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Liebe Leser,

nachdem sich herumgesprochen hat, dass die Familie Kinski und Tom Cruise bei mir zu Gast waren, konnte ich nun endlich auch Gerhard Polt überreden, mich zu besuchen. Den Meister! Trotz Nieselregen und Sturmwind ist er gekommen, Respekt!

»Lieber Gerhard, das finde ich ja pfundig, dass du bei mir hereinschneist, das ist eine Sache, die habe ich mir gewünscht, seit Jahrzehnten.«

»Ja, mein lieber Anton, das wusste ich ja nicht, sonst wäre ich schon vor 20 Jahren zu dir gekommen, hihi. Aber spät ist ja nicht unbedingt ZU spät, was meinst’?«

»Gerhard, da ich dich noch nie live gesehen hab’, auf der Bühne, du bist ja immer sofort ausverkauft mit den Biermösln, ist es mir jetzt eine solche Freude, dass du da bist, und obwohl wir so ein Sauwetter haben, hast du dich nicht abhalten lassen — und, Gerhard, pfundig schaust du aus — pumperlg’sund sagt man bei uns, rosige Backen hast du, Herrschaftszeiten!«

»Ja freilich, Anton, ich lass’ es mir ja auch gutgehn, ich mach’ mir schon lange keinen Druck mehr, ich bin doch gewissermaßen bereits ein Pensionär.«

»Von wegen, Gerhard, und neuerdings bist du dann wohl auch noch Internetpensionär, hahaha, ich spiele an auf deine fröhliche Online-Kurzfilmserie „Auwehzwick 2.0“, und du verkaufst pfundige Polt-Artikel, wie die Tischservietten und Bierfuizl mit dir drauf, merchandise-mäßig ganz up to date. Super! Aber, Gerhard, ich hätte schon auch ein spezielles Gesprächsthema mit dir, wenns recht is.«

»Wenn’s des braucht, dann leg los, lieber Anton!«

»Des braucht’s, Gerhard! Also, in deiner damaligen Fernsehserie „Fast wia im richtigen Leben“, da erinnere ich mich an eine Folge, da kam am Schluss noch ein Lied und das hatte diese schöne Textzeile (darf aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht abgedruckt werden). Dieser Spruch, Gerhard, der hat sich mir ins Gehirn eingefräst, nachhaltig, der begleitet mich mein halbes Leben lang schon, und der bedeutet mir was, der Spruch, das kannst du dir gar nicht vorstellen.«

»Ah geh, Anton, dieser Spruch? Da erinner’ ich mich ja kaum mehr dran, des is ja vielleicht schon vierzig Jahre her, des könnt’ sein!«

»Wahrscheinlich, lieber Gerhard, war dir bei der Kreation damals gar nicht bewusst, was du da für ein Meisterstück gebracht hast. Und ich meine das nicht im Entferntesten ironisch, das würde ich mich bei dir nie trauen. Deine Filme, die kurzen und die langen, waren ja alles Meisterwerke, durch die Bank. Weißt du, aber gerade in diesem Spruch (darf aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht abgedruckt werden). Da steckt so viel ungezügelte Freiheitsliebe, soviel erzgute, im positiven Sinne konservative Direktheit, so viel impulsive Kraft, auch soviel bayrische Sprachschönheit… du siehst, ich kann da kaum mehr an mich halten, vor Begeisterung.«

»Ja, wenn das so ist, lieber Anton, dann bin ich aber schon jetzt neugierig, wie du mir deine Begeisterung erklären wirst. Ich mein’, dieser einfache Spruch!«

»Lieber Gerhard, in der Komprimierung auf das Wesentliche steckt die Genialität — das wusste Valentin, das wusste Loriot, das weißt du selbst am besten. Aber lass’ es mich schildern!

Ich sehe das so: Man befindet sich in einer aushäusigen Situation, also nicht zu Hause, meinetwegen in einer vollen Wirtschaft mit Freunden, oder man ist beim Spaziergang im Ebersberger Forst, oder man besucht mit der Frau eine Schwabinger Vernissage. Und da kommt einem dieser Spruch in den Sinn. Für mich bedeutet das, lieber Gerhard, dass ich entscheiden kann! Ich entscheide spontan und frei von Hemmungen, ob mir diese aushäusige Situation gut genug gefällt, dass ich ihr noch länger beiwohnen möchte — oder aber, mir reicht’s, ich habe genug: Da bin ich dann so frank und frei und verlasse die Situation sofort und gehe heim.«

»Genau, Anton, das ist die Quintessenz dieser Aussage. Das siehst du goldrichtig.«

