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Liebe Leser,

wenn man Schmerzen hat, dann weiß man, dass man lebt. Und hat eine Aufgabe: den Schmerz loszuwerden. So gesehen ist der Schmerz eine konstruktive Angelegenheit, die dem Leben viel Sinn gibt. Beliebt ist er trotzdem nicht bei den Menschen. Auch ich hieß ihn nicht unbedingt willkommen, als er anfing, meine rechte Schulter aufzusuchen.

Erst war er noch ein wenig schüchtern, der Schmerz, wusste nicht so recht, wo anfangen. Aber das legte sich nach einigen Wochen. Er nistete sich im gesamten rechten Oberarm ein und machte es sich so richtig bequem. Wenn man sich wohlfühlt, dann wird man leicht übermütig. So auch mein Schmerz. Manchmal führte er sich auf wie ein Blöder, dann blieb er ein paar Tage etwas milder, um danach wieder mit voller Power loszuschmettern. Langsam wurde er mir lästig, ich konnte schon nicht mehr richtig in den rechten rechten Hemdsärmel hinein oder in die Winterjacke. Nachts musste ich komplizierte Stellungen einnehmen, um den Mistkerl ruhig zu halten. Es wurde Zeit, ihn loszuwerden.

Irgendjemand empfahl mir einen hervorragenden Orthopäden in Berg am Laim. Was ist schon eine halbe Stunde Autofahrt, wenn man sich baldige Linderung erhoffen darf. Nach einer Stunde Aufenthalt im Wartezimmer machte der sehr attraktive und kompetent wirkende Arzt eine kleine Röntgenschau, dann gab er mir eine Spritze. Es sei nur eine leichte Verkalkung an der Supraspinatus, das sei kein Problem. Ich war zu gedankenlos, um ihn zu fragen, was genau er mir denn gespritzt hätte. Morphium? Cortison? Leitungswasser? Egal, wenn es denn hülfe, wäre es mir wohl recht. Schon kurz danach war ich geheilt. Schmerz mit einer lächerlichen Spritze ausgetrieben. Unglaublich! Ich lobte den medizinischen Fortschritt unserer Zeit und war glücklich.

Nach einem Monat kam mein ungeliebter Mitbewohner zurück, als wäre er nur mal auf einer schönen Asientour gewesen und nun aber aber wieder gerne daheim. Wo bin ich hingefahren? Nach Berg am Laim. Der schöne Doktor war ganz ungerührt, betrieb keine unnötige weitere Ursachenforschung, sondern verkaufte mir stattdessen eine neue Spritze. Der Schmerz machte wieder ein wenig Urlaub und kam nach vier Wochen erfrischt und gestärkt zurück.

Schließlich fing ich an zu grübeln, ob diese Methode die optimale sei. Eine weitere Fahrt nach Berg am Laim ist nicht zu verachten, schöne Gegend, aber ich suchte mir trotzdem einen anderen Orthopäden, der seine Praxis nicht so weit weg von mir aufgeschlagen hatte. An der Münchner Freiheit. Der dortige Kompetenzarzt gab sich mir ganz kumpelhaft auf die lässig münchnerische Art, damit fühlte er sich wohl. Er erzählte mir eine launige Story darüber, dass sich hier anstelle seiner Praxis in den 80ern eine legendäre Diskothek befunden hätte und da wäre ich doch früher ganz bestimmt auch gewesen. War ich zwar nie, aber ich stimmte ihm zu, jaja, die guten alten Zeiten. Damit er gutartig blieb und sich an die Klärung meiner Beschwerden machte. Er kam dann gleich auf den Punkt und ließ mich einen Termin für die kernspintomographische Untersuchung vereinbaren. Erst mal schauen und dann wissen. Gutgut.

Vier Tage später klingelte ich bei den Röntgenmeistern. Dort wurde ich auf einer erhöhten Bahre festgeschnallt und bekam eine Leitung gelegt mit irgendeiner Substanz, die die Sichtfähigkeit der Röntgenkamera verbessern sollte. Kühl floss die Flüssigkeit in meinen gereizten Körper. Sehr angenehm. Man setzte mir Lärmschutzkopfhörer auf und sogleich wurde die Bahre in eine enge Röhre hineingefahren, ins Zwielicht. Darin knatterte es rhythmisch und laut, wie auf einer Baustelle, an welcher meterdicker Stahlbeton aufgebrochen wird. Wieso muss eine Röntgenkamera, die einen in Scheiben schneidet, solch einen abartigen Lärm machen? Und man darf sich dabei keinesfalls rühren, sonst werden die Bilder unscharf. Lebendig, aber bewegungslos eingeröhrt. Meine Schmerzschulter pulsierte fröhlich im Stakkato der Pressluftbohrerkamera. Nun wusste ich, dass 25 Minuten eine lange Zeit sein können. Ich hätte mir währenddessen „Supper’s Ready“ von Genesis anhören können. Das wäre ein schönerer Ohrenschmaus gewesen.

