BvsN-27

Fortsetzung von Blog Nr. 265

26. Februar, Sonntag, 10.00 Uhr.

Dietmar und Silke Bronzo frühstückten im Hotel „Wilder Mann“. Sie waren gestern Mittag im Klinikum Friedrichshafen gewesen. Nach drei Stunden Herumsitzen in einem öden graugelb gestrichenen Wartezimmer mit Gummibaum konnte sich endlich ein Arzt Dietmars Nase ansehen. Der Doktor hatte einen kurzen grauen Ziegenbart und wirkte kompetent.

»Herr Bronzo, das sieht schlimmer aus, als es ist. Das Nasenbein ist zwar gebrochen, aber die Knochen sind nicht verschoben. Sie haben da noch Glück im Unglück gehabt. In Ihrem Fall wird das Nasenskelett wieder von selbst zusammenwachsen.«

»Danke, Doc, das höre ich gerne.«

»Eine Operation ist nur dann nötig, wenn Sie großen Wert auf eine optisch gute Wiederherstellung legen. Das wäre dann aber ein extra Termin bei einem Schönheitschirurgen.«

Bronzo winkte ab. »Danke für die Info, aber an mir gibt es eh’ nicht mehr viel zu verschönern. Diesen Aufwand spare ich mir.«

»Dietmar!« Silke hatte dazu eine andere Meinung, aber das würden Sie später diskutieren.

»Ich gebe Ihnen noch ein entzündungshemmendes Schmerzmittel und abschwellende Nasentropfen mit. Das hilft Ihnen, wieder besser atmen und durchschlafen zu können. Das Rezept bekommen Sie vorne bei den Damen an der Rezeption.«

Mit dem Schmerzmittel war Bronzos Nacht tatsächlich einigermaßen erträglich gewesen. Zumindest plagten ihn diesmal keine Albträume, in denen Neumann eine Rolle spielte. Aber von guter Laune beim Sonntagsfrühstück konnte trotzdem nicht die Rede sein.

»Wir können uns ja in München erkundigen, wie so eine Nasenschönheits-Operation abläuft, Dietmar. Ich würde das nicht gleich pauschal verwerfen.«

»Ach Mäusle, der krumme Zinken passt doch hervorragend zu mir.«

»Du meinst, der lässt dich verwegen und sexy aussehen? Da bist du allerdings im Irrtum. Ein Lino Ventura wirst du deswegen noch lange nicht, mein Lieber. Wir sollten packen und nachher aufbrechen. Unser Meersburg-Trip wird bei mir nicht gerade in bester Erinnerung bleiben. Ich bin froh, wenn ich wieder daheim in München bin, ehrlich gesagt.«

»Jetzt, wo ich Neumann aufgestöbert habe? Jetzt verschwinden?«

»Na, du bist gut. Ich muss morgen um fünf Uhr früh am Münchner Flughafen sein. Das wird für mich wieder eine volle Woche werden.«

»Was hältst du davon, wenn ich dich nachher mit dem Wagen nach Friedrichshafen zum Bahnhof bringe und du mit dem Zug heimfährst?«

»Du willst alleine hierbleiben, in deinem schlechten Zustand? Was willst du denn hier? Wenn dieser Neumann nicht komplett doof ist — und das scheint er mir nicht zu sein — ist er doch längst raus aus Meersburg und irgendwo anders hingefahren. Vielleicht sogar ins Ausland. Nach Österreich zum Beispiel.«

»Oder in die Schweiz.«

»Genau, oder nach Frankreich oder Timbuktu.«

»Timbuktu ist eher unrealistisch.« Er grinste gequält. »Mäusle, was soll ich denn daheim? Da hänge ich doch nur nutzlos herum. Hier kann ich meiner Arbeit viel besser nachgehen.«

»Du bist aber doch beurlaubt und von dem Neumann-Job offiziell abgezogen. Erinnerst du dich? Und außerdem bist du krank!«

»Wenn Neumann von der Polizei aufgegriffen wird und alles ausplaudert, verliere ich vielleicht meine Arbeit für immer und schlimmstenfalls mein Altersruhegeld. Leitinger hat mir da bereits den Teufel an die Wand gemalt. Hat mit meinem letzten Verhör zu tun, welches ich mit Neumann geführt habe. Und mit dieser Betäubungsgeschichte.«

»Mensch, Dietmar, in was hast du dich da nur hineingeritten!«

Hineingeritten. Und wie! Dabei hatte Bronzo seiner Frau noch nicht einmal seinen irren Mordanschlag auf Neumann im Dampfbad gebeichtet. Das würde er auch niemals machen. Der Verlust seiner Pension war also das weit geringere Übel, wenn Neumann singen würde.

»Ja, ich bin ein Vollidiot, ich weiß. Aber jetzt muss ich hierbleiben und versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Ich muss es zumindest probieren, verstehst du das, Mäusle?«

»Jaja, ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Das ist mir bekannt, Dietmar. Na dann! Bring mich nach Friedrichshafen.«

Silke liebte ihren Mann, aber eigentlich war sie auch froh, dass sie die kommende Woche am Abend ihre Ruhe haben würde. Das volle Jobprogramm würde anstrengend werden — und am Abend sich auch noch die schlechte Laune oder das Gejammere ihres Gatten anhören zu müssen, darauf konnte sie tatsächlich gut verzichten.

