Ich bin nackt. Bis auf die Füßchen. Ich schaue zu ihnen runter und beobachte die glänzenden schwarzen Leder-Sandalen, die sich im Licht so schön spiegeln. Pechschwarz und glänzend. Meine Lieblingssandalen. Mama kauft sie mir immer, obwohl es die teuren sind. Wenn ich auf dem Fußboden laufe, machen sie so ein tolles Klackergeräusch. Klack klack klack klack… Ich renne nackt mit den Sandalen durch die große Altbauwohnung. Klack klack klack klack… Ein warmes Licht durchströmt die Gänge und Zimmer und es richt nach Oma. Warm und geborgen. Ich mag es hier, es fühlt sich heimisch an. Die Möbel sind alt und überall gibt es was anzugucken. „Du Nackedei!“ schreit sie. Ich renne schneller, sie soll mich bloß nicht fangen können. Ich lache, es macht mir Spaß vor ihr wegzurennen, vor allem weil die Schühchen so toll klackern. Ich muss Pipi. Ganz dringend. „Du Nackedei, geh aufs Klo!!“ Meine Hände halten alles in mir. Aber ich will nicht aufs Klo, ich will weiter spielen. Jetzt wo es jede Sekunde aus mir rauslaufen könnte, macht alles noch mehr Spaß. Ich mag es Oma zu ärgern, sie hat Angst, dass ich auf den Fußboden mache — es ist ja auch der gute Parkettboden.
Heute habe ich eine Barbie mit Flügeln bekommen. Die Flügel sind riesig, sie sind rosa, blau, lila und glitzern. Du kannst kleine Blümchen draufkleben. Sowas Cooles aber auch! Ich halte die Barbie so hoch ich kann und lasse sie durch die Luft gleiten. Oma hat sie mir heute gekauft , als wir in der Stadt waren. Ich sah sie in einem Spielwarengeschäft. Die Barbie-Abteilung war riesig und schien endlos, so viele Barbies soweit das Auge reicht. Alles war pink. Mein Herz fing an schneller zu schlagen. Es wäre zwar die dreißigste Barbie, die ich besitzen würde, aber ich musste sie trotzdem umbedingt haben. Ganz klar. Oma sagte, ich dürfte sie nicht bekommen. Sie kann so streng manchmal sein… Jul, der selbst auch ein Spielzeug im Visier hatte, und ich, wir berieten uns. Wenn wir Oma lang genug bearbeiten würden, dann würde sie einknicken, da waren wir uns sicher. So bettelten wir. Oma ist doch die Beste. Hand in Hand liefen wir aus dem Spielwarengeschäft, ich, mit einem Grinsen im Gesicht. Zufrieden halte ich die Barbie in die Strahlen der müden Sonne. Die Flügel wurden in lieblich goldenes Licht getaucht. Ein Spiel aus Farben und Funkeln. Wenn ich die Augen ein bisschen zukneife und alles verschwimmt, sieht es magisch aus. Kann es was Wundervolleres geben?
Omas Hände sind so cool. Ich setze mich auf ihren Schoß und beobachte die Adern. Blau und satt. Es ist so lustig. Wenn ich da drauf drücke, dann kann das Blut nicht weiterlaufen. Lasse ich los, geht die Ader langsam in ihre ursprüngliche Form zurück, aber nur ganz langsam. Bei meinen Händen ist das anders, da geht das nicht. Ich spiele damit. Es macht soviel Spaß, das Blut abzudrücken. Und es gibt so viele Adern, eine unendliche Beschäftigung und ich werde nicht müde dabei.
In der Küche riecht es so gut. Ich will nicht helfen, ich will warten, bis alles fertig ist. Jeder macht etwas und rennt hektisch hin und her — ich beobachte das Gewusel. Weißes Licht flutet durch die Fenster ins Wohnzimmer und draußen ist alles weiß, eine weiße Wand. Es schaut kalt aus, gut, dass ich hier drinnen in der warmen Wohnung sitze. Der Esstisch ist schön eingedeckt, eine weiße Tischdecke und neben jedem Teller eine korallenfarbene Stoffserviette mit passendem Ring. Jedes Jahr verbringen wir Weihnachten hier in Nürnberg. Jedes Jahr ist der Ablauf gleich. Ich mag das so sehr, wenn es gleich bleibt, das gibt mir Sicherheit. Zur Vorspeise gibts Griesnockerlsuppe, dann Ente mit Klößen und zum Nachtisch Panna Cotta mit Himbeersoße. Ich lausche den regen Gesprächen am Tisch und beobachte das farbvolle Zusammenspiel aus dem sahnigen Weiß des Panna Cottas und dem satten Rot der Himbeersoße. Es langweilt mich etwas, deswegen setze ich mich wieder auf den Schoß meiner Oma, sie umarmt meinen kleinen Körper, ich fühle mich wohl und aufgehoben. Ihre Umarmung lässt mich warm werden und etwas müde. In diesen Moment dachte ich mir, dass ich sie liebe. Wenn alles schlecht sein sollte, dann weiß ich, sie ist da. Eine kostbare Sicherheit.
Diese Erinnerungen und noch so viele mehr hat mir meine Oma über die Jahre geschenkt. Liebe Oma, du warst immer für mich da und hast mich mit deiner Art und Weise geprägt und mein Leben soviel lebenswerter gemacht. Erinnerungen sind das Wertvollste, was du mir hattest schenken können und nun bin ich reich. Danke, dass du da bist. Alles Gute zum Geburtstag! Bleib so wie du bist. Ich liebe dich.
Nutze die Zeit mit deinen Omas und Eltern! Nichts ist unendlich, aber die Erinnerung ist das Fenster, durch das du sie immer sehen kannst, wann du willst!
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