BvsN-14

Fortsetzung von Blog Nr. 251

21. Februar, Dienstag, 19.50 Uhr.

Gerald saß an der Uferpromenade auf einer Bank und genoss die nächtliche Stimmung mit Blick auf den See. Die Sonne war schon vor zwei Stunden untergegangen, Februar halt. Die Schweizer Seite zeigte ihm ihr Panorama, dessen Lichter spiegelten sich auf der glatten Wasseroberfläche. Welche nur von einem Motorboot gestört wurde — dieses war aber so weit entfernt, dass es die angenehme Stille nicht unterbrach. Ziemlich frisch war es und Gerald war froh um seinen Wintermantel und um die Fellmütze aus Anzing. Hinter ihm lag das Café Mohler, es hatte um diese Zeit bereits geschlossen. Immer wieder drehte er sich erwartungsvoll um. Ob die hübsche Schweizerin kommen würde?

Um fünf nach acht näherte sich dem Café eine weibliche Person, tatsächlich, das schien SIE zu sein. Gerald stand auf und winkte zu ihr hinüber. Sie blieb kurz stehen, zögerte. Nachts einen völlig fremden Mann zu treffen, war ihr aus guten Gründen nicht geheuer. Gerald ging ihr ein Stück entgegen und rief ihr zu:

»Hi! Wunderbar, dass du gekommen bist, freut mich wirklich sehr. Ganz schön kalt ist es hier abends am See. Aber wenn wir ein wenig spazieren gehen, wird es uns schon warm werden.«

Sie lächelte ihn an. »Ja, das können wir gerne machen, ich schlage vor, wie nehmen den Spazierweg, direkt am See entlang.«

»Also: Ich bin der Gerald aus München, frisch importiert ins romantische Meersburg. Die Burg ist ja grandios beleuchtet. Ich war schon mal an diesem Ort, aber das ist eine Ewigkeit her.«

»Ich bin die Barbara! Als Kind nannte man mich „das Bärbeli“, typisch Schweiz halt. Aber dafür fühle ich mich inzwischen ein bisserl zu alt. Du kannst mich Babs nennen, wenn du magst.«

»Babs klingt sehr schön für mich. Weißt du, an was mich der Name erinnert? Ich habe als Jugendlicher viele Comics gelesen, am liebsten die mit Batman. Die Tochter des Polizeichefs hieß auch Babs. Nachts hat sie als Batgirl die Gangster gejagt. Ich war damals richtig verknallt in sie. Verrückt, in eine Comicfigur verliebt zu sein.«

Babs lachte. Gerald schien das Eis etwas gebrochen zu haben. »Und sind dann Batman und Batgirl-Babs ein Paar geworden?«

»So viel ich weiß, nicht. Batman hatte in den Heften ja nie eine Freundin, er hatte für solche Späße keine Zeit gehabt, er war ein Getriebener und immer auf der Hut davor, dass seine wahre Identität aufgedeckt werden könnte.«

»Aber Gerald hat dafür Zeit?« Sie redete nicht um den heißen Brei herum, was ihm sehr gefiel.

»Ja, inzwischen schon. Willst du etwas mehr von mir wissen?«

»Ja klar! Du bist also aus München?«

»Ein echtes Münchner Kindl, ja, aber ich kann meinen bayerischen Dialekt gut zurückhalten. Deinen finde ich übrigens nett, er passt gut zu dir.«

»Soso. So klingen aber viele Schweizer Frauen.«

»Du bist die erste Schweizer Frau, die mir über den Weg gelaufen ist. Ich war tatsächlich noch nie in der Schweiz, hat sich einfach nicht ergeben.«

»Und da hast du dir gedacht, diese erste Schweizer Frau lädst du gleich zu dir in deine Pension ein, soso.«

»Das war ziemlich unverschämt von mir, das stimmt. Ich habe sowas zum ersten Mal gemacht, echt wahr. Ich bin zur Zeit aber auch in einer Ausnahmesituation. Habe vor ein paar Tagen beschlossen, ein sogenanntes Sabbatjahr einzulegen. Um endlich mal dort hinzufahren, wo ich noch nicht gewesen bin. Das Leben ist zu kurz, um nur immer für die Kundschaft da zu sein.«

»Ach, da sagst du was! Das kenne ich nur zu gut.«

»Erzähl!«

»Erst du!« Sie hängte sich bei ihm ein, was er unglaublich süß fand.

