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Liebe Leser,

das menschliche Wesen ist eine sensationelle Konstruktion, im Detail in seiner Einzigartigkeit sicher wohl niemals nachzubauen. Gerne wird behauptet, dass für diese Gelungenheit ein gewisser Gott verantwortlich ist, aber dieses Fass mache ich hier und jetzt ausnahmsweise mal nicht auf.

Angesichts mangelnder Beweise bezüglich eines schöpferischen Überwesens bleibe ich also lieber beim guten alten Darwin — das menschliche Zellenkonstrukt hat sich halt über die Jahrmillionen so zusammengefügt, aus diversen Erfordernissen und vor allem aus der Erfordernis, nicht nur überleben zu wollen, sondern sich vor allem fortpflanzen zu müssen, so erfolgreich und so oft wie möglich.

Dieses Betreben wohnt ja jedem Lebewesen inne: den Pflanzen, den Pilzen, allen Tieren und ebenso dieser merkwürdigen Modifikation Mensch. Diese hat sich aus einem grunzenden, unangestrengt kopulierenden Affen zu einem partiell humanistisch gebildeten Individuum herausgebildet, bei dem das fähige Gehirn allerlei Kapriolen treibt und das Kopulieren des öfteren zu einem eher anstrengenden Prozess macht.

Der moderne Mensch möchte hinter die Fassaden des Seins blicken, er möchte seine eigene Seele ergründen, er möchte wissen, wie, warum und woher. Aber er möchte auch f…, wie der grunzende Affe, welcher er einst gewesen ist. Das verlangen die Gene von ihm, daran wird sich nichts ändern. Den Genen ist die Überbevölkerung auf dem Planeten Erde völlig unbekannt und auch wurscht, da sind sie recht konservativ und noch in der menschlichen Urzeit verhaftet, als es ausreichend Platz unter der Sonne gegeben hat.

Die Gene präparieren das menschliche Geschöpf mindestens ab dem zehnten Lebensjahr für die Fortpflanzung. Dass es sich dabei noch um Kinder handelt, die sich schwer tun, in angemessener Weise selbst Kinder aufzuziehen und vernünftig zu erziehen — das ist den Genen herzlich egal. Selbst der männliche Greis kann fortpflanzlerisch noch tätig werden — dass er dann als Vater nur mehr begrenzt zum Einsatz kommen wird, als Familienoberhaupt und Ernährer seiner Sprösslinge: Die Gene scheißen sich darum nichts.

Die Gene haben eine raffinierte Methode entwickelt, um die Fortpflanzung zu forcieren. Während der Pubertät bekommen die geistig unreifen Geschöpfe unheimliche Gefühlsanwandlungen und -schwallungen, mit denen sie schwerlich zurecht kommen. Das hat man dann „sich Verlieben“ genannt und es treibt die junge Brut hemmungslos in die Fänge des anderen Geschlechts, damit es möglichst flott zu Befruchtungen kommt.

Die Auswahl des zu befruchtenden Subjekts wird natürlich auch von den Genen bestimmt. Gesund muss der Partner sein, zumindest muss er gesund aussehen. Das Männchen sollte auf jeden Fall sehr viel höher gewachsen sein, als das Weibchen. Unbedingt! Wie soll es sich denn sonst behaupten können gegenüber dem reißenden Grizzly, gegenüber den mächtigen Schaufeln des Riesenhirsches, vom hungrigen Säbelzahntiger mal ganz abgesehen. Groß = besser.

Dass die Körperhöhe auch heutzutage für das Männchen noch eine nicht unwesentliche Rolle spielt, um sich ein hervorragendes Weibchen ergattern zu können, das ist erstaunlich. In den Stätten der menschlichen Zivilisation sind die obengenannten Raubtiere nur noch selten zu finden, die Bänker und Broker kämpfen mit unsichtbaren Finanzwerten — aber trotzdem ist es selbst für zahlreiche auch bloß 160 cm hohe Weibchen ein stiller Wunsch, dass das Männchen mindestens 180 cm hoch gewachsen ist. Das hat mit dem Verstand rein gar nichts zu tun, das muss man wissen, das verlangen die Gene. Doch diese wissen nicht die Bohne was von einer menschlichen Zivilisation des aktuellen Jahrhunderts und der letzten beiden.

Obwohl inzwischen fast jede Frau Tyrion Lennister kennt (wunderbar verkörpert von Peter Dinklage) und vielleicht auch mitbekommen hat, was für enorme Zeugungskräfte in dem kleinen Mann stecken — ein Idealbild eines Samenhengstes wird er für die Weiblichkeit wohl nie werden. Wer hat Schuld daran? Die dummen Gene! Nun gut, zu Zeiten des kleinen Lennister mussten noch schwere Eisenschwerter geführt werden, da tat sich Tyrion (der überaus Gescheite) schon schwer. Aber heute? Heute?

Wie komme ich überhaupt auf die Idee zu dieser Reportage? Hah, das ist einfach. Man schaue sich nur mal um, im Online-Dating, der zeitgemäßen Plattform für Partnerschaftswillige. Man schaue sich an, was die meisten Damen für Anforderungen an die Herren stellen, bezüglich deren Körperhöhe. Da lachen sich die Gene scheckig, weil ihre ururalten Vorgaben über den weiblichen Verstand triumphieren, wie das schwere Schwert über den kleinen Tyrion.

