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Liebe Leser,

neulich tummelte sich in meinem Spülbecken ein Silberfischchen. Ein einzelnes dieser wohlbekannten Wesen. Sofort kroch kalte Endzeitstimmung in mir hoch. Wo eines war, da waren sicher noch einige andere. Wollten Sie neue Jagdgründe in Besitz nehmen? Hier, in meiner Wohnung? So nicht, mein Freund, dachte ich. Und tat etwas sehr Grausames. Ich stellte den Wasserhahn auf heißest und schwemmte das verbrühende Tier den Ausguss hinunter.

Nun tut es mir leid. Kaltes Wasser hätte es auch getan. Dieses harmlose, genügsame Geschöpf ist doch auch ein Kind Gottes und braucht seinen bescheidenen Platz auf dieser Welt. Merkwürdigerweise ist das Silberfischchen bei den Menschen nicht beliebt. Dabei ist es grazil, silbrig silbern und wunderbar stromlinienförmig — und ziemlich harmlos im Vergleich zu blutnehmenden Moskitos.

Die Spinne ist ja seit geraumer Zeit bekannt als nützliches Tier und wird geachtet und akzeptiert, wenn sie ihre Fäden durch die Wohnung spinnt. Weil sie Ungeziefer fängt und vertilgt. Vor dem Silberfischchen ekelt man sich doch deutlich weniger als vor einer fetten Spinne. Aber wohl auch dadurch, das es blitzartig hin- und hersausen kann, ist es uns nicht geheuer. Im ersten Augenblick ist es hier, dann plötzlich dort, man verliert es schnell aus den Augen. Man kann es nicht erwischen, außer mit einem wahlweise kalten oder heißen Wasserstrahl oder einem Flammenwerfer.

Was sagt der gute alte Brehm zu diesem Wesen? In dem 640-seitigen Buch „Das neue Tierreich nach Brehm“, Ausgabe 1968 im Bertelsmann Verlag, welches ich als Kind komplett durchgelesen habe (ich war ein etwas anderes Kind) steht es unter: Thysanura, Borstenschwänze: „Das Silberfischchen (Lipisma saccarina Linné) war früher ein nicht seltener Gast besonders der Speisekammern. Auch unter feuchten Tapeten machte es sich zu schaffen, um die Reste des Stärkekleisters zu verzehren, usw.“

Da haben wir es schon! In Zeiten, in denen immer weniger tapeziert wird, können sich diese Geschöpfe nicht mehr versorgen. Nun versuchen sie ihr Glück in Zinkls Spüle.

Ich persönlich habe ein besonderes Verhältnis zu diesen Tieren und darf dazu aus meiner Kindheit erzählen. Wir hatten in den 60er Jahren einen überschaubaren Raum für die Badewanne, das Waschbecken und das Klosett. Der Boden bestand aus einem matten Mosaik mit quadratischen Steinchen, ca. 25 x 25 mm. Die meisten Steinchen waren weiß, zur optischen Auflockerung gab es dazwischen welche in allen Farben. Auch dunkle Steinchen. Dieser Boden war kalt und ein Tummelplatz für eine vielköpfige Silberfischchensippe. Sie flitzten hin und her — auf weißen Steinchen sah man sie, auf den dunkelfarbigen wurden sie unsichtbar. Das war irritierend und unangenehm, denn man hatte die Kollegen dann nicht mehr unter Sichtkontrolle.

In dieses Bad ging ich als Kind nicht gern barfuß hinein. Aber beim Toilettengang, so kurz vor dem Zubettgehen, war man halt barfüßig. Ich wurde in diesem Badezimmer zum Artisten. Vorsichtig eintretend kletterte ich sogleich auf den Badwannenrand, stützte mich am Waschbecken ab, hangelte mich vor zum Klo. In der Wanne waren die kleinen Teufel auch unterwegs. Es war gar nicht leicht, auszuweichen. Schließlich saß ich mit hochgezogenen Füßen auf der Kloschüssel und meine Augen wanderten suchend über den Mosaikboden. Wenn ich kein Fischchen mehr flitzen sah, hüpfte ich schnell auf Zehenspitzen wieder hinaus aus dem annektierten Raum.

Es ist also kein Wunder, dass ich mein aktuelles Silberfischchen verbrühen musste. Der Schrecken von damals steckt halt noch in meinem Unterbewusstsein. Und was man als Kind erlebt hat, damit lebt man ein Leben lang.

Zum Abschluss: Mein guter Freund Erich Harant hat mir zu diesem Thema ein selbst produziertes, ausuferndes Hörspiel geschickt, welches ich euch hier nicht vorenthalten möchte:

Herzliche Grüße,
Zinkl (Schreiberling), Harant (Akustiker)

Wir wünschen eine gute Zeit – bis in sieben Tagen zum nächsten zinkl-harant-Blog!
Thema: WAS WAR ZUERST DA?

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