Liebe Leser,
um es (mal wieder) mit G. Polt zu sagen: „Wann ich nimmer meng dad, gangad i hoam“. Weil ich allerdings (fast immer) eh’ schon daheim bin, lege ich mich allzugern auf meine saubequeme schwarze Ledercouch und schnarche gelassen in ein Paralleluniversum hinein. Ja, ich führe seit einiger Zeit das Leben eines zwanghaften Schlafjunkies — daher wird hier nun nachfolgend über ihn (den Schlaf!) philosophiert.
Der Schlaf ist ein befremdlicher Zustand. Man gibt die komplette Kontrolle ab (sofern man sie überhaupt hatte). Und man kennt nicht einmal den genauen Augenblick, an dem man das tut. Man beamt sich aus der Realität, weil man es muss. Das Gehirn kann die Wahrheit nicht länger als ein paar Stunden aushalten, danach wird es sich in einen anderen Modus schalten. In diesem Modus holt es sich gelegentlich Fetzen aus der Vergangenheit und verwurstet sie, als ob das Wachleben nicht ausgereicht hätte, damit fertig zu werden.
Die Realität (bzw. das, was unsere grauen Zellen dafür halten), scheint wahnsinnig anstrengend zu sein. Unglaubliche Mengen von Daten müssen ständig verarbeitet werden. In ungewohnter Umgebung und in kommunikativen Vorgängen sind es bestimmt noch viel mehr. Das entlädt die Batterie. Das Gehirn stoppt den Datenfluss und arbeitet nur noch mit dem, was es aus der Vergangenheit fragmentarisch gespeichert hat. Und macht sich daraus teilweise hässliche Späßchen.
Als ich ein Kind war, war mir das Schlafengehen zuwider. Ich sollte mich am Abend in bester Verfassung verabschieden vom Garten, vom Spielen, vom Musikhören, vor allem aber vom Fernsehen! Das hasste ich. Turbozinkl war nie müde am Abend. Der wollte bis in die späte Nacht aufbleiben, um „Mit Schirm, Charme und Melone“ zu sehen. Der hatte keine Lust sich abzuschalten. Aber die Eltern haben mich und meine Schwestern natürlich dazu gezwungen.
Sogar im Sommer, als um 19 Uhr draußen noch die Sonne schien. Meine Mutter klappte rigoros die hölzernen schwarzen Fensterläden zu, und es wurde stockdunkel im Kinderzimmer. Da lag ich nun, hellwach, mit meinen beiden Schwestern. Eine Tortur. Weil es mir so langweilig war, erzählte ich ihnen irgendwelche erfundenen Geschichten, die sie zum Lachen brachten. Meistens schliefen sie danach vor mir ein. Wenn ich Glück hatte, durfte ich erst dann noch mal eine Stunde aufstehen und zum Fernsehen ins Wohnzimmer kommen. Zu Emma Peel. Aber meine Schwestern bekamen das immer öfters mit und hielten sich wach. Dadurch habe ich viele Folgen der Serie verpasst. Es war die Hölle.
Ich erinnere mich, dass uns meine Mutter morgens im Sommer weckte, indem sie in dem lichtlosen Kinderzimmer die Fensterläden öffnete und die bereits vollaktive Sonne hereinknallen ließ. Ich konnte das nicht leiden, diesen Fensterläden-Terror — und empfand es als Betrug, morgens nicht mit den ersten frühen Sonnenstrahlen aufstehen zu dürfen. Etwas dramatisiert würde ich sagen: Es war Sonnendiebstahl. Was hätte ich in dieser verlorenen Wachaktivzeit schon alles machen können! Seitdem lehne ich es ab, in völlig abgedunkelten Zimmern zu schlafen.
Zurück in die Gegenwart, zum alten Zinklmann. Er hat mit dem Schlaf eine gute Freundschaft geschlossen, ob tagsüber oder nachts. Die Sonne ist ihm wurscht. Die Wach-Realität ist ein Ablauf sich variierender, aber doch relativ normaler, periodisch wiederkehrender Erlebnisse. Das ist in Ordnung, das ist wunderbar, das steht für Sicherheit, es geht ihm sehr gut.
Wenn ich mich über dies und jenes nicht aufregen, nicht ärgern muss, ist es natürlich ideal: Dann kann ich fast immer und überall sofort gelassen einschlafen. Wenn mich aber etwas furchtbar genervt hat, dann schlafe ich aus Erschöpfung ein. Man sieht: Einen Grund habe ich immer.
Eine liebe Freundin sagte mir kürzlich, für sie ist der schönste Augenblick derjenige, wenn sie sich hinlegen kann und kurz danach wegdriften — ins Land des Abschaltens, des Loslassens, der Unkontrollierbarkeit. Dem kann ich zustimmen. Auch wenn es mich hineinzieht in eine beunruhigende surreale Welt, in der es keinen Spaß gibt, sondern anstrengende Situationen, die bewältigt werden müssen.
