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Liebe Leser,

am 01. Februar 2018 schrieb mir bezüglich meines neuen Fachgebiets „Lebensberatung“ (welches ich in Blog Nr. 014 für Hilfe suchende Menschen angeboten hatte) Herr Johannes S. einen Brief. Es tut mir sehr leid, dass es mit meiner Stellungname dazu so lange gedauert hat, aber ich wurde förmlich mit „Sorgenpost“ zugeschüttet — das musste erstmal alles sortiert werden. Aber nun, lieber Herr S., sind wir soweit. Hier für die anderen Leser zur Erinnerung Ihr Schreiben an mich:

»Sehr geehrter Herr Zinkl,
gerne nehme ich Ihr Beratungsangebot an, allerdings im Auftrag meines Sohnes, den folgendes Problem beschäftigt: Er spielt seit Jahren in einem Fußballverein. In letzter Zeit wird dieser Verein aber immer schlechter und fährt eine Niederlage nach der anderen ein. Mein Sohn überlegt nun, ob er den Verein verlassen soll. Da er einer der besseren Spieler ist, wäre das für den Verein aber ein weiterer Todesstoß. Mein Sohn empfindet es daher als unfair, diesen Schritt zu tun; andererseits ist es für ihn auf die Dauer frustrierend, immer nur Niederlagen einzufahren. Wie soll er sich verhalten?«

Zuerst einmal darf ich mich für das Vertrauen bedanken, welches Sie, Herr S., in mich setzen — ich freue mich sehr, ihnen hier beratend zur Seite stehen zu können.

Anhand der Problematik, mit der sich der junge Fußballer auseinandersetzt, lässt sich übrigens hervorragend die fundamentale These von Charles Darwin unterstreichen: die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese, bzw. nur der Stärkere wird überleben. Ich darf dazu etwas ausholen:

Vor 370.000 Jahren war es den Menschen bereits möglich, mit Wurfspeeren auf die Jagd zu gehen. Nun stelle man sich vor, eine Sippe — wir wollen sie „Die Unfähigen“ nennen — konnte mit ihrer Ungeschicktheit und ihren schlecht gearbeiteten Speeren so gut wie nie einen Jagderfolg erzielen. Die Speere trafen nicht oder zerbrachen. Also musste man sich mit Waldbeeren, Pilzen und Kräutern begnügen — keinesfalls eine ausreichende Ernährung für den harten Überlebenskampf in der damaligen Zeit. Eine andere Sippe dagegen — „Die Fähigen«“ — waren mit ihren tadellosen Speeren und ihrer hervorragenden Wurftechnik ganz ausgezeichnete Jäger. Sie erlegten mühelos den großen Urhirschen und das wehrhafte Urwildschwein. Bei den „Unfähigen“ lebte ein junger Mann, der jedoch ein ziemlich guter Jäger war. Leider konnte er mit der schwachen Unterstützung seiner Kameraden letztendlich auch nicht viel Wild erlegen. Dieser Mann ahnte, dass seine Sippe bald zugrunde gehen würde und er grübelte, ob er nicht besser zu den „Fähigen“ gehen sollte, um mit diesen Leute zu jagen, zu leben und um dort eine Familie zu gründen. Ob er letztendlich seine eigene Sippe im Stich gelassen hat und damit deren Untergang beschleunigte, können wir nicht wissen.

Freilich geht es in dieser Geschichte um Leben oder Tod. Fortentwicklung oder Untergang. Fressen oder gefressen werden. Ganz so dramatische Auswirkungen dürfte es nicht haben, wenn sich im Fußballsport Jugendmannschaften miteinander messen und eine Mannschaft dabei ständig verliert. Aber es stellt sich hier auch noch die Frage: Soll der bessere Spieler seinen unfähigeren Mitspielern weiterhin beistehen, weil sie aus seiner Sippe sind? Oder soll er die Mannschaft verlassen und vielleicht zu einer erfolgreicheren Truppe in einen anderen Verein wechseln? Ein Profi würde das tun, weil er seinen Lebensunterhalt damit bestreitet.

