Hi, Freunde des gepflegten Blogs,
weil ich am letzten Sonntag Gott in Frage gestellt habe, wäre ich die Tage beinahe vom Blitz erschlagen worden. Daher gibt es diesmal nur Fakten, Fakten, Fakten. Wer sich nicht bilden mag, bitte gleich wegklicken.
Ich bin ein großer Freund der klassischen Musik und ein fast noch größerer der peniblen Archivierung derselben. Über die Jahrzehnte hatte sich so viel angesammelt, dass ich eine wirklich große Regalwand brauchte. Und wenn etwas Neues dazukam, musste ich alle CDs wieder umschichten, zwecks der chronologischen Ordnung. Um diesen Irrsinn zu beenden, habe ich alles in den Computer hineingeschaufelt. Damit war ich tagtäglich einige Stunden beschäftigt und zwar über sechs Monate. Das zum Thema Irrsinn. Aber dieses Projekt war auch sehr mystisch!
Nämlich sortierte ich alle Komponisten in Dekaden-Kapiteln und fing damit in der Gegenwart an. Dann bewegte ich mich Jahrzehnt um Jahrzehnt in die Vergangenheit. Ich kam ins 19. Jahrhundert, dann ins 18. Jahrhundert, bis in den Barock — es war eine musikalische Zeitreise. Aber nicht nur das! Da jeder Komponist im iTunes-Programm auch eine Abbildung bekommt, fiel mir höchst Interessantes auf — lasset uns nun ein wenig zeitreisen:
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts konnte ich Fotos zu meinen Komponisten finden. Den berühmten Franz Liszt gibt es seit ca. 1880 als beeindruckenden Greis zu sehen, mit schlohweißen, etwas ausgedünnten aber noch immer langen Haaren. Auch in seinen mittleren Jahren posierte er schon stolz vor der Kamera. Aber wie der Franz als herrlicher Jüngling ausgesehen hat, der europaweit als größter Tastenvirtuose gefeiert wurde, das weiß man nur, weil er sich damals in Öl hat malen lassen. Nämlich erfand erst 1826 ein Herr Niépce die Fotografie und das war für Franz in seiner schönsten Blüte etwas zu spät.
Alle Komponisten, die ein paar Jahrzehnte früher geboren wurden (bespielsweise Ludwig van B.: 1770) konnten ausschließlich gemalt oder gezeichnet werden. Ludwig kennt man daher mit seiner natürlichen Haarpracht. Wenn man noch etwas mehr in die Vergangenheit springt, haben sie plötzlich alle weißgepuderte Perücken auf! So der allseits hochgeschätzte Wolfgang Amadeus (geb. 1756). Das war die damalige Herrenmode für den Adel und für Leute, welche mit dem Adel zu tun hatten.
Die lange Perücke war — man höre und staune — seit ca. 1630 im Einsatz. Ludwig XIV., der legendäre Sonnenkönig im Schloss Versailles, trug sie, um seinen armseligen Flusenkopf zu verbergen. Den feinen Herren gingen damals nämlich arg die Haare aus, wegen der allgegenwärtigen Syphillis und deren Behandlung mit Quecksilber. Also musste aufwändiges, teures, kunstvoll gelocktes Ersatzhaar her, oft bis auf Brustlänge gearbeitet! Eine Haarverpflanzung, wie sie sich Sir Elton John 2013 angedeihen ließ, war damals ja nicht machbar. In den schwer zu heizenden und zugigen Schlössern sorgte die künstliche Behaarung zusätzlich angenehm für Wärme! So kam sie in Mode und verbreitete sich in ganz Europa und darüber hinaus! Eine sagenhafte Erfolgsgeschichte für den Haarersatz (eine größere sollte viel später die Jeans haben, aber dazu komme ich noch).
Ungefähr 150 Jahre blieb die Perücke unverzichtbar für den Adel. 150 Jahre! Und da sich die Körperhygiene zum größten Teil aufs Pudern und Parfümieren beschränkte, hatte die Krone der Schöpfung wohl mehr oder weniger vermilbte, verlauste und vielleicht sogar verwanzte Haarteile auf dem Kopf getragen! Genau: Bestiarium Perücke.
Ich schalte unsere Zeitmaschine wieder langsam in den Vorwärtsgang: Die Perücke wurde mit der Zeit sehr viel kürzer, kam aber noch vor der Französischen Revolution (1789) außer Mode. Bei manchen altmodischen Adligen wurde sie hemmungslos mitgeköpft.