So. Nach ein paar Tagen kam ich mit meinen aussagekräftigen Röntgenbildern wieder an der Münchner Freiheit angetanzt. Der bayrische Orthopäde schaute kurz drauf, dann sagte er zu mir, ich hätte ordentlich Kalk nicht im Kopf, aber an der Schulter. Kalkschulter. Impingement-Syndrom. Schmerzhafte Reibungen wegen Verengungen. Schön, wenn man eine plausible Analyse bekommt. Ich fragte ihn, ob man das ohne Operation heilen könnte.

Er: »Naaa, operiern, des daama ned, des bestrahl ma, den bring ma scho wegatt, den Koik, den Hundling. Do fang ma glei o, d’Maschin is grod frei.«

Ich war erleichtert. Keine Operation, dem Gott sei Dank! Eine Bestrahlungseinheit von 15 Minuten mit einer ganz neuartigen Spezialmaschine sollte läppische 80 Euro kosten, das würde die gesetzliche Krankenkasse aber nicht bezahlen. Ganz im Vertrauen steckte mir der bayrische Dogda, dass die Krankenkassen in den 80er Jahren stehen geblieben seien, und es sei ein Skandal, sich so der modernen Technik zu verschließen. Dabei hätte diese Methode immerhin 75 Prozent Erfolgsaussichten.

Ich fragte ihn freundschaftlich, was denn ärmere, gesetzlich versicherte Leute mit solchen Schulterproblemen machen würden, die sich die mehrfache Bestrahlung nicht leisten könnten. Er: »Joo, do samma kulant. Do kummt zum Beischpui imma a oide Frau zu uns, de stottert uns des ob, weil’s es auf amoi net zoin kon.« Dieses soziale Engagement gegenüber ärmeren Patienten beeindruckte mich schwer und ich ließ mich zu einer extrakorporalen Stoßwellentherapie am rechten Oberarm überreden.

Heiß stießen die hochenergetischen Wellen in den Oberarm, mit vernachlässigbarer Schmerzbegleitung, auf dass sie den Kalk zerschmettern sollten, wie ein Mörser harte Pfefferkörner. Ich dachte traurig an die verlorenen 80 Euro für nichts (so flüsterte es mir ein Englein zu, welches sich mit 75 Prozent Erfolgschancen nicht zufrieden geben wollte) und vereinbarte mit der Sekretärin einige weitere Termine, im wöchentlichen Abstand.

Noch dreimal nahm ich die stoßende Prozedur auf mich — mein hässlicher Kamerad ließ sich nicht im geringsten beeindrucken. Er hatte dafür eine neue Qualität erreicht, quälte mich leidenschaftlich und gedachte anscheinend nie mehr fortzugehen, nach dem Motto „Zuhaus’ ist’s halt am schönsten“. Ich wurde unleidig (auf bayrisch: saugrantig) und sagte die weiteren Bestrahlungstermine ab. Ich hatte keinen Bock, noch weiter zu einer Behandlung zu rennen, die mich viel Warterei und einen Haufen Euro kosten und sehr vielleicht gar überhaupt nichts bringen würde. Da wäre es ja fast noch besser, weiter nach Berg am Laim zu tigern, um mir alle 30 Tage eine gesetzlich bezahlte Spritze abzuholen.

Aber das war alles nichts Halbes und nichts Ganzes. Ich grübelte grantig weiter, während mich mein böser Freund aufs Beste betreute. Fortsetzung folgt.

Dass man Schmerz auch völlig problemlos heilen kann, zeigt uns Herr Harant:

Herzliche Grüße,
Zinkl (Schreiberling), Harant (Akustiker)

Nächste Woche kommt ganz lieber Besuch zum Zinkl, das sollte man nicht versäumen:
Tom Cruise gibt sich die Ehre!

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