Ihr Sohn ist diesbezüglich zwar kein Profi, aber er spielt Fußball auch nicht grundlos: Er möchte Spaß haben. Dazu gehört (zumindest gelegentlich) der Sieg und keinesfalls das ständige Einholen von Frustrationen. Seine Motivation scheint jedenfalls schon beeinträchtigt zu sein.

Ist es fair, seine Freunde im Stich zu lassen? Grundsätzlich natürlich nicht und ich gratuliere Ihrem Sohn zu seiner empathischen Haltung, über diese Problematik zu brüten. Im ethischen Sinne ehrenvoller ist es bestimmt, mit seinen Kameraden weiterhin gegen übermächtige Gegner anzukämpfen und im edlen Heldentum zu verenden, als sich auf die Seite des Feindes zu schlagen, siegreich zu sein und zur Belohnung goldene Pokale und schöne Frauen zu erhalten (Kann uns Immanuel Kant hier weiterhelfen? Das mag sein, aber dazu muss man den Kategorischen Imperativ erklären. Puh! Das will ich Herrn S. und dem geneigten Leser dieser Kolumne hier jetzt ersparen. Kann ja jeder Eifrige bei Wikipedia selbst nachlesen, ob Kant zuständig ist.).

Was ist zu tun? Nun, es wäre für den engagierten Fußballer zu klären, wie stark die Freundschaftsbande zu seinen Vereinskollegen überhaupt sind. Trifft man sich nur relativ kommunikationslos zum Spielen? Oder sind es nette Burschen, die ihm durch das gemeinsam empfundene Niederlagenleid fest ans Herz gewachsen sind und die er vermissen wird, wenn er geht?

Ich denke, der Leidensdruck der jugendlichen Fußballmannschaft hält sich langfristig in Grenzen, wenn Ihr Sohn, lieber Herr S., das Handtuch wirft. Aus den Augen, aus dem Sinn. Es ist ja nicht so, dass er viel ausrichten konnte, nein, künftige Endergebnisse ohne ihn werden ähnlich sein. Also: die Mannschaft verlassen.

Andererseits: Ob er in einer anderen Truppe glücklicher sein wird, ist fraglich, denn vielleicht sind die dortigen Burschen ja unfreundliche Wüteriche. Oder sie spielen viel besser als er und Ihr Bub landet auf der Ersatzbank? Aktuell hat er einen sicheren Stammplatz in seinem Team, was ja nicht zu verachten ist.

Aber vielleicht will ihr Sohn ja GAR kein Fußball mehr spielen, sondern lieber Minigolf. Dann kann ich dazu sagen: Nur zu! Sei siegreich in einem Sport, für dessen Ausgang du ganz alleine verantwortlich bist.

Es gibt also für das Problem keine Paradelösung. Bleiben oder gehen. Beide Seiten, wenn man sie beleuchtet, haben etwas für sich. Das Leben ist nun mal kein Ponyhof, und man muss sich eine verbesserte Situation hart erkämpfen. In der Steinzeit war das so, der gestresste Manager im heutigen Berufsleben kennt diese Sorge — und besonders im Fußballsport gilt: Wer nicht auf der richtigen Seite fightet, geht mit unter. Ja mei.

Der hier Beratende war als Junge selbst Fußballer. Jedoch war er der schlechteste Spieler und ist deshalb irgendwann aus dem Verein ausgetreten. Das war fair gegenüber seinen Mitspielern und gegenüber sich selbst (vor allem!) auch. Eine vernünftige Entscheidung, die damals aber nicht leicht gefallen ist.

Ich wünsche Ihrem Sohn nur das Allerbeste, egal wie er sich entscheiden wird. Und er sollte sich zwar verinnerlichen: Sei dankbar über jede Niederlage, denn nur sie bietet dir die Möglichkeit, dich zu steigern!

Aber trotzdem: raus aus der Mannschaft und auf zu neuen Ufern!

Herr Harant zieht mit seinem Tonstudio gerade um, daher konnte er kein frisches Hörspiel liefern. Er hat aber sehr tief in seinem staubigen Archiv gekramt und dieses Werk gefunden, welches dem Thema Sport freundlich zugeneigt ist:

Herzliche Grüße,
Zinkl (Schreiberling), Harant (Akustiker)

Nächstes Wochenende schreibt Zinkl über den Freitag, und was da bei ihm passiert:
Der Weltuntergang

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