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Liebe Leser,

ich würde gerne einmal über Schildkröten herziehen und ihnen gehörig die Leviten lesen. Ihnen vorwerfen, dass sie so extrem langsam sind und sie sollten sich doch gefälligst zusammenreißen und sich nicht so anstellen. In diesem Falle würde ich unter Beweis stellen, dass ich ein kompletter Idiot bin. Das würde ich dann ohne weiteres zugeben.

Abgesehen davon habe ich nicht den geringsten Grund, über Schildkröten zu schimpfen. Ich besaß auch noch nie eine als Haustier. Ich hatte mal ein Meerschweinchen zur Pflege, das ist eingegangen, dabei habe ich es liebevoll mit der korrekten Nahrung versorgt. Aber es war halt schon recht alt.

Schildkröten haben keine Eile, das haben sie der Spezies Homo sapiens eindeutig voraus. Obwohl: Vielleicht haben Schildkröten sehr wohl Eile, aber dies unter dem Aspekt ihrer völlig eigenen physikalischen Möglichkeiten. Sie fühlen sich unter Umständen gehetzt und unter Zeitdruck, aber das merkt der menschliche Beobachter nicht, weil er sich vergleichsweise mit Lichtgeschwindigkeit durch die Welt wurstet.

Was will der Zinkl hier mit diesem abstrusen Text aufzeigen?
Genau: Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, Schildkröten nicht mit Menschen, Männchen nicht mit Weibchen. Das sind ganz unterschiedliche Lebensformen, sie exisitieren in eigenen Universen — und Schnittmengen dieser Universen sind zwar möglich, aber selten finden diese völlig stressfrei statt.

Die Schnittmenge zwischen dem Universum der Schildkröte und dem des Menschen ist das Salatblatt. Sowohl dieses Tier als auch der Homo sapiens können sich davon schadlos ernähren. Weitere Gemeinsamkeiten lassen sich finden, aber das hat sicher die Wissenschaft bereits an anderer Stelle getan.
Die Schnittmenge zwischen Apfel und Birne ist — auf den Zinkl bezogen — nicht vorhanden. Weil: Äpfel (vor allem die Sorte Pink Lady) liebt und verspeist er, dagegen vom Verzehr der Birne bekommt er nach kürzester Zeit rastlosen Durchfall.

Wie sieht es aus mit der Schnittmenge zwischen den Männchen- und Weibchen-Universen? Dies zu erörtern, könnte dicke Bücher füllen, aber ich will hier nur auf einen Aspekt Bezug nehmen, nämlich: Ticktackticktack. Und dies soll auch nicht als Allgemeingültigkeit verstanden werden, sondern als ganz individuelle Sichtweise des Schreiberlings.

Zinkl ist bekanntermaßen ein knallharter Atheist und lehnt übergeordnete diffuse Göttlichkeiten grundsätzlich als Humbug ab. Er sieht aber ein, dass die Bibel — freilich nicht wortwörtlich genommen — ein paar vernünftige Regeln enthält, die das Zusammenleben der Menschen verbessert. Man muss die Bibel eben im übertragenen Sinne lesen und verstehen.

Was allerdings das Wortwörtliche betrifft: Bei Terminvereinbarungen, auch im Privat- und Freizeitleben, ist Zinkl ein Extremist. Wenn er beispielsweise sagt, jemanden um 14.30 Uhr anzurufen, dann ruft er exakt um Punkt 14.30 Uhr an. Das ist ihm heilig. Wenn Zinkl verspricht, er kommt um 18.30 Uhr in ein Restaurant, dann ist er spätestens um 18.25 Uhr zehn Meter davon entfernt und spaziert schließlich genau um 18.30 Uhr durch die Eingangstüre der Lokalität.
Das mag übertrieben pedantisch zu sein, aber Zinkl kann nicht anders, es ist ihm völlig unmöglich, gegen diesen irren Pünktlichkeitstrieb erfolgreich anzukämpfen. Er hat es versucht, er bekam davon Migräneattacken, sogar Bauchschmerzen, schreckliche Verkrampfungen mit Übelkeit.

Nun, zumindest hat Zinkl eine gute Ausrede für sein abnormales Verhalten: Er behauptet nämlich, er respektiert dadurch die in die Verabredung miteinbezogene Person aufs Höchste, indem er ihr keinerlei Wartezeit beschert. Dass er sich damit selbst oft ins Wartezimmer manövriert, ist ja sein persönliches Problem, das kann man der anderen Person nicht zur Last legen.

Dieser Blog ginge nun eigentlich damit weiter, dass die These aufgestellt wird, dass das menschliche Weibchen hinsichtlich des Aspektes der Pünktlichkeit vergleichsweise belastungsfrei agiert. Es legt vereinbarte Uhrzeiten oftmals im übertragenen Sinne (siehe Absatz „Bibel“) aus: 19.00 Uhr = 19.25 Uhr. 20.30 Uhr = 21.15 Uhr usw.
Weibchen müssen vor vereinbarten Terminen noch Überstunden machen oder die Waschmaschine füllen oder sich besonders schön schminken, das sind alles hervorragende Gründe, exakte Zeitangaben gegen ein mehr oder weniger großes Zeitfenster auszutauschen. Das kann man durchaus vertretbar finden, und den einen oder anderen wird es nicht groß jucken. Aber einen Pünktlichkeitsfanatiker wie den Zinkl macht es rasend.

Wie gesagt: Dieser Blog ginge so unreflektiert nun eigentlich weiter und würde noch krasser werden, so in der Art: Das Weibchen kann sich einfach nicht anders verhalten, das ist eben genauso wie bei der Schildkröte, die auch nicht schneller sein kann als sie eben ist.

Doch STOP! Ausgerechnet heute hat mir meine liebe Freundin Pia einen Strich durch die Blog-Rechnung gemacht. Obwohl sie viele Kilometer quer durch München mit dem Rad zurücklegen musste, um bei mir aufzukreuzen, kam sie, wie vereinbart, auf die Minute genau um halb acht Uhr an! Das fand ich sensationell und es hat meinen bereits so pfiffig ausformulierten Blog ziemlich zerstört.
Ja, Frauen können pünktlich sein, das mag nicht jeder glauben, aber so ist es!

Und Zinkl setzt noch einen drauf: seine hochverehrte Frau Mama! Die ist immer schon eine halbe Stunde früher da als ausgemacht, das ist ihr eben zueigen und Zinkl findet das sehr lobenswert. Es entsteht damit gewissermaßen eine Minus-Wartezeit.
Die Kehrseite der Medaille: Wahrscheinlich hat Zinkl seinen persönlichen und verhängnisvollen Pünktlichkeitswahnsinn von ihr geerbt! Aber da kann ja die Zinklmama nichts dafür.

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