Na gut, die Damen schätzen durchaus auch ein wenig Geisteskraft und Humor beim männlichen Bewerber, aber ihr Wunschprinz sollte am liebsten ein Riese sein, das gefiele ihnen ideal. Sie wollen aufschauen können. Aufschauen! Nicht eine einzige Frau wünscht sich einen Mann, der kleiner oder genauso groß ist wie sie. Frau Schwarzer, es hat alles nichts geholfen — gegen die Gene konnte sich nicht mal so eine Kapazität wie Sie durchsetzen.

Aber noch erstaunlicher ist die ganze Betrachtung dann, wenn es sich dabei um Damen handelt, deren Körper für das Austragen eines Kindes schon zu alt sind. Und die größtenteils auch gar keine Kinder mehr bekommen wollen. Die blöden Gene sind nicht in der Lage, die geistigen Fähigkeiten ihrer weiblichen Wirtskörper dahingehend zu manipulieren, so dass verstanden wird: Das Männchen muss mich nicht mehr beschützen können vor wilden Tieren oder vor mächtigen Eindringlingen, die meine Brut stehlen oder sogar töten wollen! Es muss also gar nicht unbedingt so groß sein. Und wozu aufschauen? Die Damen streben doch auch im Beruf eine Stellung an, die das Aufschauen zum Manne möglichst vermeiden soll. Privat nicht? Na klar, nicken die Damen, aber deren Gene sind ungleich mächtiger als deren Verstand.

Andersherum ist es auch nicht einzusehen, warum vor allem der in die Jahre gekommene, aber immer noch sexuell getriebene Mann unbedingt ein junges attraktives Weibchen mit Bienentaille und opulenten (mit für Säuglinge nahrhaften) Brüsten haben möchte. Kinder will der Abfünfziger doch sowieso keine mehr aufziehen und bezahlen erst recht nicht. Aber auch das ist — ich schreibe es nochmals mit aller Deutlichkeit — den Genen scheißegal. Sie verlangen vom Mann, dass er sich eine junge Hübsche reißt. Dass er daran vielleicht scheitern könnte, weil er schon zwanzig Jahre älter und „nur“ 170 cm hoch ist, versteht sich von selbst.

Die allseits als Idealzustand betrachtete Emotion „sich Verlieben“ ist (rein pragmatisch gesehen) bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung als Wahnsinn zu betrachten — weil dieses Gefühl von den Genen erschaffen wird, um eine Fortpflanzung in die Wege zu leiten, welche bei jüngeren und älteren Menschen überhaupt nicht (bzw. nicht mehr) erwünscht ist. Trotzdem wollen sich auch die Ü-50, die sogenannten „Best Ager“ (wie die Werbung heuchlerisch tituliert), vor allem Frauen, immer noch verlieben! Am besten auch gleich noch mit Kerzenlicht-Romantik verbunden.

Die Erfindung der Kerze liegt ca. 5.000 Jahre zurück, damals gab es außerdem nur das Lagerfeuer und Fackeln. Die Gene haben sich das gemerkt. Deshalb verlangen sie auch heutzutage, in Zeiten von feinsten LED-Möglichkeiten, immer noch die Kerze, damit die Grundbedingungen geschaffen werden, um sich erfolgreich zu paaren. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich liebe Kerzenlicht sehr, weil es eine schöne Atmosphäre schafft. In mir rumoren aber halt auch die Gene von vorgestern — da kann ich nicht gegen an. Sex unter dem Christbaum mit echten Kerzen — ja, gerne, immer. Super, wenn einem dabei das heiße Wachs auf den nackten Hintern tropft.

Ich appelliere jedoch an die Wissenschaft, endlich mal ein chemisches Präparat zu entwickeln, welches die Gene auf up-to-date bringt. Damit für große Frauen auch Zwerge anziehend wirken. Damit sich auch nicht so wunderschöne Frauen leicht tun. Und vor allem, damit Verliebtheitswahn für Menschen über fünfzig gar nicht mehr auftreten kann. Es sollten nur noch diejenigen Menschen die vielgerühmten „Schmetterlinge im Bauch“ spüren, die dann auch fähig sind, die Konsequenzen zu tragen, also — fortpflanzungsbezogen — erfolgreich tätig werden könnten.

Oh, ich höre jetzt alle aufschreien! Aber Zinkl, du alter böser Knochen, wie kannst du sowas verlangen? Es gibt doch nichts Schöneres als die „Schmetterlinge im Bauch“, die Vorfreude auf ein romantisches Zusammensein mit allen Zutaten. Was hat man denn sonst schon noch für Freuden im Alter? Das stimmt! Aber was ist mit denen, die diesen Wahnsinn nur einseitig erleben (99 Prozent aller Willigen). Was müssen die erleiden? Hat denn da niemand Mitleid?

Echte Zuneigung, Vertrauen, Treue und wahre Liebe bei Ü-50: bitte immer gerne. Aber bloß keine Verliebtheitsattacken, die den Verstand euphorisieren und schwächen wie zuviel Alkohol — dabei nach einiger Zeit verdunsten und nur noch ein schales und sehr unerfreuliches Gefühl im Magen hinterlassen.

Aber jetzt mal weg von dem oberlehrerhaften Geschnatter in dieser Reportage — Zinkls Affenverstand hat trotzdem beschlossen, sich demnächst zu verlieben.

PS:
So, und das war nun garantiert das letzte Mal, dass ich dieses verfluchte Thema „Onlinedating“ zur Sprache gebracht habe. Irgendwann muss man es auch gut sein lassen. Jawohl. Basta. Ich habe fertig.

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