108_nudist

Liebe Leser,

am vergangenen Sonntag wollte ich den letzten Spätsommertag genießen. Ich besitze ein ausgeklügelt zusammenfaltbares Niedrigsitzstühlchen, welches nach langer Zeit endlich wieder einmal zum Einsatz kommen sollte, nämlich am sagenhaften Feldmochinger See, beim Sonnen und beim Baden. Dieses äußerst bequeme Accessoire will ich nicht mehr missen — es lässt sich auch problemlos auf dem Radl mitnehmen.

Also bin ich losgezogen, ausgestattet mit meinem fabelhaften chinesischen Multifunktions-Backpack (siehe auch Blog Nr. 104), dem Sony Extrabass-Kopfhörer und besagtem Niedrigsitzstühlchen auf dem Gepäckträger.
Die Sonne brannte mir schön aufs Hirn, auf die Ohren gab’s „Close to the Edge“ von YES (die verschärfte Live-Version von YESSONGS), so rollte ich mit lässigen fünfzehn Stundenkilometern durch den Münchner Norden hinaus aufs sonnige Land und war dabei ein glücklicher Mann.

Jede Reise hat ein Ziel, mein Ziel war, wie bereits angedeutet, der idyllisch gelegene Feldmochinger See, gerne frequentiert von zahlreichen Sonnenanbetern und munteren Badewilligen.
Eine liebe Bekannte bezeichnet den von mir aufgesuchten Platz am See Nackedonien. Es handelt sich dabei um ein saftiges Stück Liegewiese, auf welchem sich eine eingeschworene Sippschaft schamloser alter Menschen tummelt.
Nun gut, die meisten davon sind erst mittelalt (so wie der Zinkl), aber sicher ist: Menschen zwischen zehn und dreißig meiden diesen Bereich wie der Teufel das Weihwasser. Verständlich. Denen graust es halt.

Zinkl jedoch schaut sich das mittlerweile recht gerne an und mischt sich drunter. Es ist harmlos und entspannt, man wird nicht erotisiert, keinerlei Grund zu ekstatischen Anwandlungen. Denn hier ist man frei vom Verlangen, welches die Jugend umtreibt. Ja mei, der ältere nackte Mensch ist selten eine Augenweide, das kann man akzeptieren und aushalten, warum denn nicht?

Übrigens habe ich vor einiger Zeit in Nackedonien den Rainer Langhans gesehen. Er saß auch auf einem Niedrigsitzstühlchen, rings um ihn herum scharte sich ein Teil seines Harems. Langhans ist schon großartig, auch wenn er nackt ist. Ich konnte ihn ausführlich studieren. Obwohl er eine Legende ist und ein Prominenter, den man nicht so einfach anspricht, habe ich das gewagt, denn so unter den Nackerten ist man ja auch ein gutes Stück hemmungslos.

„Lieber Herr Langhans, wie war das eigentlich damals mit der Uschi, der schönsten Frau der Welt, das muss doch fantastisch gewesen sein?“
Langhans starrte mich mit seiner kleinen Nickelbrille fassungslos an, ich dachte schon, er wird böse, da säuselte er sehr leise:
„Ach die Uschi, die Uschi, die war schon ein fesches Madl. Wissen Sie, Schönheit ist ja vergänglich, schauen Sie sich hier um.“ Er richtete langsam melancholische Blicke auf seine drei betagten Begleiterinnen.
„Ach die Uschi, die Uschi ist inzwischen auch älter geworden, aber immer noch ein heißer Feger, das ist wohl wahr. Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen, sie widerlicher Mensch.“
Langhans fletschte die Zähne und bevor er mir an die Gurgel springen konnte, machte ich mich schnellstens davon, zurück zu meinem Platz.

Als ich eine Zeitlang entblößt auf meinem Niedrigsitzstühlchen flackte und mir die Leute anguckte, musste ich an den berühmten Film „Die Zeitmaschine“ denken. An die wunderschönen jungen blonden Eloi, die sich völlig sorglos in ihrem Naturparadies tummelten und vergnügt im Wasser plantschten.
Im Film sind sie nicht nackt, das ging halt bei einem Hollywoodfilm von 1960 nicht. Aber es wäre sicher ein schöner Anblick gewesen, hüllenlos wie Gott sie schuf. Lecker und schmackhaft auf alle Fälle: für die schlimmen Morlocks, die sie mit einer unheilvollen Sirene in die düstere Unterwelt lockten, um sie dort zu schlachten und zu fressen.

Am Feldmochinger See war ein kleines Sportflugzeug zu hören, welches am strahlend blauen Himmel vorbeiflog. Jedoch keinesfalls eine unheilvolle Sirene. Verständlich. Vor dem vorhandenen Nahrungsmittel hätten sogar die ärgsten Kannibalenmonster mit bleichen Mienen das Weite gesucht. Auch bei denen isst doch das Auge mit!

So gesehen also keine Gefahr für die fröhlichen Nudisten. Früher erschien manchmal noch die uniformierte Polizei und wies darauf hin, dass solch kleiderloses Treiben ungesetzlich sei. Dann riss man den Beamten die Uniformen vom Leib und warf sie (die Beamten) in den See, welcher jetzt, Mitte Herbst, schon empfindlich kalt ist.
Aber seit geraumer Zeit gibt es keine Unruhe dieser Art mehr, letzten Sonntag war es jedenfalls so friedlich wie im Paradies vor dem Sündenfall.

Ach, das nackte faule Leben, es hat schon was für sich, meine lieben Leser. Befreit von Stoffen, die man ja eigentlich nur braucht, wenn es einen friert. Aber nun ist es damit leider vorbei, schon droht die WIESN — und nicht nur die alten Leut’ werfen sich dafür in Tracht, das tut auch die Jugend mit Begeisterung und findet sich so dermaßen schön dabei. Schön, wie Gott sie nicht schuf, wohlgemerkt.

abstand-linie