010_720 x 360

Liebe Leser,

bald beginnt 2018, das Jahr des Glücks und der großartigen Ereignisse. Zinkl wünscht zuerst einmal allen ein gutes neues Jahr, G’sundheit und Freude ohne Ende. Da es üblich ist, sich zu solcher Jahresanfangszeit gute Vorsätze einzubilden, die man in die Tat umsetzen möchte, darf sich Zinkl hier hemmungslos outen und über seine Suchtn erzählen. Auf dass er sie in 2018 loswerden möge.

Es ist übrigens kein Rechtschreibfehler in der Überschrift. „Ja, wos host’n du fia komische Suchtn!“ ist bayerischer O-Ton, aber wer es nicht versteht, dem sei die Überschrift Süchte nahegelegt.

In meiner Kindheit gab es die Kosmetikverkäuferin Frau Angermeier, die Produkte von Avon per Hausbesuch anpries. Darunter war auch ein strahlend hellblauer Cremetopf mit Namen „Glycerin“ (wir haben damals jedenfalls Glycerincreme dazu gesagt). Diese Creme sei hautfreundlich und überhaupt. So kam sie in unser Haus und auch an meine Handinnenflächen. Man gewöhnte sich an die glitschige Wirkung und den unangenehmen Geruch.

Irgendwann, einige Jahre später, wurde diese Creme nicht mehr zu uns gebracht, weil Frau Angermeier ihre kosmetische Beratung niedergelegt hatte. Zu dieser Zeit war meine Handhaut aber schon süchtig nach der weißen Substanz, und es begann eine leidvolle Entziehungskur. Rauchern, die aufhören wollen, bietet man Nikotinpflaster an. Ich versuchte es mit dem Niveapflaster. Nivea war anders. Nicht ganz so glitschig und eher geruchsneutral — und der Topf war dunkelblau. Aber nach einer gewissen Übergangszeit hatte mein Körper das neue Produkt akzeptiert und wollte nichts anderes mehr. Denn auch der Suchtfaktor von Nivea ist hoch.

Über die Jahre und Jahrzehnte verlangte meine Hand- und inzwischen auch die Gesichtshaut immer öfter nach der weißen Droge. Zur Zeit, würde ich sagen, bei meinen Händen alle zehn Minuten; wenn ich friere, alle drei Minuten. Bei meinem Gesicht reicht es einmal morgens und abends. Wenn ich aus dem Haus gehe und vergesse, eine kleine Dose Niveaucreme einzustecken, bin ich die folgenden Stunden nicht zu gebrauchen. Ich leide wie ein Tier und kann mich nur noch auf eine einzige Frage konzentrieren: Wo ist der nächste Rossmann, der nächste Supermarkt, die nächste Apotheke? Glücklicherweise sind die blauen Dosen kein seltenes Produkt. Sobald ich dann einen Tupfer der heißbegehrten Substanz auf meine gefühlt Wüste-Gobi-trockenen Handinnenflächen verteilen kann, ergibt das Leben wieder Sinn für mich.

Jahrelang konnte man mich problemlos von hinten identifizieren, denn an der rechten hinteren Gesäßtasche meiner Hosen hatte sich ein heller Ring gebildet. Das kam daher, weil ich Niveadöschen in dieser Tasche beherbergte — stete Kante prägt den Stoff. Diese hübschen Ringe waren sogar durchs Bügeln nicht mehr wegzubekommen. Heutzutage trage ich meinen Niveaschatz im Rucksack oder in der Jackeninnentasche, denn ich bin in Bezug auf die Hosen eitler geworden. Die Ringhosen habe ich alle entsorgt.

Meine Handinnenflächen sind inzwischen so glatt und weich wie ein Babypopo. Sehr männlich ist das. Ich altere zwar unentwegt, aber meine Kinderhände eben nicht. Dank Nivea. Hat die Beiersdorf AG jemals eine größere Lobpreisung über ihr bestes Produkt erhalten? Sicher nicht.

Nivea wird mich bis ans Ende meiner Tage begleiten, ganz bestimmt. Ich kann davon nicht lassen. Die Kameraden aus meiner Schafkopfrunde müssen sich weiter mit schmierigen Spielkarten abfinden, weil ich mit eingecremten Händen zocke. Pia habe ich bereits infiziert, ich darf ihr abends die Füße massieren, davor creme ich sie ordentlich ein. Auf meinen Brillen befinden sich breite Nebelzonen, wegen stark eingefetteter Augenbrauen. In meiner Wohnung gibt es in jedem Zimmer mindestens eine gut sichtbar aufgestellte, große Dose. Es ist eine sehr sehr schlimme Sucht.

Ich hoffe, dass bei den Händlern nicht eines Tages Niveadosen auftauchen, mit Abbildungen von vom Teer verdichteter Menschenlunge oder von einem ockergelben Fuß mit weniger Zehen. Dann wäre ich verratzt (auf hochdeutsch: geliefert).

Es gibt bei mir eine weitere, andere „Sucht“, davon zu erzählen bliebe noch ein wenig Zeit. Das ist aber ein sehr ekliges Thema, das will ich gleich mal sagen. Wer empfindlich ist, sollte nun aufhören zu lesen. Allerdings wissen wir alle: Der Mensch besteht zu 100 Prozent aus Chemie (ja, auch die Seele besteht aus Chemie!). Das ist normal und kein Grund sich zu grausen.