»Danke, Mäusle, ich halte dich per whatsapp natürlich auf dem Laufenden, wie es mir geht. Du bist die Beste!«

Am Sonntagabend lag Bronzo erschöpft und frustriert im Doppelbett, alleine. Silke hatte ihm geschrieben, dass sie gut in München angekommen war. Die Nase zwickte ihn, mit dem Verband sah er aus wie Jack Nicholson in „Chinatown“, nur bei weitem nicht so gut. Nun hatte er viel Zeit zum Nachdenken. Über Neumann und über die Frau, die er in der Therme bei sich gehabt hatte. Silke meinte, sie hätte geredet wie eine Schweizerin. Und Neumann hätte sie mit Babs angeredet. Das war zumindest schon mal ein Anhaltspunkt. Wieviele Schweizerinnen mit Vornamen Barbara hielten sich wohl in Meersburg auf? Falls diese Frau überhaupt hier wohnte und gemeldet war. Bronzo sah sich zur Ablenkung einen Tatortklamauk mit Thiel und Boerne an, schlief aber vor Ablauf der schwachsinningen Handlung ein.

Montagmorgen, neun Uhr. Bevor Bronzo an seinem iPad ein paar Recherchen bezüglich Schweizer Bürgerinnen, wohnhaft in Meersburg, vornehmen wollte, wagte er es rauszugehen. Mit Mantel, Hut, Sonnenbrille und verpflasterter Nase war es eher unwahrscheinlich, dass man den irren nackten Würger aus der Meersburg Therme wiedererkennen würde. Er brauchte frische Luft, das Wetter war auch wieder besser geworden — der graue Himmel von gestern hatte der Sonne Platz gemacht. Er würde sich im Café Mohler ein kleines Frühstück genehmigen, das Café lag nur zwei Minuten entfernt vom Hotel, direkt an der Uferpromenade. Bronzo setzte sich ins Freie und blinzelte auf den glitzernden See. Es war schon schön hier, schade, dass Silke weg war.

Als nach zehn Minuten immer noch niemand herauskam, um die Bestellung aufzunehmen, ging Bronzo in das Lokal hinein und fragte nach, ob vielleicht draußen noch gar nicht geöffnet war. Hinter dem Tresen stand die Chefin, eine fröhlich wirkende Dame mit einer interessanten Kurzhaarfrisur.

»Doch doch, eigentlich schon. Aber wir haben gerade einen Personal-Engpass. Stellen Sie sich vor, heute morgen ruft eine unserer Servicedamen an und sagt, sie sei krank. Also wirklich! Am Wochenende krank geworden!«

»Ach so. Vielleicht hat sie sich erkältet. Das kommt bei diesem wechselhaften Wetter schon mal vor.«

»Hoffentlich bloß eine kurzfristige Erkältung!« Frau Mohler schaute mit starrem Blick auf den etwas blutigen Verband von Bronzos Nase. Er hatte sich nachts an seiner Verletzung gekratzt.

»Was ist mit Ihnen denn passiert? Das sieht ja schlimm aus.«

»Bin in eine Schlägerei geraten.« Bronzo grinste. »Nein, Quatsch, natürlich nicht. Es war ein saublöder Unfall im Bad. Bin auf den nassen Fliesen ausgerutscht.«

»Sowas ist Babs hoffentlich nicht auch passiert! Um Gottes Willen!«

Bronzo war nun hellwach.

»Lustig, meine Frau heißt auch Barbara und ich nenne sie manchmal so. Sie ist gerade bei ihren Eltern in der Schweiz.«

»Was Sie nicht sagen! So ein Zufall. Unsere Babs ist nämlich auch Schweizerin. Sagen Sie bloß noch, Ihre Gattin ist ebenfalls in der Gastronomie tätig!«

»Fast. Nein, sie ist Flugbegleiterin. Hat so ein kleines Rollwägelchen, mit dem sie anstrengenden Fluggästen Cola serviert.«

»Na dann! Was darf ich Ihnen denn bringen?«

»Kaffee und ein Croissant, bitte. Ach, eine Frage hätte ich noch: Würden Sie mir sagen, wie Ihre kranke Mitarbeiterin mit Nachnamen heißt?«

»Wieso wollen Sie das wissen?«

»Ach, nur so. Vielleicht sollte ich ihr zur schnelleren Genesung Blumen schicken? Oder machen Sie das?«

Frau Mohler lachte. »Ja, soweit kommt’s noch! Das dürfen gerne Sie übernehmen. Frau Raubinger wohnt Am Rosenhag 7, ganz in der Nähe. Aber das würde ich an Ihrer Stelle nicht Ihrer Gattin Barbara sagen. Unsere Babs ist nämlich eine Hübsche.« Sie blinzelte ihm zu.

»Dann lasse ich es wohl besser sein.« Bronzo lächelte sie an, dachte sich aber, dass es sehr unseriös von der Chefin des Cafés war, so einfach Namen und Adresse Ihrer Mitarbeiterin auszuplaudern. Von Datenschutz schien die gute Dame noch nicht viel gehört zu haben. Für ihn war es allerdings angenehm, denn somit ersparte er sich einiges an Recherchearbeit.

Als Bronzo später in die besagte Straße spazierte, stand am Klingelschild neben der Haustüre tatsächlich: B. Raubinger. Er klingelte drei Mal, aber niemand machte auf. Das hatte er sich schon gedacht.

Fortsetzung folgt

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Abbildung: Petr auf Pixabay