091_streetlife

Liebe Leser,

wenn draußen die Sonne scheint und gerade niemand den Grafiker Zinkl braucht, gibt es für mich nichts Schöneres, als auf mein Pedelec zu steigen und hinfort zu schweben, in unbekanntes Land.

Und schon fragt sich der geneigte Leser: Was zum Teufel ist denn ein Pedelec? Nun, das ist ein elektrisch unterstütztes Fahrrad, welches aber nur eine Unterstützung bis zu einer Geschwindigkeit von max. 25 km/h bekommt. Es gibt noch die S-Pedelecs, die bis zu 45 km/h kraftunterstützend funktionieren, aber ich will mich vorerst noch nicht „darenna“. Und finde, auf dem Radl, vor allem in der Stadt, ist man mit 25 km/h sowieso schon im Lebensrisikobereich angesiedelt. Ich rolle viel lieber entspannt, muss ja auch noch auf die Vierrädrer gucken.

Kürzlich, es war der sonnige 1. Mai, bin ich also mal wieder losgepedelect, ohne Ziel, ohne Sinn und ohne Verstand. Auf einmal kam ich in der Balanstraße an — und in nullkommanix war ich schon fast in Neuperlach. Weil mich der Durst arg plagte, parkte ich bei Esso, die haben ja Gott sei Dank auch an Feiertagen auf, was schon ein Segen ist. Es war viel los, und ich stellte mich in die Reihe vor der Kasse, mit meiner Bottle Volvic mit Minze- und Gurkegeschmack. Ohne Zucker, mein aktuelles Lieblingsgetränk.

Vor mir stand ein kleiner kompakter ungefähr dreißigjähriger Kerl, der mich unvermittelt angrinste. Ich weiß nicht, warum, aber vielleicht fand er meine runde Sonnenbrille so lustig. Ich grinste zurück, weil ich ein freundlicher Geselle bin.

Er meinte zu mir: »Ach, ich hol mir noch ein Flascherl Jägermeister, weil heut’ frei ist, am Tag der Arbeit.« Und flugs hatte er ein solches Flascherl in der Hand und zeigte es mir grinsend.

Ich sagte: „Aber nicht beim Autofahren, gell?“

Das fand er auch wieder lustig und antwortete: »Hey, Meister, weißt du was? Ich geb’ dir einen aus, weil ich heut’ gut drauf bin.«

Ich: »Echt jetzt? Das ist aber wirklich nett von ihnen.«

Gesagt, getan, kurz darauf standen wir draußen und er kippte sein Flascherl in einem Zug in sich hinein. »So, und jetzt du, Meister.“

Ich: »Bin mit dem e-bike unterwegs, da muss ich ein bisserl aufpassen.« Und nahm einen kleinen Schluck von dem edlen Stoff.

»Hey, so trinkt man doch keinen Jägermeister, der muss in einem Zug runter.«

Aber ich hatte nicht vor, mich auf dieses Niveau zu begeben: »Den Rest heb’ ich mir für unterwegs auf, ich radle ja noch ein paar Stunden herum.“«

Damit ließ er es gut sein, erzählte mir aber noch ganz im Vertrauen, dass er erst kürzlich von einem zehnmonatigen Knastaufenthalt heimgekommen sei.

Ich: „Tatsächlich? Was hast du denn angestellt?“

„Hab’ einem Polizisten aufs Maul gehauen, weil er meine Ex angemacht hat.“

„Wie jetzt, einem Polizisten eine Ohrfeige?“

„Mit der Faust voll in die Fresse.“

„Und dafür kriegt man zehn Monate Knast? Finde ich aber schon etwas viel.“

„Hab’ den Fehler gemacht, dass ich mir nur einen Pflichtverteidiger geben ließ. Und die Richterin war eine schlecht durchgefickte blöde Kuh, die wollte wohl an mir ein Exempel statuieren. Scheiße gelaufen, das alles. Hey, ich hab’ früher alte Leute gepflegt, den Arsch ausgewischt und solche Sachen. Das hat die nicht interessiert. Musste die Zeit voll absitzen. Aber meine Ex grabscht der nicht mehr an.“

Zum Abschied machten wir noch „Give me five“ und dann spazierte der Bursche mit einigen Neuperlacher Kameraden davon. Die mir davor alle noch respektvoll die Hand schüttelten. Nette, gut erzogene junge Leute, das muss ich schon sagen.

Ich radelte fröhlich weiter, Richtung Fasanengarten und kippte währenddessen den restlichen Jägermeister in mich rein. Nicht so übel, das Zeug. So machte das Radeln gleich noch mehr Laune. Als ich mit Elvis Costello auf den Ohren bei einer Abbiegung mit schlappen 25 km/h über einen Zebrastreifen brettern wollte, hätte mich beinahe ein Subaru vom Sattel gehoben. Aber ich hatte alle meine Sinne noch zusammen und bremste rechtzeitig. Bloß die Flasche Volvic mit Minze- und Gurkegeschmack vollzog einen Salto aus dem Fahrradkorb und rollte über den Asphalt.

Es macht mir schon Spaß, im Münchner Umland herumzugurken, mit Gurkegeschmack und Costello. Immer wieder stoße ich auf Straßen, die ich noch nie betreten und berollt habe. Unglaublich, wie groß und vielfältig unser München doch ist. Ein steter Quell der Überraschungen. Und wenn man dann auch noch auf charmante und großzügige Menschen trifft, die wirklich etwas zu berichten haben: umso schöner!

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