Ich träume oft von Handwerkern in einem Rohbau, die schlampig arbeiten und nie fertig werden, so dass sich der Einzug ewig verzögert. Und schließlich dann, kurz vor der Fertigstellung, bricht der Parkettboden auf, als würde ein Nashorn von unten durchstoßen. Pfusch am Bau ist einer meiner stets wiederkehrenden Albträume.
Ich träumte vor einiger Zeit davon, dass ich den alten Rick Wakeman auf einer Lesung seiner Biografie besuchte, von ihm dort aber wegen dem Andrang nur seine nackten, hässlich verhornten Füße sehen konnte. Kein Genuss.
Ich träume auch hin und wieder davon, schrecklich geniert auf einer Cocktailparty herumzuschleichen, weil ich vergessen habe, Hose und Unterhose anzuziehen. Doch es fällt niemandem auf. Woher kommen diese bösen Träume? Etwa, weil ich grundsätzlich halbnackt die Post entgegennehme? Dem Postboten ist es gleich.
Mein Unterbewusstsein kennt keine leichte Unterhaltung. Alles im Traum ist ein anstrengender Kampf. Warum gibt es da nichts Lustiges, keinen Humor? Was muss ich für ein schwer belasteter Geselle sein, dass mich solche argen Situationen ereilen? Grausam. Nun, damit muß ich leider leben — ich meine, damit muss ich schlafen — aber zumindest kann ich es inzwischen vermeiden, dass ich auch noch gezwungen werde, in einem Zimmer mit schwarzer Luft aufzuwachen.
Das „luzide Träumen“ müsste man drauf haben! Angeblich kann man durch spezielles und intensives Üben erreichen, dass einem beim Träumen bewusst ist, dass man träumt. Man kann dann die Träume also steuern, gewissermaßen Wunschprogramm. Ich kenne jemanden, der behauptet, er hätte in dieser Technik schon gute Fortschritte gemacht. Ich bin da allerdings skeptisch — aber stark wäre das schon.
Sex mit Bar Refaeli gefällig? Oder ein Essen im Gourmettempel „Aubergine“, zusammen mit Rick Wakeman? Oder ein Besuch beim lieben Gott in einem tiefen Mondschacht? Alles ist möglich. Ich glaube, ich muss mich mal damit beschäftigen. Schlafen mit Mehrwert. Zumindest wäre gesichert, das im Traum-TV keine inkompetenten Handwerker erscheinen, das kotzt mich wirklich an.
Und wenn man tot ist? Was läuft dann ab? x-beliebiges Chaos, welches man in einer nicht endlichen Schleife erlebt? Sich immer wieder, unten völlig nackt, auf einer Cocktailparty herumdrücken müssen — Milliarden mal und öfter? Aber vielleicht kennt man ja im Tod keine Scham mehr, dann geht’s.
Apropos Tod. Da fällt mir ein: Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter. So ein saublöder Spruch! Wenn es danach ginge, müsste man jeden Tag Angst haben zu sterben. Wenn einem klar ist, dass der letzte Tag im Leben gekommen ist, hat man doch keine Freude daran, sondern eher Panik! Da wird man freilich nicht lockerleicht in den Schlaf hineindriften, sondern man wird sich so lange zum Wachsein zwingen, wie möglich. Außnahmefall: Wann i nimmer meng dad, gangad i hoam. Ich hoffe, wenn es bei mir mal so weit ist, fällt mir dieser Spruch wieder ein.
So, jetzt bin ich vom Thema abgekommen. Vom endlichen Schlaf blitzartig zum nicht endlichen Tod. Oweh. There is no way back. Nicht jeder kann Jesus (Tut mir leid, dass ich nun auch noch einen solchen Spruch bringen muss, im Stil dieser neudeutschen ätzenden Werbeslogans).
Lieber sich kultiviert verabschieden: Gute Nacht, Freunde (dazu bitte nun fröhlich das Lied von Reinhard Mey summen, wenn es beliebt).
PS:
Herr Harant stellt uns diesmal seine akustische Traumvision vom „Guten Ostbahnhof“ bereit. Der „Gute Ostbahnhof“ ist ein legendärer Ausspruch von Alfred Wölfl, der tragischerweise nicht mehr unter uns weilt. Ich habe mich in den 70er Jahren am Ostbahnhof immer mit Richard Weingärtner getroffen, um danach gemeinsam mit dem Schulkameraden Schallplatten zu kaufen. Leider weilt auch der Weingärtner nicht mehr unter uns. Und leider gibt es auch den Guten Ostbahnhof in seiner damaligen Form längst nicht mehr. Wo sind sie nur geblieben, die guten Dinge?
Mein Freund Silvester Obermayer aus Rosenheim hat zum Blog dieses Bild fotografiert. Es soll uns daran erinnern, dass man keinen Wecker mehr braucht, wenn man tot ist. Puh, bin ich heute wieder gut drauf!
Nächste Woche schreibe ich eine Lobeshymne über den weiblichen Homo sapiens.
Zeit wird’s: Das ewig Weibliche. Ab dem 7. April 2018.