Liebe Leser,
eigentlich wollte ich ja mal was über Corona schreiben, aber — ehrlich gesagt — solange man durch eine Infizierung nicht zum Zombie mutiert und auf der ganzen Welt Zustände herrschen werden, wie in der amerikanischen TV-Serie „The Walking Dead“ (die ich mit Freude geschaut habe), solange lasse ich das bleiben.
Es werden ja mittlerweile Jokes ohne Ende durch den whatsapp-Äther gejagt, darüber, wie man sich aus einer BH-Schale eine Schutzmaske basteln kann, oder darüber, dass eine Sadomaso-Maske nicht für Corona sondern für Corinna Verwendung finden soll, oder darüber, dass Leute in der Bank aufatmen, weil die maskierten Eindringliche nur Geld stehlen wollen und nicht krank sind.
Diese fröhlichen und harmlosen Witze werden dann vielleicht aufhören, wenn — wie anfangs erwähnt — der Virus zum „Walking Dead“ mutiert und wir alle wie in Zeitlupe durch die Gegend wackeln und grunzen, gierig auf der Suche nach noch nicht infiziertem Menschenfleisch.
Rechnen muss man damit, denn schon seit einigen Jahren ähnelt die Menschenwelt sowieso immer mehr düsteren Science Fiction-Filmen oder Romanen, in denen diverse Weltuntergangsszenarien thematisiert werden.
Es ist sogar schlimmer. Einen Roman mit einem Präsidenten wie Trump hätte man früher als grellen und billigen Trash angesehen, als Schundlektüre. Wie man sieht, toppt die Realität aber so ziemlich alles und wir können uns deshalb noch auf einiges gefasst machen.
Da denke ich doch lieber zurück an die frühen 60er Jahre, als die Welt noch in Ordnung war und der Zinkl ein Kleinkind. Er wuchs zwar in dem Bauerndorf Markt Schwaben auf, als einfaches Landei, aber Katastrophen ereigneten sich dort schon auch.
Nämlich als Zinkl vier Jahre alt war, versuchte ihn seine Mutter im örtlichen Kindergarten unterzubringen. Vergeblich. Denn er führte sich dort mit einem enormen Heulkrampf auf, als wäre die Welt untergegangen, nur weil er mittags beim Suchen in dem Haufen Brotzeittäschchen sein eigenes Tascherl versehentlich mit einem anderen verwechselt hatte, in welchem sich ein widerliches Butterbrot befand. Der kleine Tonerl ekelte sich jedoch vor Butter — und sperrte sich von da an auf das Heftigste dagegen, in den Kindergarten zu gehen.
Also musste er sich daheim bei Oma und Opa langweilen, denn die Mutter war berufstätig. Oma hatte ärgste Gichtschmerzen, war deshalb immer bei mäßiger Laune und sehr wortkarg. Opa konnte aufgrund seiner Kriegserlebnisse nur noch stottern, hielt sich deshalb in kommunikativer Hinsicht ebenfalls zurück, brachte dem Buben aber zumindest (stotternd) das Watten und Zeichnen bei oder schnitzte ihm in einer winzigen Kellerkammer stumm einen Tomahawk.
Emotionale Luxusgüter wie gezeigte Warmherzigkeit, liebevolle Berührungen oder Fröhlichkeit gab es bei Oma und Opa nicht. Bei meinem Vater übrigens ebenfalls nicht, der hatte eine ungute Kindheit verbracht und war — zumindest bei uns Kindern — in emotionaler und emphatischer Hinsicht ziemlich invalide.
Aber was man nicht kennt, vermisst man halt auch nicht. Als ich in den achtziger Jahren in meiner Münchner Studentenzeit mitbekam, dass sich miteinander befreundete Menschen zur Begrüßung zusätzlich zum Handschlag umarmten, war ich davon befremdet. Für solche Übertreibungen hatte ich kein Verständnis. In Markt Schwaben war nie umarmt worden, wozu auch?
Schließlich kam in Mode, dass sich die Leute bei der Begrüßungsumarmung auf die beiden Backenseiten auch noch Küsse gaben, welche absurderweise aber keinen Hautkontakt aufnahmen. Luftküsse! Das gab mir den Rest.
Ich war natürlich genötigt, mich diesen merkwürdigen Sitten anzupassen. Wollte mir ja keine Landeiblöße geben. Aber weil mir die Luftküsserei echt zu albern erschien, gab ich diese seitlichen Küsse MIT Hautkontakt. Vorgetäuschte Küsse lehnte ich ab. Wer A sagt, muss auch B sagen. Dass jene feuchten Tätlichkeiten die Begrüßten irritierten, mag sein, sie ließen es sich jedenfalls nicht anmerken.
Heutzutage ist das Begrüßungsumarmen mit Luftküssen ja usus geworden. Es kommt mir immer noch saublöd vor. Umarmen geht, Backenküsse in die Luft finde ich scheiße.
Wieso erzähle ich das überhaupt? Genau! Wegen Corona. Dieser Virus ist ins Leben gerufen worden, um der Umarmerei und lächerlichen Pseudeoküsserei endlich Einhalt zu gebieten. Auch das Händeschütteln sollten sich die Leute abgewöhnen, man muss sich sonst nur ständig die Hände waschen, da kommt man ja aus der Wascherei nicht mehr heraus. Herzlichkeit zwischen den Mitmenschen jederzeit gerne, aber bitte rein schriftlich oder mit Abstand akustisch.
Das mag jetzt für den einen oder anderen ziemlich hart klingen, aber besondere Umstände erfordern halt auch besondere Maßnahmen. Und wie ich jetzt erkennen muss, hatte meine spartanische Erziehung in der Familie eine unheimliche prophetische Qualität. Deshalb fällt es mir auch nicht soo schwer, in Coronazeiten auf den Austausch von Körperlichkeiten zur Wahrung der Höflichkeit und Deutlichmachung von Sympathie zu verzichten. Opa und Oma haben mir gezeigt, dass es auch ohne geht.
Sollten aber nun Missverständnisse aufkommen: Hier geht es nicht um liebevolles und leidenschaftliches Küssen und um genussvollen Sex. Das habe ich nämlich schon gern.
Lieber Toni, wir sind ausnahmsweise mal ganz weit weg, in Neuseeland. Mangels Touristen ist das hier grad sehr erholsam. Und noch nie hat mir das Ausgeschlossensein so wenig ausgemacht.
Aber da es nächste Woche zurück geht, bedanke ich mich heute schon bei dir für den guten Blog. Der Virus wird wie z.B. auch Trump vorübergehen – alles eine Frage der Zeit.
Früher oder später. Was wir nicht überleben, wird halt uns überleben. Man lese dazu von Michael Ende „Ein Schnurps grübelt“
Liebe Grüße, Patrizia
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