Liebe Leser,
ich hatte gestern Geburtstag und bin diesmal wieder kein Jahr jünger geworden, sondern nochmal eines älter. Aber diese Blog-Überschrift hat damit wirklich rein gar nichts zu tun, das darf ich versichern.
Meine 14-jährige Tochter Linda ist am Freitagabend immer zu Gast in meinem bescheidenen Haushalt. Freitag ist ein ziemlich relaxter Tag für mich. Die Kundschaft macht mittags schon die Schotten dicht, ich dichte die Schotten deshalb auch und vertreibe mir die geschenkte Freizeit mit dem Kauf von acht Fläschchen Gemüse-Smoothie beim guten Rossmann.
Neuerdings esse ich morgens nämlich immer einen Apfel (es muss „Pink Lady“ sein, unbedingt und ausschließlich „Pink Lady“) und trinke Gemüse-Smoothie. Danach werfe ich meine sieben Gesundheitspillen ein. Sie sollen die Disfunktionaliät von Schilddrüse, Magen, Blut, Hirn und anderen unwesentlichen Körperfraktionen gewährleisten, äh, ich meine verhindern.
Ich bin so eine arme Sau, dass ich ohne Tabletten das Leben nicht mehr meistern kann. Im Mittelalter, in der Renaissance, im Barock oder auch vor dem Kalten Krieg wäre ich in diesem meinem jetzigen Alter vermutlich schon ein Wrack gewesen, in jeder Hinsicht — weil die medizinische Wissenschaft damals noch nicht so weit war, als dass mich solche wundersamen Pillen hätten sanieren können. Glück muss man haben. Wenn man, wie ich, 1960 geboren worden ist, hat man zwar die Beatles nicht mehr live erleben können, aber das ist ja ein Fliegenschiss im Vergleich dazu, im fortgeschrittenen Alter über ein Tablettenbatallion zu verfügen, mit dem man es vielleicht mit Johannes Heesters aufnehmen können wird. Ich werde prüfen, ob es gelingt — auch ohne Simone Rethel.
Was wollte ich eigentlich erzählen? Ach, ich plappere nur so vor mich hin, diesmal will ich die Existenz Gottes ausnahmsweise nicht in Frage stellen. Auch die lustige Glosse über die Flugtauglichkeit von deutschen Eichhörnchen bei Nacht spare ich mir noch auf.
Wenn mein Töchterlein bei mir ist, muss es am Abend was zu essen geben. Diesmal kaufte ich beim Rossmann zusätzlich aus der Bioabteilung neben der Smoothieladung auch eine Packung „Marokkopfanne“. Das ist ein Hirsegericht mit tausenderlei Zusatzkram vermischt. Wenn ich das alles einzeln kaufen müsste, wäre ich zwei Tage auf Reisen.
So eine Marokkopfanne kann ein feines Gericht sein, wenn man weiß, was Anschwitzen bedeutet. Ich habe die Anweisungen auf der Tüte absolut korrekt befolgt und die Kornmischung in die geölte Pfanne eingeworfen, aber dann wohl zu lange bei starker Hitze „schwitzen“ lassen, bevor das Vielerlei mit 750 mg Wasser gelöscht wurde. Es hat alles noch brav geköchelt, 15 Minuten lang, danach brav gezogen bei geschlossenem Deckel — aber schließlich, sich auf dem Teller befindlich, gemundet hat die marokkanische Spezialität eben nicht. Geschmeckt hat es irgendwie bitter, verbrannt, verkohlt, verteert. Ich musste alles ins Klosett werfen. Verfluchtes Marokko.
Es gab dann ersatzweise Lidls wunderbare Zigeunerwürste. Die brauchen nicht schwitzen, die schmecken erst so richtig gut, wenn sie angebrannt sind — und wenn man dann noch den original Estragonsenf von „Mautner Markhof 1841 dazuspritzt“ (von dem ich aus Wien zehn übergroße Tuben importiert habe), dann ist das ein Gericht, da kann eine angekokelte Marokkopfanne nur von träumen. Ich kann halt Afrikanisches nicht. Aber ich werde das Anschwitzen erlernen.
Meine Tochter hat sich großzügigerweise über das doppelte Abendessen nicht beschwert, dafür stellte ich ihr in Aussicht, zur Belohnung für ihre Duldsamkeit mit ihr einen schönen Horrorfilm anzuschauen. Wir machen Freitagabend oft Filmkunstabend. Da zeige ich ihr die Klassiker, die man gesehen haben muss. Ich begann vor einem halben Jahr mit Murnaus Nosferatu. Mit Max Schreck, dem unübertroffenen Meister aller Vampirklassen. Wenn Max Schreck auftaucht, ist das so geil, ich kenne wenig Extatischeres. Doch auch der Klausi hat sich bestens geschlagen (der geneigte Leser hat ihn ja in Blog 007 bereits persönlich kennengelernt).