»Also, Babs. Wo fange ich an? Ich bin Grafiker, freiberuflich tätig. Und weil die Konkurrenz nicht schläft, war ich rund um die Uhr für meine Kunden da. Die konnten mir am späten Nachmittag einen Job rüberschicken, ich habe das dann nachts erledigt und am nächsten Morgen hatten sie es bereits auf dem Tisch. Meine Kernkompetenz gewissermaßen.«

»Dann bist du eine Fledermaus, so wie Batman.«

»Kann man so sagen. Aber irgendwann war die Fledermaus ziemlich gestresst und ist wirr herumgeflattert und fragte sich, ob dies das wahre Fledermausleben sei. Immer in der gleichen muffigen Höhle abhängen.«

»Und dann ist die Fledermaus Gerald ausgeflogen?«

»Direkt nach Meersburg, zu der Fledermausdame Babs, könnte man sagen.«

Sie kicherte, sie schien sich wohl zu fühlen mit ihm. »Kannst du dir das leisten, deine treue Kundschaft hängen zu lassen?«

»Naja, was kann man sich schon leisten. Ich bin nicht reich, aber ich habe das Geld auch nicht mit vollen Händen rausgeworfen. Fahre einen Smart, mit dem komme ich überall hin. Also für ein Jahr dürften meine Ersparnisse gut reichen. Was danach kommt, steht noch in den Sternen.«

»Jaja, die Sterne. Wir können bloß nicht lesen, was in ihnen steht.«

»Und jetzt erzähl du. Was macht eine Schweizer Dame in einem Café in Meersburg? Warst du immer schon in der Gastronomie?«

Sie blieb stehen und deutete mit dem Finger über den See. »Dort drüben und darüber hinaus bin ich gewesen. Ein Leben lang. In der Schweiz aufgewachsen, aber nicht auf einer idyllischen Almhüttn als Bärbeli, sondern in Zürich. Ich bin eine Großstadtschweizerin. Gewesen.«

»In Zürich soll es fantastische Museen geben. Auch ein ganz berühmtes für Gestaltung. Das wollte ich mir immer schon mal ansehen.«

»Das kenne ich leider nicht. Aber kein Wunder. Ich bin keine Künstlerin, sondern eine Bänkerin. Gewesen. Echt wahr. Viele Jahre angestellt bei der Züricher Kantonalbank. Ganz schick im Kostüm mit weißer Bluse bin ich herumgestakst. Brrr. Wenn ich daran denke!«

»Steht dir aber doch sicher gut, so ein Businessoutfit.«

»Sowas will ich nie mehr tragen. Ich bleibe jetzt bei Jeans und Pulli, tut mir leid.«

»Wie kommt eine Züricher Bänkerin nach Meersburg, um dort Aperol Spritz zu servieren? Das ist ungewöhnlich.«

»Das ist eine lange Geschichte, die willst du nicht hören, Gerald.«

»Die will ich sehr wohl hören, liebe Babs.« Er legte seinen rechten Arm um Ihre Hüfte und drückte ganz leicht. Ein schönes Gefühl.«