Ich habe eine hochproduktive, künstlerisch tätige Nase. Immer schon. Wenn man atmet, dann segeln ja viele verschiedene Staubpartikel herein. Diese sammeln sich im unteren Innenbereich der Nase, wollen sich verbinden und bekommen dafür zur Unterstützung ihrer Architektur ein paar dünnflüssige Substanzen aus dem oberen Naseninnenbereich zugeliefert. So entstehen fantastische kleine Bauwerke in hübschen warmen Farben. Bei mir sind sie gerne rötlich, weil meine Nase auch winzige Mengen Blut bereitstellt. Diese Kunstobjekte aus der kreativen Natur behindern aber leider das freie Atmen. Und meine Nase ist sehr besitzergreifend, sie gibt ihre Schätze ungern heraus, diese sind oft an die Naseninnenwände wie anbetoniert und auch durchs Schneuzen kaum zu lockern. In diesem Falle muss man: bohren.

Bohren wird nicht gerne gesehen, wenn man es öffentlich tut. Es stößt die Menschen ab. Sie finden es furchtbar eklig. Menschen, die in der Nase bohren, sind ungehörige Ferkel, sie gehören in die Gosse verbannt. So meine Erfahrungen. Ich kann darauf nicht immer Rücksicht nehmen. Denn wenn es juckt, muss ich Abhilfe schaffen. Bis die Kanäle wieder atemfrei sind. Da aber ständig neuer Staub hereintrudelt, hört die Produktion dieser kleinen Teufelsgewerke niemals auf, man kommt also nie zur Ruhe.

Übrigens, sehr interessant und wahr zugleich: Wenn man unter anderen Menschen heimlich das Verbotene tut, dann kann man das nie völlig verheimlichen. Dann passiert es, dass sich andere, die das mitbekommen, an die eigene Nase fassen. Sie bohren zwar nicht selbst, aber sie tun so, als würde es sie jucken. Vielleicht juckt es sie auch — mein Juckreiz überträgt sich auf sie. Ein faszinierendes Phänomen, welches ich immer wieder beobachten kann. Man probiere es gerne aus.

Als ich in den frühen 90er Jahren unsere kleine Küche renovierte und die Wand hinter der Küchenplatte spachtelte und superglatt abschliff, war das eine staubige Angelegenheit. Die abgeschliffene Fläche wurde von mir mit weißer Lackfarbe mehrmals gestrichen. Eine gute Aktion. Aber meine Nase machte mir zusätzliche Arbeit. Ich beging den schweren Fehler, mit lackbelegten Fingern hineinzugehen. Das gab natürlich eine Entzündung. Die Renovierung der Küchenrückwand zog sich über mehrere Tage hin. Die Entzündung juckte und juckte. Was tat ich? Ich erschuf mir in meiner rastlosen Wut ein Loch in der Nasenscheidewand. So groß, um problemlos den Metallring eines mächtigen Angusrindes hindurchziehen zu können.

So ein Loch wächst nicht mehr zu. Aber meine Miniskulpturen bevölkerten nun diesen Bereich und wenn ich sie borg, waren sie halbmondförmig. Wie hübsch! Ich hatte schon die Idee, sie zu sammeln und sie dann in einem vielzelligen Setzkasten aus Plexiglas an die Wand zu hängen. 100 x 100 Kleinobjekte, jedes für sich ein Unikat von außerordentlicher Ausstrahlung. Die Natur ist der Schöpfer. Damian Hirst würde vor Neid erblassen. Ich habe es bisher nicht gewagt, denn ich habe Angst vor den Reaktionen meiner Besucher. Sie würden mich für ein perverses Schwein halten und mich ächten. Ich könnte mir dann auch gleich einen Nasenring anschaffen, das wäre nicht einmal mit Schmerzen verbunden.

Um diese Sache abzuschließen, mit meinen Suchtn: Wenn ich abends vor dem Zubettgehen eine fette Portion Nivea in die Nasenlöcher einbringe, dann bleibt der Innenraum über die Stunden des Schlafes feucht. Es entstehen keine Störenfriede aus Beton, sondern sie bleiben weich und soft und lassen sich am Morgen mit einem Papiertaschentuch zivilisiert entsorgen. So bedingen sich die Nasenpflicht und der Niveaeinsatz gegenseitig. Da sagt der Zinkl-Bayer schulterzuckend nur eines: Ja mei.

Ich habe noch mehr Suchtn, aber die lasse ich unter dem Deckmäntelchen der Verschwiegenheit verborgen. Man muss ja nicht alle intimen Details aus seiner Existenz proklamieren. Zumindest vorerst nicht.

Herr Harant hat mit einer ganz anderen Sucht zu kämpfen — hören Sie es sich an! Empfehlung: Kopfhörer aufsetzen.

Herzliche Grüße,
Zinkl (Schreiberling), Harant (Akustiker)

Nächste Woche geht es um den SCHMERZ. Ein düsteres Thema, das nicht nur eher dem fortgeschrittenen Alter zugeneigte Menschen betrifft. Ab dem 7. Januar online.

abstand-linie

Aktuelle Kommentare von Lesern:

Isa S.:
Pfui Deibel

Antwort Zinkl:
Genau! Der Deibel ist schuld.

abstand-linie

zinkl-harant_icon2