Vorige Woche gab es „Der Nebel“, die Stephen King-Verfilmung von 2007. So manche Horrorfilmspezialisten werden jetzt vorschriftsmäßig murren, das sei doch kein Klassiker. Stimmt. Aber ich finde ihn köstlich. Die böse Religionsfanatikerin! Da ist auf Stephen King echt Verlass. Vor allem jedoch die fatale Schlussszene, wenn das brontosaurierhohe Tentakelmonstrum würdevoll durch den Nebel vorbeiwuchtet, in der Form nicht ganz unähnlich meinem Lego-„Heavy Assault Walker“ (siehe Blog 008) — dieser beachtliche Auftritt ist wie ein Fanal für den Untergang der menschlichen Zivilisation. Fantastisch! Und die fünf überlebenden Sympathieträger in dem benzinlosen Ranch Rover sehen als letzten Ausweg nur noch… aber seht euch das selbst an!
In unserer wahren Welt ist es übrigens auch geschafft worden, schreckliche Kreaturen aus einer versehentlich geöffneten Dimension der Monster auf die Erde zu lassen. Sie heißen Donald Trump und Kim Jong-un und ich wüsste noch ein paar weitere, eines treibt sich im vorderen Orient herum. Leider deutet so manches darauf hin, dass es immer mehr werden. Der Jüngste Tag ist nah, liebe Leut’.
Heute schauten wir uns „Carrie“ an, von Brian de Palma, 1976. Eigentlich schon als Klassiker zu bezeichnen. Mit der intensiven jungen Sissy Spacek als Opfer ihrer wahnsinnigen religionsfanatischen Mutter (super!) — und mit John Travolta als hirnlose Arschgeige. Damals war er wahrscheinlich noch kein Mitglied in der Scientology-Disco, und es war vor seiner Zeit als Tanzflamingo in Saturday Night Fever. Der Regisseur de Palma hat nervigerweise den akustischen Schrecken aus Hitchcocks Psycho zitiert (aus der Duschszene, die jeder kennt), anstatt sich was Eigenes einfallen zu lassen. 1976 war das noch originell.
Ja, so ein Freitagabend, der hat schon was. Erst verbrennt die Marokkopfanne, danach verbrennt der ganze Tanzsaal, in welchem die arme Carrie mit Schweineblut überschüttet wird. Während ich dies schreibe, ist es 2.11 Uhr, und Linda Zinkl chattet seit mindestens drei Stunden am iPhone mit der Freundin ihres Vertrauens, Clarice. Ich höre halbwegs mit, weil sie nur zwei Meter von mir entfernt sitzt. Das stört sie nicht und mich irgendwie auch nicht. Ich finde es beruhigend, es hat was von einer Wellensittich-Stimmung, in welcher die Vöglein vergnügt miteinander zwitschern.
Es geht darum, wer wen warum mobbt oder/und stalkt (siehe auch „Carrie“), welches Mädel aus der Clique die guten Jungs wegschnappt und dass sie darüber hinweg ist, sich wegen schiefgelaufener Dates aufzuregen. Abgeklärt mit 14, Maximum-Respekt. Sie redet und kichert und redet und berät und sorgt sich und redet und kichert und redet… mir wäre da längst der Gesprächsstoff ausgegangen. Aber Linda hat auch keinerlei Probleme damit, wenn die Themen sich endlos wiederholen und manches in den Graben der Banalität rutscht. Da springt sie locker drüber.
Womit ich nicht sagen will, dass dieser mein Aufsatz heute keine endlose Banalität wäre. Puh! Gehen wir ins Bett, ist wohl besser so.
Ich muss mir noch gut überlegen, wann ich meinem Töchterlein „Der Exorzist“ serviere. Das ist absolut härtester Stoff — damit aufgetankt konnte ich 1973 eine Woche lange nachts nicht mehr schlafen. Ich liebe die Erinnerung daran, als die Regan/Linda Blair böse glotzend auf dem Teppichboden meines Schlafraumes herumkrabbelte.
Mal sehen, wie viele schlaflose Nächte meine Linda benötigen wird, um diesen legendären Dämonenaustreiberschocker zu verdauen. Pazuzu hieß der Bösewicht! Ich weiß, ich bin ein grausamer Vater, ein ganz grausamer Vater! Naja, wer beizeiten abgehärtet wird, der kann sorglos durchs Leben driften. Kann ja keiner behaupten, ich hätte meine Tochter nicht darauf vorbereitet, dass es Dämonen gibt und den Satan sowieso.
Sieglinde, meine ganz liebe, herzensgute Putzhilfe, weiß das übrigens auch. Sie kennt die Bibel in- und auswendig und warnt mich, ich solle die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich lache dann und sage ihr, ich wäre sowieso ein Kandidat fürs Fegefeuer. Das findet Sieglinde alles andere als witzig. Sie sagt, sie betet für mich. Ich bin froh, dass ich Sieglinde als Beistand habe, wenn es ernst wird.
Herr Harant und der Weltuntergang:
Nächstes Wochenende schreibt Zinkl über die Offenbarung, und gewisse Insider werden vielleicht schon ahnen, worauf er mit diesem Titel hinauswill:
Firth of Fifth