»Na dann. Es lief eigentlich ganz gut in der Kantonal. Nette Kollegen, gutes Gehalt. Wir hatten auch eine Spitzenkantine. Alles top. Bis man mir einen neuen Vorgesetzten vor die Nase setzte. Großkollinger hieß er. Und so hat er sich auch benommen. Von Anfang an spürte ich, dass er mich nicht leiden konnte. Auch, weil ich seine plumpen Annäherungsversuche abwies. Als er merkte, dass er bei mir nicht landen konnte, wurde er ekelhaft. Aber so richtig. Er hat mich getriezt und an allem herumgemeckert, was ich tat. Er hat irgendwann sogar angefangen, den Schreibstil meiner E-Mails zu monieren. Absurd! Ich hatte stets den besten Kontakt zu den Kunden. Mit diesem Großkollinger wurde mein Job zu einer einzigen Drangsaliererei.«

»Das tut mir leid. War sicher eine schwere Zeit für dich.«

»Es war furchtbar. Ich bin übernervös geworden, konnte nicht mehr gut schlafen und das Essen schmeckte mir auch nicht mehr richtig. Es ging mir einfach nur elend.«

»Hattest du in dieser Zeit niemand, der sich um dich gekümmert hat?«

»Nein, kurz bevor Großkollinger in mein Berufsleben eingedrungen ist, hatte mich mein langjähriger Freund Ronald verlassen, wegen einer anderen Frau. Ich war also sowieso nicht die Stabilste in dieser Phase.«

»Und dann hast du dir gesagt: Schluss jetzt, ich mache einen Cut.«

»Du triffst den Nagel auf den Kopf, Gerald. Aber sowas von. Ein Arzt hat mir Burnout bescheinigt, ich habe mich krankschreiben lassen, für ein halbes Jahr, danach habe ich bei der Kantonal gekündigt. Ich konnte einfach nicht mehr zurück.«

»Das verstehe ich gut. Es gibt Situationen im Leben, da ändert sich plötzlich alles. Ich kenne das.«

»Ja, ich bin dann nach Meersburg gezogen, weil ich dort, also: hier, eine Freundin habe, Mira. Und habe mir dann den Job besorgt, im Café.«

»Und jetzt ist alles gut?«

»Jetzt ist alles spitze, Gerald.« Sie nahm seine Hand und sah ihn an. »Du scheinst ein Netter zu sein. Hätte ich gar nicht gedacht, nach deiner ersten Ansprache heute nachmittags.«

»Ich weiß nicht, ob ich das bin, ein Netter. Aber zu Leuten, die einem sehr gefallen, sollte man unbedingt nett sein.«

Sie gab ihm einen Hauch von Kuss auf die Wange. Sie spazierten weiter und sprachen eine Zeitlang kein Wort mehr. Es war harmonisch auch ohne Worte. Völlig entspannt.

»Du Gerald, ist es okay für dich, wenn wir für heute Schluss machen? Ich bin ziemlich geschafft vom Arbeitstag und muss echt ins Bett.«

»Ja klar Babs! Kehren wir um, in Richtung Café.«

Als sie sich verabschiedeten, wusste Gerald nicht recht, was er sagen sollte, im Bezug auf ein weiteres Date. Aber sie kam ihm entgegen.

»Morgen ist Aschermittwoch. Was hältst du davon, wenn wir abends etwas Fischiges essen, zusammen? Ich kenne ein schönes Lokal, da gibt es frische Forellen oder auch Shrimps.«

»Das ist eine super Idee, Babs. Das machen wir! Da freue ich mich schon jetzt drauf. Treffen wir uns morgen zur gleichen Zeit wieder hier? Wie ich schon gesagt habe, mein Handy spinnt. Aber ich kaufe mir morgen wahrscheinlich ein Prepaid-Handy, damit ich erreichbar bin. Für dich.«

»Oh, Prepaid! So was haben die Gangster im Film immer. Cool.«

»Genau, die Fledermaus aus München hat bald auch so eines.«

»Na dann, bis morgen abend, Fledermaus. Es war nett heute.«

Sie drückte mit ihrer warmen Hand die seine, welche etwas durchgefroren war. Sah ihn noch kurz ernsthaft an, dann war sie weg.

Fortsetzung folgt

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Abbildung: flensshot auf Pixabay