Liebe Leser,
kürzlich bekam ich von meinem guten Freund Elvis C. einen handgeschriebenen Brief, dass es nun wieder ein neues Album von ihm geben und er sich freuen würde, wenn ich daran Gefallen finden könnte. Das fand ich ziemlich nett, Elvis weiß anscheinend, wie sehr ich seine Musik schätze. Obwohl sich bereits 28 Alben vom Großmeister in meinem Besitz befinden (und das sind fast alle), habe ich nicht im Geringsten gezögert, auch sein neues Werk „Look Now“ käuflich zu erwerben.
Der Brite Declan Patrick MacManus ist ja mittlerweile seit weit über 40 Jahren als Komponist und Performer tätig, sein erstes Album „My Aim is True“ erfrischte 1977 unter dem damaligen Etikett Punk / New Wave die internationale Musikszene. Mir fiel er zu dieser Zeit nicht besonders auf, weil meine musikalischen Vorlieben eher beim Progressive Rock, bei der Klassik und bei Steely Dan lagen. Aber irgendwie mochte ich seine Stimme, bei der ich mir nicht sicher bin, ob der Begriff „näselnd“ zutreffend ist. Egal, das Lied „Alison“ singt er wunderbar.
Seit damals sind fast alle New Waver und Punker längst von der Bildfläche verschwunden, weil sie ihr Pulver innerhalb weniger Jahre verschossen hatten. Die meisten kreativen Köpfe von Rock- und Popbands schufen im besten Falle vier oder fünf starke Alben, danach fiel ihnen nichts mehr ein und sie wiederholten sich nur noch, aber schlechter.
Nicht so Costello. Er machte immer weiter, Album für Album, mit durchaus auch sehr vielen ähnlichen Songs, aber er wurde nicht schwächer — und mit den Jahren zeigte sich bei ihm eine musikalische Weiterentwicklung, die alles andere als selbstverständlich ist. Schließlich schuf er zwanzig Jahre nach dem Debüt sein Meisterwerk.
Als Costello Ende 1998 in Zusammenarbeit mit dem etablierten Komponisten Burt Bacharach „Painted From Memory“ herausbrachte, war ich fasziniert und bin davon immer noch beseelt. Die Platte (zu dieser Zeit war es natürlich eine CD) besteht ausnahmslos aus gefühlvollen Balladen, manche sind dramatisch und pathetisch, und Elvis Costello lehnte sich mit seinem Gesang — den man mögen muss — sehr weit aus dem Fenster.
Nun begann ich sie zu lieben, diese sehr spezielle, im klassischen Sinne nicht wirklich schöne Stimme. Sie bewegte sich souverän durch die anspruchsvollen Kompositionen, sie meisterte komplizierte Melodiewendungen, sie trug die Songs und verlieh ihnen etwas Einmaliges und sehr Gefühlvolles, ohne jemals kitschig zu werden. Dieses Album höre ich mir immer wieder gerne an — und jedes mal wird es besser und schöner.
Von da an wurde Elvis Costello mein sehr guter Freund und ich beobachte sein musikalisches Treiben mit großem Interesse, Respekt und Freude. Seit dem großen Wurf mit Bacharach bringt er regelmäßig neue Alben heraus, die stilistisch eine große Bandbreite zeigen. Es folgte eine Platte mit kantigen Rocksongs, danach kam mit „North“ wieder ein wunderbares sentimentales Album, 2004 veröffentlichte die ehrenwerte Deutsche Grammophon Gesellschaft sein komplett klassisch orchestriertes Werk „Il Sogno“ — ganz ohne Gesang. 2006 trat er live mit einer Jazz-Bigband auf und interpretierte alte Songs in neuen Arrangements — souverän wie eh und je.
Enttäuscht war ich allerdings von Costellos Veröffentlichungen danach. Bei der Zusammenarbeit mit dem Produzenten / Pianisten Allen Toussaint kam nichts heraus, was ich mir ein zweites Mal anhören möchte. Und bei der Blue Grass-Scheibe (amerikanische Country-musik) von 2009 schliefen mir die Füße ein — ich vermutete, das war’s jetzt mit dem großen Sänger und Liedermacher. Gute Nacht, Elvis C.
Aber 2010 schuf Costello mit „National Ransom“ ein Album, welches ich als sein bisher bestes (nach der Bacharach-Zusammenarbeit) einstufe. Er besann sich wieder auf seine kompositorischen Fähigkeiten und machte erneut einen Quantensprung. Ich kenne keinen anderen zeitgenössischen Musiker, der sich im Bereich Rock / Pop / Crossover auch nach mehreren Jahrzehnten musikalischen Wirkens nochmals so steigern und selbst übertreffen kann.
Während sich zum Beispiel Mark Knopfler seit ewigen Zeiten wiederholt und mich hinsichtlich seines Erfindungsreichtums zum Gähnen bringt (ich schätze ihn natürlich trotzdem), schöpft Elvis C. in den Harmonien und Melodien nach wie vor aus dem vollen Pool der Möglichkeiten und zeigt, was man leisten kann, wenn man klug und raffiniert komponiert. Costellos Lied „Jimmy Standing in ihe Rain“ besitzt einen melodiösen Reichtum, den die allermeisten heutigen Bands in ihrem gesamten Œuvre nicht haben, weil sie entweder nicht daran interessiert sind, intelligente Musik zu erschaffen — oder es halt einfach nicht können.
Nun also, 2019, das neue Album. Ich habe es schon mehrere Male gehört, aber es lädt mich trotzdem zum Immerwiederhören und Entdecken ein — und damit wird es jedes Mal besser! Costellos Lieder sind nicht gewöhnlich und (im negativen Sinne) einfach. Es macht mir Spaß, den geschickten Melodieführungen und den unkonventionellen Harmonien zu folgen. Natürlich dominiert seine einzigartige Stimme, die ich vor allem dann gerne höre, wenn sie verzwickte Melodien singt. Costello ist für mich wie ein hervorragender Whisky, der über die Jahrzehnte gereift ist und immer wertvoller wird.
Vor ein paar Jahren habe ich eine lächerlich preiswerte CD-Box mit den ersten zehn Alben eines gewissen Elvis Presley erworben. Bisher nicht gehört, integrierte ich die Lieder kürzlich in mein mp3-Archiv und erkannte, dass dieser Elvis auch soo schlecht nicht gesungen hat. Gewiss hat der „King“ die Musikgeschichte revolutioniert, das steht ja außer Frage. Aber er hat nicht selbst komponiert und ist leider zwanzig Jahre nach seiner ersten schwarzen Scheibe am gigantischen Erfolg kaputt gegangen.
Mein persönlicher King bleibt auf jeden Fall Elvis Costello — und ich wünsche ihm (und mir), dass ihm seine ungeheure Schaffenskraft, seine kreative Energie erhalten bleiben. Er ist ein großer Komponist und wahrer Künstler.
Dear Toni,
I’ve read your blog about my music and want to thank you for it. Man, you are a fucking genius who knows more about my music than I do. I totally share your opinion about Mark, he is lame duck, but a nice one. I also listened to your albums but I don’t think it’s my cup of tea. However, we could do an album together, you obviously need a good singer. Just give me a call.
Bye for now
Elvis C.
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