CD-bunt

Liebe Leser,

wer den Blog 033 vor einigen Wochen noch nicht gelesen hat, sollte das vielleicht tun, bevor er sich hier die Fortsetzung gönnt.

Man verzeihe mir übrigens dieses kitschig-pathetische Bildmotiv, aber genauso habe ich damals empfunden, als die silberne Scheibe auf den Markt kam. Der Grafiker-Student Zinkl bastelte 1986 zu dem Thema sogar seine FH-Abschlussarbeit (garantiert noch ohne Einsatz von digitaler Technologie).

Zinkl hatte innerhalb einer Dekade seine 600 Vinylscheiben (von denen sehr viele völlig neuwertig waren) durch CDs ersetzt, so weit das der Markt hergab. Freilich diesen wertvollen Sammelbestand auch durch zahllose Neuerscheinungen ergänzt, so dass der Raum, den diese Tonträger in übersichtlicher Anordnung benötigten, kein kleiner war.

Die in den Ruhestand versetzten Langspielplatten wurden nicht mehr gespielt, als wären es Kranke, die unheilbar von der Lepra heimgesucht worden waren. Trotzdem lagerte sie Zinkl weiterhin — haupsächlich aus nostalgischen Gründen und wegen der Covers. Denn die CDs an sich waren zwar geniale Tonträger, aber die dazugehörigen, preiswert produzierten Heftchen für Auge und Hand eines Grafik-Designers eine ziemliche Zumutung. Wie konnte man so gute Technologie nur so billig verpacken — ich sehe aber ein: Die CD an sich war schon teuer genug.

Es kam der Tag, an welchem die häusliche Platznot so groß geworden war, dass Zinkl in einem Anfall von „Ich lebe im Jetzt!“ beschloss, alles Vinyl (bis auf ein paar absolute Raritäten) zu verkaufen. Dieser Anfall ereignete sich vor ungefähr fünf Jahren, als er längst auch schon seine 2.500 CDs in Form hochaufgelöster mp3-Dateien in den Applemac hineingeschaufelt hatte. Digitale Konservierung und ein blitzschneller Zugriff — ein unvorstellbarer Traum aus der Jugendzeit war wahr geworden — long live digital!

Es gab in München mittlerweile einige Läden mit Gebrauchtvinyl, denn erstaunlicherweise begann die gute alte Schallplatte eine Wiederkehr zu erleben: Sie drang ein in das Freizeitleben von hippen jungen Menschen, die das Knistern empfingen, als käme es aus einem gemütlichen wärmenden Kaminfeuer. Zinkl hatte also keinerlei Probleme, fast alle Scheiben — darunter die meisten wie neu — in drei Läden loszuwerden, für ein paar Hundert Euronen.

Inzwischen war das Revival der Vinyl-Langspielplatte in vollem Gange und in aller Munde. Neue Musik wurde ab sofort online und in den Kaufhäusern nicht nur mehr als CD und mp3 angeboten, sondern ergänzend als hochwertig produzierte LP. Auch die besten Scheiben aus den 50er bis 80er Jahren wurden nach und nach wieder frisch in Vinyl gepresst — neu erhältlich mit dem großen Cover, gerne zum Aufklappen, zum freundlich in der Hand halten, zum gemütlichen Lesen der Lyrics und Betrachten der Fotos, ganz ohne Vergrößerungsglas. Ein haptisches Vergnügen! Luxuriöse und schwere Gesamteditionen von den Beatles, Stones, Queen etc. gab es für Vermögende zu erwerben und entzückten den wahren Vinylsammler.

Zu einem kulturellen Genussereignis delikatester Art wurde es erstmals, die runde gerillte Scheibe auf den Plattenteller zu hieven, die Nadel mit dem gutturalen „Wocc“-Laut — natürlich von Hand manuell — aufzusetzen und dem sagenhaften warmen Klang zu lauschen, den nur eine Vinylschallplatte bieten kann.

Zinkl hatte damit kein Problem, denn er besaß längst jegliche Musik auf CD und mp3. Jegliche. Er konnte erleichtert und froh sein, dass er den verstaubten Dreimeterstapel Vinyl los war, was sollte er noch mit dem Ballast? Warmer Klang, alles nur Einbildung. Knisterklang, genau!

Bald aber begann es langsam in ihm zu rumoren, ganz tief unten im Bauch fing es an. Es war der Beginn eines sich ausbreitenden Verlustgefühls, das ihn schließlich voll erfasste. Was hatte er nur getan? Er hatte seine Kinder — mit denen er die besten Jahre seines Lebens verbracht hatte — einfach so verkauft. Billig weit unter Wert verscherbelt und verschleudert. An schmierige Händler, die sie mit mickrigen handgeschriebenen Preisschildchen beklebten und in irgendwelche Kästen steckten und vermischten — mit abgegriffener Vinylware völlig fremder Menschen. Nein, wie grausam!

Viele kennen das Gefühl, wenn man am Computer versehentlich eine einmalige Datei löscht, die man mit großem Zeitaufwand sehr sorgfältig erstellt hat — und von der man kein Backup besitzt. Ein solches Gefühl, aber noch viel schlimmer, umschwallte nun Zinkl. Tief in ihm begann — gleich einem winzigen, aber resoluten Keimling — eine ungeheuer faszinierende Idee zu reifen.

Fortsetzung bald: REVIVAL. Teil 3

abstand-linie

zinkl-harant_icon2