Liebe Leser,
vor 37 Jahren wurde „Faust, der Tragödie erster Teil“ von Anton Zinkl für das legendäre Kabarett Scharwitzl aus Markt Schwaben respektlos auf die Quintessenz gekürzt — und er hat sich selbst als Faust auf die Bühne gestellt: nämlich als schüchternen Pubertärling, der den Macker Mephisto braucht, um die Disco-Queen Gretchen zu erobern.
Gestern durfte ich in der Pasinger Fabrik das aktuelle Theaterstück der Tollhaus Theater Compagnie erleben: „Goethes Fäuste“. Und habe die Premiere einer Aufführung gesehen, die nicht nur besonders empfohlen, sondern ohne Übertreibung als Referenz betrachtet werden muss. Spannender, lebendiger, zeitgemäßer und darstellerisch überzeugender sieht man Goethes Meisterwerk derzeit nirgendwo, schon gar nicht auf diversen großen Bühnen.
Die Zwischenszenen, in denen sich die Darsteller von ihren Rollen lösen und über das Stück diskutieren, möchte ich besonders loben — sie geben der ganzen Inszenierung einen zusätzlichen Kick und helfen vor allem im zweiten Teil, die episodenhafte Handlung zu verstehen.
Hans Schlicht als alter Dr. Faust spielt epochal. Sein tiefes Leid und seine schreckliche Verzweiflung am Ende seines Lebens wirken auf der Bühne umso beindruckender, wenn man den Hansi als fröhlichen Menschen kennt und natürlich auch als gewitzten Mephisto, der er schon damals als mein Kabarettpartner bei Scharwitzl gewesen ist.
Das weibliche Highlight ist die hochbegabte Anna Verena Ruth, die nicht nur in betörendster Weise das Gretchen und die Schöne Helena aus der Antike darstellt, sondern auch in vielen kleinen Nebenrollen sowie als verjüngter Mephisto glänzt. Volle Präsenz zeigt sie in jeder Bühnensekunde, es ist eine Freude, ihr beim Spielen zuzusehen.
Aber auch alle anderen Darsteller sind ausnahmslos Spitzenklasse, bringen die uralten Texte frisch und flüssig, ohne Undeutlichkeiten, ohne Versprecher. Das ist eine gewaltige Leistung für Schauspieler, die das ja nicht beruflich machen. Besonders hervorheben darf ich noch Ulrike Auras als Mephisto, Daniel Kupp als jungen Faust und dass Barbara Wankerl neben ihren sonstigen Bühnenleistungen sogar exquisite Schauspielkunst mit ihren Zehen vollbringt. Und: dass Isa Schlicht eine wunderbar schwachsinnige Meerkatze ist.
Sogar der grundsätzlich eher spannungsarme und gottlob extrem gekürzte „Faust II“ ist gelungen, weil hier auf der Pasinger Bühne viel Kurzweiliges passiert. Vor allem auf die ganz spezielle Inszenierung der Walpurgisnacht darf sich ein jeder freuen, der sich einen Ruck gibt, um dieser Sternstunde des klassischen Theaters beizuwohnen.
„Goethes Fäuste“ wird ab dem 21. April noch neunmal aufgeführt werden. Leute, geht hin! Den Faust muss man ja sowieso einmal im Leben gesehen haben – und besser bekommt man ihn nirgends serviert, als derzeit in der Pasinger Fabrik.
Ein nostalgischer Blick auf das legendäre Trio „Scharwitzl“ (Anton Zinkl, Andrea Walter und Hans Schlicht). In dieser Szene von 1983 zeigen sich die jungen Kabarettisten als bayerische Familie, die an Allerheiligen vor dem Familiengrab steht.