queen

Liebe Leser,

neulich war ich seit langer Zeit wieder im Kino. Warum seit langer Zeit? Nun, der große Cineast und Filmkunstgenießer Zinkl hat sich schon vor einigen Jahren daheim ein Miniaturkino gebaut, in welchem man auf Anfrage die besten Filme aller Zeiten anschauen und gerne auch laut hören darf. Da super Filme ja keinen Schimmel ansetzen, warte ich lieber ein halbes Jahr, bis es die Großtaten aus Holly- und Bollywood auf BlueRay zu kaufen gibt. Um beim Schauen im Kinowohnzimmer auch pausieren zu können, wenn die Blase des öfteren nach Leerung verlangt. Diesen Luxus hat man ja in den öffentlichen Kinos eher selten.

Doch diesmal hat die Neugierde gesiegt, und ich sprang hinein ins Mathäser-Filmtheater, um die filmische Aufarbeitung des bewegten Lebens von Freddie Mercury und seinen Queen-Gefährten zu schauen. Im Vorfeld hat man bereits lesen können, dass nicht alles objektiv dargestellt worden sei, aber das ist mir völlig einerlei. Was ist schon wahr und wer will es beurteilen?

Ich muss bei Filmszenen, die mich anrühren, immer weinen. Da fließen die Tränen hemmunsgslos gleich salzigen Bächen die Wangen hinunter — und ich zucke, als würde man mir dezente Stromschläge verabreichen. Nun, es liegt bei diesem Film nahe, dass mir das geschah, als Herrn Mercurys Leben durch Aids eine jähe Wendung und Kürzung erfahren hat. Das ist sehr wohl bittertraurig und es hat mich stark bewegt. Aber wirklich geweint habe ich vor allem wegen der Musik. Ich weiß noch, wie ich als Vierzehnjähriger am Wiflinger Weiher im heißen Sommer des Jahres 1974 mit meinem braven Philips-Cassettenrecorder „Brighton Rock“ und „Killer Queen“ gehört habe. Diese Wahnsinnsenergie und kreative Monsterleistung, die alleine in diesen beiden Songs steckt, hat mich umgehauen.

Wie sich damals vier junge Burschen mit Riesentalent und enormen handwerklichen Fähigkeiten getraut haben, neue Wege in der Rockmusik zu gehen — und damit einen gigantischen Erfolg auf der ganzen Welt erlebten — das ist fabulös. Wie sie sich mit diesem total verrückten und für damalige Verhältnisse viel zu langem „Bohemian Rhapsody“ gegenüber allmächtigen Schallplattenbossen durchsetzten — und dieses Risikolied als Single veröffentlichten – und sich damit an die Spitze der Charts setzten! Dieses Epos mit dem genialen Intro und dem noch genialeren opernhaften Zwischenteil! Galileo! Galileo! Das ist mit das Größte, was der Musik des 20. Jahrhunderts passiert ist. Als ich es zum ersten Mal im Radio gelauscht habe, war ich ein naiver verpickelter pubertärer Wicht — aber ich wusste, was ein wirkliches Meisterwerk ist.

Sowas macht mich weinen, weil es so schön und großartig ist. Wenn sich Künstler nicht nur gegenüber drögen Geistern durchsetzen, sondern damit auch noch weltweit gefeiert und zurecht reich werden. Über die Durchschnittlichkeit hinweggleiten wie ein weißer Adler. Die Durchschnittlichkeit, die heutzutage die musikalische Welt verschleimt wie ein allgegenwärtig agierender Jabba the Hutt.

Ja, diese Zeiten richtig kreativer Musik im Radio sind seit Jahrzehnten vorbei. Ed Sheeran! Mein Gott, wie unglaublich langweilig. Fast alles, was musikmäßig heutzutage aus dem Kommerzradio quillt, sind entweder (meistens) blöd veränderte Remakes aus dem vorigen Jahrhundert oder es ist so gewöhnlich und fad in seiner Monotonie, dass man seinem Gehirn schon nach Sekunden Frischluft verpassen muss, weil es sonst einnickt und man beispielsweise an den nächsten Leitplanken knallt.

Sogar die Bee Gees haben 1978 mit ihrem Soundtrack zu „Saturday Night Fever“ etwas völlig Neues gewagt: mit diesem ungeheuerlichen Eunuchengesang! Das muss man sich erstmal trauen, solche Gesänge abzuliefern. Ich habe mir heute über einem meiner sensationellen Kopfhörer ziemlich laut „Stayin’ Alive“ angehört. Boah, ist das klasse. Dieser Groove und dazu dieser Gesang. Genial. Für immer genial.

Es gab mal großartige Musik von Schwarzen! Marvin Gaye, Stevie Wonder, die Ohio Players, Brothers Johnson, Earth Wind & Fire, Bill Withers, Michael Jackson, ach was weiß ich von wem sonst noch. Diese Leute hatten was in der Birne. Und heutzutage? Ächz. Prollige Typen mit Goldketten spreizen mit affenartigen Bewegungen unangenehm ihre Finger, verbreiten hässlichen Motherfuckersprechgesang und sind alles: bloß nicht originell. Die Große Salzwüste in Utah ist ein Ort der Zauberfantasie, vergleichsweise.

Ich habe meiner Tochter Linda vor vier Jahren einen iPod geschenkt, mit den 1.500 besten Songs aus den 60er, 70er und 80er Jahren. Damit sie erlebt, was Musik im Kopf für Köstlichkeiten bieten kann. Damit sie Abba kennt. Und wichtiger noch: Steely Dan, damit sie den Song „Rikki Don’t Lose That Number“ lieben lernt. Sie hat „Abracadabra“ von der Steve Miller Band tagelang begeistert gesungen. Und sie hört „Highway Star“ von Deep Purple. „Immigrant Song“ von Led Zeppelin. Das freut mich mehr, als man mir glauben wird. Ich habe ihr das größte Geschenk gemacht, das man sich vorstellen kann: richtig gute Musik aus einer Zeit, als noch richtig gute Musik geschaffen wurde. Klar hört Linda auch aktuelles Zeug, aber sie hat längst verstanden, dass die wahren Perlen auf ihrem iPod gespeichert sind. Ich bin keineswegs frustriert oder ein altmodischer konservativer Furz. Ich bin lediglich ernüchtert, dass es keine Band mehr gibt wie Queen. Keinen Paradiesvogel wie Freddie. Kein Alien wie Bowie. Keinen Glitzerprinzen wie Marc Bolan. Keine Lichtgestalt wie Jim Morrison.

Dafür gibt es Ed Sheeran. Gaby aus der Lindwurmstraße liebt Ed Sheeran. Meinetwegen. Die hat ja auch mit mir Schluss gemacht. Passt schon. So, meine Lieben. Dieser Blog begann mit Kino und endete mit Musik. Ja mei. Und nun zum Abschluss noch ein Tipp: Hört euch mal wieder „Killer Queen“ an und achtet auf die Triangel. Es ist das Größte, wenn diese erklingt: in der sechsundfünfzigsten Sekunde. Eine Sekunde vom Paradies. Danke, Freddie & Co. Diese Triangel ist mehr wert als tausend Hip-Hop-Rap-Ausscheidungen.

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