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Liebe Leser,

dem Zinkl ist es angenehm, wenn er bei seinen Tätigkeiten streng systematisch und strukturiert vorgehen kann. Das ist wohl seiner Robotermentalität geschuldet, die ihn zu mindestens fünfzig Prozent im Griff hat.

Zum Beispiel, wenn sich der gute Mann im Dampfbad aufhält. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die brutale Hitze zwingen ihn förmlich dazu, den kleinen qualvollen Raum schon nach fünfzehn Sekunden zu verlassen. Aber das ist ja nicht der Sinn der Übung. Also hat sich Zinkl ein System auferlegt, um ziemlich genau fünf Minuten durchzuhalten.

Er legt sich zuerst flach auf die oberste Plattform im dampfigen Raum (wo es am heißesten ist), und zählt innerlich genau bis hundert. Danach setzt er sich auf, so dass sein Beine auf der zweitobersten Plattform stehen. In dieser Haltung, schweißtriefend, den Kopf gesenkt, zählt er bis hundert. Danach geht er ins Parterre, spaziert im Kreis herum, schweißtriefend, und zählt bis hundert. 3 x 100 = fünf Minuten. Dankbar verlässt er den Raum, er hat es vollbracht.

Nun wandert er splitternackt auf die Terrasse, wo ein eisiger Wind weht. Das macht ihn frösteln, aber auch hier gibt es eine strenge Regel. Er spaziert langsam exakt 90 quadratische Pflastersteine ab, das sind dann genau 1,5 Minuten. Danach schreitet er wieder zurück in die Heißzelle und die Prozedur beginnt erneut.

Insgesamt dreimal vollzieht er diesen Tatvorgang und zur Belohnung darf er nach 19,5 Minuten duschen. Dieses Konzept ist wunderbar und verhindert das Chaos in Zinkls Gehirn. Leider lassen sich nicht alle Lebenssituationen so klar und problemlos meistern. Wenn Zinkl seiner beruflichen Tätigkeit als Grafiker nachgeht, muss er oft weiter als bis hundert zählen und das kann ihn in den Wahnsinn treiben. Ein anschauliches Beispiel dafür folgt nun sofort.

Es kommt vor, dass Zinkl für eine kleine Fachanzeige fürs Internet das Portrait eines begeisterten jungen Mannes zum Werbetext dazustellen soll. Solcherlei professionell fotografierte Bilder findet man in sogenannten Stockfotoarchiven. Von begeisterten jungen Männern gibt es bei Adobe Stock 5.535.484 Abbildungen. Um das am besten geeignete Bild zu finden, wäre es Zinkls Pflicht, diese Motive alle prüfend durchzusehen. Weil er damit aber monatelang beschäftigt wäre und nur eine Stunde Zeit hat, kommt er in eine allerschlimmste psychische Bredouille.

Diese Aufgabe überfordert ihn dermaßen, dass er zum Kühlschrank läuft und in eine Zitrone hineinbeißt, um sich wieder einzukriegen. Danach gießt er sich ein großes Glas Jim Beam mit Eiswürfeln ein und reißt eine Tüte Lidl-Kartoffelchips auf. Doch das alles löst nicht sein Begeisterter-junger-Mann-Problem. Er muss sich entscheiden, wieviele Bilder er sich ansehen wird. Er betrachtet die ersten 1.000 begeisterten Männer, und davon nimmt er dann den siebenhundertvierundsechzigsten und baut ihn in seine Anzeige ein.

Die Anzeige wird präsentiert, aber dem Kunden, Herrn Süß, gefällt das Gesicht des begeisterten jungen Mannes nicht. Es erinnert ihn an einen Typen, der ihm vor 30 Jahren seine Freundin ausgespannt hat. Diese unangenehme Erinnerung behält Herr Süß jedoch für sich und bittet Zinkl sehr freundlich, einen anderen begeisterten Mann zu suchen. Nun eilt es auf einmal sehr. Die Anzeige muss morgen beim Verlag abgeliefert werden, damit sie rechtzeitig online erscheinen wird. Man kann sich denken, dass Zinkl eine weitere Zitrone und mehr Whiskey braucht, um bei der Stange zu bleiben. Nun wählt er in großer geistiger Verwirrung weitere zehn begeisterte Männer aus, manche mit Bart, manche ohne Bart, manche mit Wuschelhaaren, manche mit Gelfrisur, verschiedenste Typen halt. Wenn großes Glück passiert, kann sich Herr Süß mit einem dieser zehn Burschen anfreunden – und die Anzeige kann rechtzeitig beim Verlag abgeliefert werden.

Deshalb geht Zinkl lieber ins Dampfbad. Das ist so viel einfacher zu bewältigen, als die Ungewissheit durchzustehen, ob Herr Süß einen der begeisterten jungen Männer liebgewinnt. Und dann das schlechte Gewissen, weil man sich ja noch einige weitere tausend begeisterte Männer hätte anschauen sollen, können, müssen! Stöhn, ächz, schwitz.

Dummerweise wird Zinkl nicht dafür bezahlt, ins Dampfbad zu gehen und die Sekunden zu zählen. Nein, er verdient sich seinen Lebensunterhalt bekanntermaßen als Grafiker. Und sollte gemeint werden, Zinkls Honorare wären vielleicht manchmal zu hoch, dann darf man nicht vergessen, wie sehr ihn sein Job zerrüttet. Weil er sich mit unzähligen begeisterten Männern abgeben muss und selbst nicht entscheiden darf, wer letztendlich das Rennen macht. Das ist eine ganz arge Quälerei.

Aber: Nur die Harten kommen in den Garten und deshalb wird Zinkl auch die nächsten Jahre bis zu seiner Rente Millionen von begeisterten jungen Männern und begeisterten jungen Frauen und begeisterten etwas älteren Männern und begeisterten etwas älteren Frauen auswählen, präsentieren und abgeschossen bekommen. Bis er deswegen saugrantig in den Sarg steigt, dann muss er nie mehr begeisterte Gesichter sehen. Was für ein Segen.

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