Wir reisen weiter. Im mittleren und späten 19. Jahrhundert hatten die ehrenwerten Herren das Haar dann lieber wuchtig im Gesicht. So gut wie allen meinen Komponisten wuchsen wuchernde Schnauzer und wallende Bärte (darunter Brahms, Dvorák, Rimsky-Korsakov) — und auch Männer anderer Berufsgruppen (Nietzsche, Marx, Röntgen) fanden das angemessen. Sicher, um die Knutschflecken am Hals zu verbergen. Dies wird man nie erfahren. Wahrscheinlich waren die Damen aber auch nicht allzu animiert von dem dichten Gestrüpp, durch welches sie sich zu kämpfen gehabt hätten.
Wir spazieren ins 20. Jahrhundert hinein, der Vollbart war passé, die Stolzen und Ehrenhaften (gerne die Preußen!) trugen weiter den obligatorischen Schnauzer (Hindenburg, Wilhelm II., Mackensen). Die Nazis schließlich setzten auf die Glattrasur (äußerlich gepflegt, innerlich verrottet), nur der Obernazi behielt sich ein kastriertes Teil, diesen scheußlichen Rotzfänger. So scheußlich wie der ganze Mensch.
Wie ging es nach dem Zweiten Weltkrieg weiter? Übers Haar will ich nicht mehr reden, das langweilt mich jetzt, aber nun begann (wie zuvor groß angekündigt) die Erfolgsstory der Jeans!
Zuerst war das eine möglichst robuste Beinbekleidung für die auf dem harten Erdboden herumwetzenden Goldsucher in Amerika (dank dem raffinierten Herrn Levi Strauss). Erst um 1950 wurde diese Hose interessant für die Jugend, weil James Dean und Marlon Brando damit posierten (und nicht im Dreck wühlten). In den 70er Jahren bekam die Jeans untenrum eine bunte Flowerpowerborte und das trugen dann auch die Mädels. Der 11-jährige Zinkl lief noch eine Woche nach der Faschingszeit in seiner Blue Jeans-Cowboyhose mit aufgeklebten giftgrünen Plastikfransen herum, kassierte dafür aber nur die mitleidigen Blicke seiner Fußballvereinskameraden. Wir lernen: Uncoole Typen setzen keine Trends!
Heutzutage hat fast jeder Mensch eine oder mehrer dieser Sorte Beinkleid und das ist durchaus vernünftig. So nützlich am Bein wie damals die Perücke auf dem Bimbus.
Allerdings ist es nicht lange her, da transformierte sich die Jeans vom robusten Nutzobjekt zum etwas merkwürdigen Objekt. Manch pubertärer Zeitgenosse ließ sie den halben Hintern runterhängen, als hätte er Schwerwiegendes hineingedrückt. Inzwischen hat der „used“-Wahn seinen orgiastischen Höhepunkt erreicht. Weil nicht mehr nach Gold gesucht wird, wird die Jeans bereits in durchlöchertem, aufgeschlitztem und wieder halbherzig zusammengeflicktem Zustand erworben. Wer im Besitz von sexy Kniescheiben ist, kann damit punkten. Vor zwanzig Jahren wurde ich von meiner Mutter getadelt, weil meine alte Jeans irgendwo ein zufällig entstandenen Loch hatte. Ha!
Und was ist mit der guten alten verlausten Perücke? Sie kommt leider nicht wieder! Als armseliges Revival könnte man vielleicht die lässige Wollmütze betrachten, die viele tolle Burschen auch im Hochsommer tragen. Und das, obwohl die wenigsten unter Syphilis mit Quecksilberbehandlung leiden und nicht in zugigen Schlössern wohnen.
Wann kommt die dreibeinige Hose? Wann das wallende Segelcape, welches man oben an den Ohren und unten an den Knöcheln festtackert? Funktion goodbye, welcome Narretei!
Dazu das obligatorische Mini-Hörspiel von Monsigneur Harant:
Herzliche Grüße,
Zinkl (Schreiberling), Harant (Akustiker)
Wir wünschen eine gute Zeit – bis in sieben Tagen zum nächsten zinkl-harant-Blog!
Thema (aufgrund einer neuen Faktenlage): SILBERFISCHCHEN. Teil 2
was es hier so zu endecken gibt *Schmunzel* 😉 sehr erquickendes Hörspiel :-))
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