Liebe Leser,
die von mir hochangesehene Dame S. hat mir kürzlich im Vertrauen mitgeteilt, dass ihr Symmetrisches nicht allzu behaglich ist. Und mir dazu beispielhaft ihren neuen schicken Pullover gezeigt, dessen modischer Halsausschnitt vom Designer ganz bewusst nicht achsensymmetrisch gestaltet und produziert worden ist.
Das fand ich hochinteressant. Schon auch den Pullover, aber noch mehr die Gesinnung. Als Grafik-Designer bin ich ja von jeher bestrebt, für Klarheit und Übersichtlichkeit zu sorgen, wenn es darum geht, Texte, Bilder und Logos miteinander in einen harmonischen Einklang zu bringen. Um das zu bewerkstelligen, eignet sich manchmal ein achsensymmetrischer Aufbau der beteiligten grafischen Elemente ganz ausgezeichnet. Warum ist das so?
Nun, die Natur selbst gibt dieses Prinzip weitestgehend vor. Das menschliche Gesicht ist achsensymmetrisch aufgebaut. Links ein Auge, rechts ein Auge, Nase und Mund dazu zentriert, die Ohren ebenfalls diesem System untergeordnet. Selten sieht man ja eine Person, deren linkes Ohr um zehn Zentimeter höher gelagert ist als sein rechtes.
Der menschliche Körper ist genauso angelegt. Ausnahme: die Burandi-Eingeborenen auf der noch kaum erforschten Insel Burandi im pazifischen Ozean. Diese merkwürdigen Gesellen haben beide Arme auf der rechten Seite und dafür an der linken Schulter nur noch einen kleinen Tentakel zum Nasenbohren. Vermutlich sind es die Nachfahren von vor Millionen von Jahren auf der Erde gelandeten Außerirdischen vom Planeten Sirius.
Auch die terrestrische Tier- und Pflanzenwelt ist achsensymmetrisch angelegt. Vom Weberknecht bis zum Grönlandwal: weitestgehend zentriert gebaute Geschöpfe. Die Tulpe hat ihr Kopferl oben in der Mitte, die europäische Eiche hält sich normalerweise ebenfalls an die symmetrischen Vorgaben, auch wenn sich deren Äste freilich nicht exakt spiegelbildlich verästeln — das ist der kreative Freiraum, den sich die Natur gerne gönnt.
Die Menschen haben ihre Bauwerke nicht immer nach diesem Prinzip angelegt. Der Eiffelturm und die Hagia Sofia folgen dem schon, aber fröhliche Architekten lassen auch gerne mal die Sau raus und verabschieden sich von der Achsensymmetrie, so geschehen bei dem berühmten Operhaus in Sydney. Das macht die Sache natürlich wesentlich spannender, denn Symmetrie trägt schon eine sehr starke konservative Komponente in sich.
Apropos konservativ: Dass eine zentrierte Optik bei den Menschen Wirkung zeigt, wusste sich zum Beispiel die katholische Kirche sehr zu nutzen. Die frühen romanischen Kirchen, die mächtigen gotischen Kathedralen, die schmucken Barockkirchen: Vor allem in den Innenräumen sind sie weitestgehend achsensymmetrisch angelegt.
Der Altar immer ganz klar in der Mitte, das unterstreicht die Wirkung, schafft Bedeutsamkeit, Ehrfürchtigkeit, Gottesfürchtigkeit. Der liebe oder auch schreckliche Gott guckt nicht seitlich rein, nein, er thront selbstverständlich oben zentriert, ein Symbol der absoluten Macht! Natürlich ist auch das Kruzifix symmetrisch — logisch, sonst hätte es nicht so gut gepasst, um unerwünschte Menschen dranzunageln.
Der amerikanische Regisseur Wes Anderson macht sich einen Spaß daraus, sehr viele Szenen vom Ambiente her kunstvoll achsensymmetrisch anzulegen, anzuschauen beispielsweise in seinen skurrilen Filmen „Moonrise Kingdom“ und „Grand Budapest Hotel“. Ich habe damit viel Freude, weil dieses erzwungene „Bühnenbild“ eine große Ungewöhnlichkeit darstellt.
Der gute Herr Picasso hat sich aus purer Innovationslust um Symmetrie nicht viel geschissen. Vor allem in seiner kubistischen Phase zerlegte und deformierte er Gesichter, dass es eine wahre Freude ist. Man google gerne „Picasso Hermine“, dann sieht man, was Pablo aus dem Gesicht der hübschen Dame gemacht hat. Obwohl Augen und Nase ziemlich verkehrt positioniert sind, sortiert sie der (konservative) menschliche Geist aber dann doch wieder zusammen und erfühlt sich einen einigermaßen korrekten Eindruck eines Frauengesichts, ohne dabei an ein Monster denken zu müssen.
Wenn ich das hübsche Gesicht und den Pullover von S. betrachte, denke ich ja sowieso nicht an ein Monster, sondern erfreue mich einerseits am formvollendeten Kopferl, andererseits an der dezent innovativen Asymmetrie des Pulloverkragens und wie das alles ganz wunderbar zusammenwirkt.
Wenn sich Zinkl allerdings mal wieder mit einem linken blauen und einem rechten roten Fahrradhandschuh bekleidet, dann ist das weniger seiner Anti-Haltung gegenüber Symmetrie geschuldet, als vielmehr ein kleiner Hinweis auf seine geistige Verwirrung, welche man auch „zerstreuter Professor-Syndrom“ bezeichnen kann.