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Liebe Leser,

kürzlich hatte ich ein sensationelles Erlebnis — und es ist mir eine Ehre, euch daran teilhaben zu lassen. Mein lieber alter Freund Silvester (nein, nicht Sly Stallone) rief mich an, um mir Folgendes zu erzählen:

»Hey Toni, du weißt doch, dass ich ab und zu gerne mit Holz arbeite. Pass auf: Mein guter Bekannter Mario ist ein großer Star Wars-Fan — die letzten drei Monate hat er seine Freizeit damit verbracht, den „Millennium Falcon“ zusammenzubauen. Das ist dieser allergrößte Lego-Bausatz mit über 7.500 Legosteinen. Damit das Raumschiff nun nicht verstaubt, habe ich ihm einen Wohnzimmertisch gebaut, mit Verglasung seitlich und oben, gewissermaßen als Vitrine. Morgen werde ich ihm den Tisch liefern. Hast du Lust mich zu begleiten?«

Nun, genausogut hätte man mich fragen können, ob ich Stallone persönlich kennenlernen wolle. YES, YES, YES.

Am nächsten Tag kam Silvester aus Rosenheim angerollt, mit seinem Toyota Auris Hybrid, im hinteren Teil der Ökokarosse war der große Vitrinen-Tisch in Einzelteilen untergebracht. Los ging die Fahrt in eine Gegend, in der sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen. Welshofen liegt im Niemandsland ungebändigter Natur, irgendwo zwischen Unterschleißheim und Augsburg, dorthin verschlägt es den Städter Zinkl so gut wie nie.

Mario ist ein beinharter Fan und ausgewiesener Kenner der Star Wars-Saga und konnte mir bestätigen, dass die Lego-Architekten ganze Arbeit geleistet hatten. Er kenne die Filme sehr sehr genau — und er sei wirklich zufrieden, wie man den Falcon in allen Oberflächendetails korrekt ausgestattet habe.

Ich meinerseits war beglückt, dass ich das Supermodell aus allernächster Nähe beschnuppern durfte. Es ist schon eine Großtat und — wie mir Mario gestand — ein herrlicher Genuss, den Zusammenbau höchstpersönlich vorzunehmen. Marios zwei kleinen Töchtern war es übrigens bei Todesstrafe untersagt gewesen, an der Montage teilzuhaben. Ich bewunderte Marios Gattin im Stillen, dass sie es zugelassen hatte, dass ihr Wohnzimmertisch für einige Monate eine diffizile Lego-Großbaustelle gewesen war. Dieses Opfer bringt nicht jede Frau für ihren Mann bzw. für das Kind in ihrem Manne.

Während Silvester den Vitrinen-Tisch kompetent zusammenmontierte, zeigte mir Mario die Original-Verpackung des Falcon und außerdem — was für ein Glücksmoment! — die tausendseitige Bauanleitung. Lego ist eine geniale Firma. Seite für Seite ist absolut einleuchtend dargestellt, wie man Steinchen für Steinchen zusammenfügen muss, bis eines Tages das unendliche Werk vollbracht ist.

Ich durfte an der heiligen Handlung teilhaben, das Raumschiff in seinen Hangar hineinzuheben. Dies gelang uns, ohne Schaden zu verursachen — ein Bruch wäre ein Fiasko gewesen und hätte vermutlich für Mario zu einem Herzinfarkt geführt. Ich persönlich fand das ganz okay so, wie der Falcon nun in dem Tisch ruhte, aber hatte dann doch noch anzumerken, dass man den hellen Ahornholzboden mit feinem schwarzen Sand oder Kiesel bedecken müsse, um ein wenig düstere Atmosphäre zu erzeugen. In Star Wars geht es ja schließlich um die dunkle Seite, da ist so ein fröhliches Ahornmaterial… na ja.

Noch während der Rückfahrt in dem fabelhaften Toyota Auris Hybrid bestellte ich mir über mein Smartphone bei Amazon den Bausatz des Millennium Falcon für 779,99 Euro. Ein Schnäppchen. Alleine die Bauanleitung ist das Geld wert. Wer nun meint, ich sei irre, dem sei gesagt: Bereits vergriffene Legomodelle aus dem Star Wars-Universum werden auf dem Schwarzmarkt zu erstaunlichen Preisen gehandelt. Ich brauche die mächtige Box mit dem kompletten Bausatz gar nicht zu öffnen: In zehn Jahren werde ich sie verkaufen und ein gemachter Mann sein.

Vermutlich wird es tatsächlich so kommen, dass ich das Raumschiff nicht zusammenstecken werde. Weil ich nämlich in meiner Wohnung gar keinen Platz dafür habe. Ich müsste das Wohnzimmer für ein halbes Jahr zu einem Ort der Quarantäne deklarieren, welcher nur von mir betreten werden darf, wenn ich an dem Modell arbeite. Tochter Linda würde nämlich bedenkenlos die ganzen fein sortierten Legosteine mit einem Schwung auf den Teppich schmeißen, damit sie sich Germany’s next Topmodell mit der blöden Heidi Klum anschauen kann und nebenbei Sushi essen. Das wäre eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes.

Ich habe die wuchtige Falcon-Box rechts neben meinen Fernseher aufgestellt. Das passt, wenn ich mir demnächst erneut alle Star Wars-Filme reinziehen werde, natürlich mit geschärftem Blick auf die Oberflächengestaltung des stahlgrauen Raumkreuzers.

Gestern kam mir beim Schwimmen eine fürchterliche Idee: Was wäre, wenn ich alle 7.541 Legosteinchen aus ihren nummerierten Tütchen herausholen und auf meinem Wohnzimmerteppich unorganisiert verstreuen würde? Um danach — völlig ohne die Bauanleitung — ein ganz eigenes kreatives Raumschiffsmonstrum zusammenzustecken! Ich bin mir sicher, dieses Sakrileg hat noch keiner gebracht. Star Wars-Fans würden mich dafür sicher steinigen. Oder mit einem der leuchtend grünen Laserschwerte in 7.541 Teile zerstückeln.

Aber auch ohne tödliche Bedrohung — ob ich in mir diesen ungeheuerlichen Freigeist trage, dies zu tun, das bezweifle ich schon stark. Vielleicht erwerbe ich das Modell ein zweites Mal. Dann baue ich es einmal originalgetreu zusammen und einmal ungebändigt exzessiv kreativ. Yes, das ist eine ultrageile Idee.

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