»Aber, Gerhard, es geht mir da viel mehr noch um die Kompromisslosigkeit, um die Nichtangepasstheit, um das Rebellische! Wenn ich mit Freunden in einer bayrischen Wirtschaft sitze, und es herrscht ein brutaler Lärm wegen der vielen laut redenden Gäste und es läuft auch noch Popmusik, so dass ich meine Tischnachbarn nicht mehr hören kann, und das Essen kommt und kommt nicht. Dann halt ich das nicht mehr aus, und dann muss ich sagen: Freunde, es tut mir wahnsinnig leid, ich gehe, und zwar jetzt! Oder in der Vernissage: Da hängen vielleicht Malereien von Leuten, die mir ganz unkünstlerisch — ja direkt pfuschig — vorkommen, und es stehen so feinsinnige Kaviarfurzer davor und erkennen nicht, was das für ein Mist ist. Da muss ich sagen: Frau, das ertrage ich nicht eine Minute länger, ich muss hier rausgehen, sofort, mit dir oder ohne dich. Oder im Forst: Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, es riecht nach frischem Holz von den gefällten Stämmen, da schottert ein grell gekleideter Radler auf seinem aufgemotzten Mountainbike daher. Da sage ich zu mir: Raus hier, ich muss jetzt sofort raus aus diesem Wald, verstehst du mich, Gerhard?«

»Ja, freilich, Anton, das kenne ich doch! Da denke ich mir auch (darf aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht abgedruckt werden). Und dann gehe ich sofort weg, ich verlasse die unerträgliche Situation und ziehe heimwärts.«

»Auch, wenn der Gastgeber bei einer Festivität zu dir sagt: „Aber Herr Polt, wollen Sie denn schon wieder gehen, Sie sind doch gerade erst gekommen!“? Das ist doch eine schwierige Frage und eine peinliche Situation.«

»Anton, das ist es! Aber da muss man sich denken: Bevor ich hier nun noch länger mit saugrantigem Gesicht herumstehe und mich betrinke und vielleicht auch noch einen bösen Streit vom Zaun breche und jemanden schlage, da gehe ich doch besser und erspare den anderen Gästen viel Ungemütliches.«

»Gerhard, du sagst es! DU SAGST ES! Und das ist dann auch noch die urbayrische Vernunft, die in dem Spruch steckt. Kompromisslose, urbayrische Vernunft (darf aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht abgedruckt werden). Es bedeutet ja auch: Es KÖNNTE mir durchaus gefallen in der Wirtschaft, auf der Vernissage, im Wald – aber wenn ich nicht mehr wollen täte, täte ich heimgehen. Und zwar sofort.«

»Respekt, ausgezeichnet interpretiert, aber genau so is des, mein lieber Anton! Und jetzat bedanke ich mich für diesen geistvollen Gedankenaustausch, und ich meine das wirklich auch völlig unironisch — aber jetzt muaß i geh’, weil i nimma mog, und zwar sofort. Dafür hast’ Verständnis, gell?«

»Gerhard, dafür hat niemand mehr Verständnis als der Zinkl. Pfundig war’s, dass du da warst, mach’s guat, und ein schönes Restleben wünsche ich dir.«

Hier Herrn Harants Beitrag, der ganz sicher keine Urheberrechte verletzt, aber natürlich urheberrechtlich selbst geschützt ist. Wehe, jemand singt das nach, ohne Herrn Harant um Erlaubnis zu fragen! Dann geht das vor Gericht.

Herzliche Grüße,
Zinkl (Schreiberling), Harant (Akustiker)

Nachtrag 1: 
Jaja, die Urheberrechte. Das hat schon alles seinen Sinn und seine Berechtigung. Hier Herrn Wells freundliche Antwort auf meine bescheidene Anfrage, ob ich diesen Spruch (siehe oben) verwenden darf:

Lieber Herr Zinkl,
Vielen Dank für Ihre Anfrage. 
Gerhard Polt ist sehr zurückhaltend mit der Herausgabe seiner Rechte.
Das ist also leider nicht in seinem Sinne!
Danke für Ihr Verständnis!
Viele Grüße,
Michael Well  

Herr Harant und ich haben da vollstes Verständnis dafür, das ist doch klar. Das wäre ja noch schöner.

Nachtrag 2:
Dieses Schreiben von Herrn Michael Well ist übrigens die reine Wahrheit. Ganz im Gegenteil zum Interview, welches durchaus als Schwindel verstanden werden darf.

Nächstes Wochenende beantwortet Zinkl endlich den ersten Leserbrief zu seinem neuen Fachgebiet »Lebensberatung«, welches er von Alexander Borell übernommen hat:
Elf Freunde

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