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Liebe Leser,

im vergangenen Sommer, am Sonntag, den 12. Juli 2020, ist der Herr Zinkl mit einem Enkelsöhnchen geadelt worden. Das ist jetzt schon mal einen Blog wert. OOOPAAA!
Hat nicht das berühmte Schweizer Almmädel Heidi zu ihrem rüstigen grauvollbärtigen Alm-Öhi „Großvatterrr“ gesagt? Ich glaube aber, mir ist es recht, wenn der Bub ganz schlicht „Opa Z.“ zu mir sagen wird, meinetwegen auch „Opa Toni“.

Nun, schwarzvollbärtig bin ich damals als 21-jähriger Zivildienstleistender gewesen, graubärtig war ich übergangsweise vor sieben Jahren auf der Theaterbühne als „Alter Bauer“. Rüstig darf ich mich auch heute noch mit gutem Gewissen nennen, aber einen kratzigen Bart werde ich mir garantiert niemals mehr stehen lassen. Also: Opa Z., rüstig und bartfrei.

Man hat den winzigen Buben, welcher mit skeptischen Äuglein in die graue Coronawelt hineinschaut, übrigens nach dem berühmten englischen Schriftsteller Poe genannt (ohne „Allen“) — oder vielleicht sogar nach dem Krimiautoren Wallace? Wie auch immer, sobald ich zu dem Kleinen „Eddie“ sage, bekomme ich mit seiner Mutter so richtig heftigen Ärger.
Man dürfe nämlich zu ihm „The Edge“ sagen, oder auch „Edgy“, oder notfalls auch Ed,  aber wehe, der Zinklopa nennt den wohlgeratenen Knaben nach dem Billardspieler „Schneller Eddie Felson“, den der großartige Paul Newman 1961 in „Haie der Großstadt“ verkörpert hat.

Was bitte ist gegen Eddie einzuwenden? Der legendäre Musikproduzent Eddy (richtig, mit „y“) Offord hat in den frühen 70er Jahren große Bands wie YES und ELP betreut, auf der ELP-Schallplatte „Tarkus“ gibt es sogar ihm zu Ehren das fröhliche Stück „Are you ready, Eddy?“
Wem Eddy Offord nichts sagt, der hat vielleicht schon mal was gehört von Eddie Jobson? Oder von Eddie Vedder? Oder von Eddie Constantine? Lauter großartige Künstler! Kennt ihr alle nicht? Aber Eddie van Halen, den kennt ihr schon, oder?

Nun gut, vom Billardprofi ist Klein-Edgar aktuell ziemlich weit entfernt, vom Supergitarristen auch noch geraume Zeit. Momentan klebt er an seiner Marlen-Mama wie Pattex, und wenn er sich davon lösen soll, gibt es ein Geplärre, als würde seine Welt untergehen.
Überhaupt: Man muss mit dem Edgar-Baby schon so richtig verbal süßeln, damit es das Munderl zu einem Lächeln bewegt. Denn Edgar ist ein ernsthafter junger Mann, dem man ansieht, dass er der Welt nicht traut, dass er sie als Bedrohung empfindet.

Was diese Grundhaltung betrifft, erinnert mich Edgar etwas an den Zinkl, als er ein Kleinkind gewesen ist. Es gibt aus den frühen 60er Jahren leider nur ein paar wenige Schwarzweißfotos, die den Minizinkl abbilden. Aber auf jedem dieser Bilder schaut dieser drein, als wäre Markt Schwaben ein Ort der dunklen Mächte, vor dem man sich fürchten und hüten muss. Gefahr drohte stets von überall, vom Metzger Kressierer, vom Fotografen Scheininger, von den katholischen Kindergartenschwestern — bei jeder unwillkommenen Gelegenheit verzog sich die untere Gesichtshälfte in eine deutliche Verzweiflungsmimik und salzige Kindertränen waren ständig bereit zu fließen. Dabei gab es nie auch nur den geringsten Anlass zum Verzagen.

Ich glaube, dass der Mensch grundsätzlich nicht als fröhliches Wesen geboren wird — es ist ja wohl kein Vergnügen, in völliger Hilflosigkeit und totaler Abhängigkeit auf die Gunst von Erwachsenen angewiesen zu sein.
Gut, es mag ein paar Frohnaturen geben, die bereits als Baby lustige Witze zum Besten gegeben haben oder sich auch nur freuten, wenn sie von Erwachsenen debil angegrinst wurden. Aber das sind seltene Ausnahmen, würde ich meinen.
Gnädige Gelassenheit mit seinem Umfeld, der optimistische Blick auf das, was kommen mag: Das ist doch dem frischgebackenen Erdenbewohner völlig fremd. Und das halte ich auch für vernünftig, denn die Welt IST ein bedrohlicher Ort, welcher nur mit einer liebenden und umsorgenden Mama zu ertragen ist. Meine Tochter Marlen ist eine großartige Mama, so wie meine eigene Mama es war und immer noch ist. Muttertiere, die todesverachtend allen Gefahren trotzen, die sich dem kleinen Buzzi in den Lebensweg stellen.

Dass verzogenen Buben damit allerdings die Verweichlichung droht, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ich war als Kind eine ängstliche Heulboje, tut mir leid, dass ich das sagen muss. Es hat Jahrzehnte gedauert, das loszuwerden, es war ein langer harter Prozess, durch den ich gehen musste.

Deshalb: Sobald der Kleine ein bisserl laufen wird können und hören/verstehen, was ihm der komische grauhaarige Mann zu zeigen hat, wird er schon merken, dass die Welt ein lustiger Ort ist, dem man nicht unbedingt mit Tränen der Verzweiflung begegnen muss.
Wir werden zusammen Star Wars-Legomodelle bauen, wir werden die Grundregeln des Schafkopfens erörtern, wir werden alte Vinyls vom Kater Mikesch und von Peterchens Mondfahrt hören.
Und wir werden sehr früh mit musikalischer Grunderziehung beginnen, wir werden Eddie „Close to the Edge“ von YES vorspielen (die Liveversion von „Yessongs“) und „Dancing with the Moonlit Knight“ von Genesis. Geschmacksbildende Maßnahmen halt. Und Eddie wird Zinklmusik lauschen, damit er weiß, was Opa schon so alles verbrochen hat.

Aber bis es soweit ist, ist es völlig in Ordnung, dass sich das halbjährige Buberl furchtsam benimmt, wenn es das faltige Gesicht des alten grauhaarigen Mannes erblicken muss.

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