Liebe Leser,
mein lieber Freund Hans hat mir aus seinem Pfingsturlaub in der mit goldenem Licht durchwirkten Toskana ein schönes gruseliges Gemälde aus einem alten Gebäude gewhatsappt, welches mich als Liebhaber von schönen gruseligen Gemälden sofort entzückt hat. Man sehe es sich genau an.
Nun, ich bin mit fröstelnd kaltem Schauer geneigt, die dazugehörige Geschichte zu erzählen:
Die schöne und erzgute Signora Gigliola Cinquetti aus dem Hause der Cinquetti lebte mit ihrer Tochter Paola und dem Leibeigenen Maurizio Belmondo (einem waschechten Mauren) sorglos am Stadtrande von Siena.
Als Paola ihrer Kindheit entwachsen war und sich anschickte, reizvolle Knospen zu treiben und eine herrlich schöne Frau zu werden, wurde ihr gewahr, dass für sie für alle Zeiten nur der allwunderbare Jesus Christus als einzig Liebender in Frage kommen würde.
Signora Cinquetti war mäßig angetan davon, dass aus ihrer einst so fröhlichen Paola eine ständig vor sich hin brabbelnde Nonne zu werden schien. Paola mied immer mehr das Sonnenlicht, man sah sie nur noch knieend vor einem muffigen Schrein mit Kerzen, und sie wurde selbst so bleich wie der Mond bei bewölkter Nacht. Maurizio, der die Tochter des Hauses von ganzem Herzen liebte, war ebenfalls entsetzt über den Verfall des Mädchens, welches keine Augen mehr hatte für irdische Lebensgenüsse.
Eines nachts geschah das Entsetzliche: Anstelle dass sich das gloriose Licht des heiligen Gottessohnes über Paolas Antlitz ergoss, fuhr das abscheuliche Dämonengewürm Pazuzu aus dem Schrein heraus und in Paolas geschwächten Leib, um sich diesem zu bemächtigen. Fassungslos verfolgten Signora Cinquetti und Maurizo Belmondo das lärmige und obszöne Spektakel. Aus Paolas einst so süßem Munde drangen die bösesten unflätigsten Flüche und schweinhafte Grunzgeräusche — nie hatte das Hause Cinquetti solch Arges vernehmen müssen.
Maurizio, nicht der Mutigste unter der Sonne Italiens, betete, halb versteckt, heftig gegen das unheilige Treiben an — vergebens. Signora Cinquetti aber lag wie gelähmt darniedergestreckt da — sie konnte ihr Auge nicht abwenden von dem entsetzlichen Treiben. Schon wollte sich das teuflische Geschöpf auch ihr zuwenden, um sie ebenfalls mit glühenden Satansaugen in die Hölle zu zerren!
Da geschah das Wunder! Der gnädige Heiland erbarmte sich der erzguten Signora Cinquetti und spendete den güldenen Heiligenschein, der sofortige Wirkung tat — gleich einem unbezwingbaren Schutzwall vor den starken Mächten der Finsternis. Signora Cinquetti schien gerettet, aber für die arme Paola kam jede Hilfe zu spät. Mit dem abartigsten Schrei riss sie der Dämon Pazuzu hinfort in eine rot glimmende Zone der niemals Wiederkehrenden – ab diesem Tag verschwanden die eins-
tige Heiterkeit und Lebensfreude aus dem Hause Cinquetti wie ein fröhliches Kätzchen, welches im naheliegenden Sumpfe ertrunken war.
PS:
Der Regisseur William Friedkin stöbert 1972 in alten Bibliotheksarchiven, auf der Suche nach Inspiration für seinen neuen Film. Er stößt auf das Gemälde und diese krude Geschichte, krakelig verfasst von einem wahnsinnigen Franziskanermönch. Und – der Cineast unter den Lesern wird es längst wissen – Friedkin erschafft den größten aller Horrorfilme: „Der Exorcist“. Er transponiert den Stoff in die Neuzeit und modifziert die Geschichte. Und doch ist der Ursprung der schlimmen Mär ganz unverkennbar.
PPS:
Was will euch der Zinkl mit dieser Reportage sagen: Die Faszination am grausligsten Aberglauben sucht den Menschen wohl heim seit Anbeginn der Zeiten. Es verquickt sich Todesangst mit wilder Fantasie, grelles Entsetzen mit Schutzbedürfnis; es wird nach Liebe gesucht, und sie entsteht – aus Verzweiflung vor schmerzhafter Vernichtung.
Ja, so mag es sich zugetragen haben, damals, im Hause der Cinquetti! Sehr schön neu erzählt vom Zinkl, obwohl er gar nicht dabei war. Das Original ist übrigens in San Gimignano zu finden. Besonders reizvoll finde ich die kleine Treppe links, die beweist, dass man in der Renaissance schon mit Beton gebaut hat, das dreidimensionale Zeichnen aber noch üben musste.
PS: In Wahrheit – laut der italienischen Reiseführerin in San Gimignano – ist die Nonne vor Schreck über das Gummimonster, das ihr von dem Spaßvogel mit der blauen Mütze vors Gesicht gehalten worden war, die Treppe runtergefallen. Der Dame rechts ist dasselbe passiert, sie erholt sich gerade auf einer Isomatte von dem Schreck; der vermeintliche Heiligenschein macht nur auf ihre Kopfschmerzen aufmerksam.
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