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Liebe Leser,

letzte Woche machten der Zinkl und seine Kameradin der schleswig-holstein’schen Nordsee ihre Aufwartung. Von Muc ein Katzensprung mit dem Zinkl-Smart, das Wetter gab sich uns sonnengleißend, herbstlich. Hallig Hooge war noch nicht klimawandel-überflutet. Den Ureinwohnern fischbrötchenkauend ein heiteres Moin zurufend, so verbrachten wir völlig ungruselig Halloween.
Zuletzt quer rüber ostseewärts in die altehrwürdige Hansestadt Lübeck gesmartet, dort benetzte norddeutscher Regen dann doch noch unsere Häupter.

Wir nisteten uns ein ins Hotel Alter Speicher, zentrumsnah, aber ein Etablissement nicht allererster Güte. Doch wird sind ja keine Snobs und zürnen auch nicht, wenn wir feststellen, dass das Doppelbett zwei aneinandergeschobene schmale Einzelbetten sind. Mit Bettkluften sind wir ja gut vertraut (siehe Blog Nr. 112). Manche Lampen besaßen keine Glühbirnen, eines der Nachtkasterl hatte einen kaputten Radio von 1950 eingebaut, sowas mögen wir.

Wir hatten es uns gerade gemütlich gemacht, da ertönte arger Lärm aus dem Hotelflur. Es war ein ungutes Schaben und Kratzen und Wetzen, auch ein sehr schwerer Koffer kann solche Geräusche nicht leisten. S. machte darüber eine launige Bemerkung, man habe uns mal wieder das hellhörigste Zimmer gegeben, so in der Art.
Mir aber kroch es eiskalt den zinkl’schen Rücken hinunter, eine gar grausige Erinnerung aus Dezemberzeit 2017 schwappte in mir hoch.

»Zieh’ schneller, du unnütze Brut! Zieh’, sonst zieh’ ich dir die kleinen Nikolai-Ohren lang, ich halt’s jetzt nicht mehr aus in dieser Enge.«
»Da musst eh’ raus, verflucht, das Teufelsding klemmt fest, der Gang ist zu schmal, ich komm’ nicht ums Eck.«

Meine Vorahnung hatte sich bestätigt. Sie waren wieder da! Sie waren nur zwei Meter von uns entfernt, draußen auf dem Gang. Wer Zinkls Blog Nr. 007 gelesen hat, weiß Bescheid. Wer nicht, dem sei das Schriftstück hier ans Herz gelegt.
Kameradin S. wollte schon zur Türe, um sich über den Lärm zu beschweren, aber ich hielt sie gerade noch zurück. Sie konnte ja nicht wissen, was ich wusste!

Der alte Vampir war in die Stadt seines Urahnen zurückgekehrt. Natürlich! Auch hier in Lübeck hatte Murnau sein bedeutendstes Werk gedreht. Damals war Max Schreck Nosferatu gewesen, seinen Sarg hatte er im düsteren Keller eines verfallenen Speichergebäudes verborgen, von dort aus hatte er das Unheil über Lübecks Bürger gebracht. Wollte es ihm Kinski-Nosferatu nun gleichtun? Zutrauen tat ich das dem Irrsinnigen ohne weiteres.

»Was hast du dir dabei gedacht, uns in dieser lausigen Bruchbude einzumieten? Kann man dir nicht einmal das Geringste anschaffen, du Trottel? Ins Holstentor wollte ich!«
»Jetzt komm’ endlich raus, und hör’ auf zu meckern. Das Holstentor ist doch kein Hotel, dort wäre ich mit dem Sarg nie reingekommen, außerdem ist dort viel zu viel los. Dass es hier so eng ist, konnte ich ja nicht riechen.«

Nun hörten S. und ich ein scheußliches Knirschen und Knarzen, anscheinend schob Nikolai den Sargdeckel weg, damit der Alte raussteigen konnte. Ein eiskalter Wind machte uns plötzlich frösteln, wir krochen unter die klammen Bettdecken.
Nach einigem weiteren Getöse von draußen und häßlichem Fluchen seitens des unwirschen Kinski-Vaters wurde es schließlich ruhig. Die beiden waren anscheinend in ihrem Zimmer verschwunden.

Ich öffnete unsere Türe einen kleinen Spalt, direkt davor lag der riesige schwarze Sarg, halb geöffnet. Bösartige kleine Augen leuchteten mich an! Die Kinskis hatten ein paar Ratten mitgebracht. Oh Gott, sie würden die Pest über Lübeck bringen! Wir mussten so schnell wie möglich fort von hier.

S. war besorgt um mich, denn ich war anscheinend kreidebleich geworden. Doch dafür war nun keine Zeit. Ich gemahnte sie zur Eile und wies sie an, sofort zu packen. Das Hotel war umgehend zu verlassen.
Wir stiegen mit unseren Koffern so vorsichtig wie möglich über den Sarg, trotzdem stieß ich geräuschvoll an den Deckel, zwei der Ratten gaben ein markerschütterndes Quietschen von sich, dann sprangen sie blitzartig aus dem Sarg und liefen irritiert im Flur umher. Anscheinend vermissten sie ihr Herrchen. Es war widerlich, wie sie sich an einer ganz bestimmten Zimmertüre aufrichteten und am Holz schabten und kratzten.

Auf das, was wir unten an der Rezeption zu sehen bekamen, waren wir nicht gefasst. Der Mann an der Rezeption war bei unserer Ankunft zwar nicht besonders freundlich gewesen, aber ein solches Ende hatte er trotzdem nicht verdient. Todesstarr hockte er auf seinem Stuhl, die Augen weitest aufgerissen, sein Hals hatte auf der rechten Seite zwei große schwarze Löcher, war blutverschmiert, so wie sein weißes Hemd. Der ganze Tresen war blutbesprenkelt.
Kinski schien getobt zu haben, er musste sehr ausgehungert gewesen sein, um eine solch’ brutale Schweinerei anzurichten.

»Schau’ bitte nicht hin, Sabine, so etwas Schlimmes hast du noch nicht gesehen.«
Aber meine Kameradin konnte ihren Blick davon nicht abwenden. Sie, die wahrlich keine Kennerin von Vampirfilmen ist, bekam hier vielleicht gerade den Schock ihres Lebens. Ich nahm sie an der Hand und zog sie weg, wir verließen das Hotel, unsere Koffer schabten den nassen Asphalt entlang.

Plötzlich ließ uns eine heisere, aber sehr laute Stimme erstarren.
»Geht nur, geht, schleicht euch davon, ich kriege euch doch, ihr Gewürm. Die Stadt ist jetzt mein’ und ihr seid es auch. Hihihihi…«
Nosferatu-Kinski stierte mit grün glühenden Augen im bleichem Schädel aus einem der oberen Hotelfenster, sein schrilles Kichern hallte durch die Nacht. Auf seiner Schulter saßen die beiden Ratten und glotzten uns voller Gemeinheit an.«

Als wir vierhundert Meter weiter endlich an meinem Smart ankamen, konnte ich den Autoschlüssel nicht finden. Ich musste ihn anscheinend im Hotelzimmer vergessen haben. Schwarze Verzweiflung bemächtigte sich meiner.
Als ihn mir Sabine stumm in die Hand drückte, wusste ich, dass ich die richtige Frau an meiner Seite hatte, mit ihr zusammen konnten alle Schrecken dieser Welt nur noch halb so schlimm sein.

Wir verließen Lübeck, die verfluchte Stadt. Aber erst, als wir den Hamburger Elbtunnel durchfuhren, wussten wir, dass wir dem Vampir entkommen waren.

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