakt die gleichen kleinen Zehen. Ein schweres Erbe, welches sie da antreten mussten.

Eigentlich fand ich meine Zehen so insgesamt immer in Ordnung. Nicht geeignet zwar für fotografische Abbildungen auf Werbeaufstellern in Apothekenschaufenstern (beispielsweise für Fungizid-ratiopharm oder Canesten), aber wer hat schon solche Zehen? Dafür gibt es extra Fußmodels. Die können potthässlich sein, diese Menschen, aber sie müssen Zehen haben, zum Verlieben, zum Reinknutschen, so schön.

Vor einem halben Jahr habe ich mir den rechten großen Zeh irgendwo angerammt. Weil ich ein gottverdammter Hektiker bin, der schneller läuft als sein Gehirn. Dem Zeh an sich hat es nachhaltig nicht geschadet, aber dem Nagel! Er hat sich irgendwie gestaucht, gewölbt und aufs Unschönste verfärbt. Ins Grünlichbräunliche. Meine damalige Freundin Pia meinte hysterisch, das sei schlimmster Fußpilzbefall und sie hat meine Füße nicht mehr angerührt. Ich wurde gezwungen, alle Fußpilzheilmethoden durchzuprobieren. Fazit: Null Fußpilz. Ich kann den Nagel 50 mal waschen, schmiergeln und feilen, das nützt alles nix. Er ist für alle Zeiten dahingegangen, ins Reich der Hässlichkeiten.

Nun wird der eine oder andere zu mir sagen: Mein Gott, Zinkl, was lamentierst du über totale Nichtigkeiten, sei froh, dass du noch alle zehn Zehen hast, du dämlicher Vogel. Stimmt ja, ist ja schon gut. Ist völlig wurscht. Ich kann mir den Nagel doch schwarz lackieren, dann sieht er aus wie neu. Das werde ich für die kommende Badesaison auch tun, obwohl mich die Leute sehr schräg anschauen werden.

Da fällt mir ein, ich muss mir jetzt bald mal genauer die Zehennägel von Claudia angucken. Die sind bestimmt makellos, so wie die ganze Frau ein einziger makelloser Traum ist. Ich werde Claudias Zehen mit cremigem Honig einbalsamieren und dann genussvoll oral wieder davon befreien. Ob ihr das gefallen wird? Mal sehen.

Im übrigen fällt es mir gar nicht mehr so leicht, ein grantelnder Ironiker oder sogar Sarkast zu sein. Mit der rosaroten Brille auf der Nase wird man gnädig zu seinem verabscheuungswürdigen rechten großen Zeh oder zu seinen lächerlichen Mini-Vertikal-Nägeln. Der Schnee draußen leuchtet wunderschön, das Hineinmatschen auf den Gehsteigen klingt angenehm in den Ohren, fast so angenehm wie Claudias samtige und leicht dunkle Stimme.

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