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Liebe Leser,

seit ich meinen allerersten Blog im Oktober 2017 online gestellt habe, bin ich der mir selbst auferlegten Veröffentlichungspflicht stets mit Freuden nachgekommen und habe immer spätestens alle acht Tage was Neues gebracht.
Aber diesmal bin ich etwas in Verzug geraten und erlaube mir die faule Ausrede, dass dies dem allgemeinen Stillstand in diesem denkwürdigen Frühjahr 2020 geschuldet ist.

Wenn man an einem Samstagvormittag ums Münchner Isartor herumradelt, kommt man nicht mehr in hektische Verkehrsbedrängnis, nein, es ist so beschaulich wie in den frühen 70er Jahren, als der Zinklbub seine ersten Schallplatten kaufte, zum Beispiel beim legendären GOVI in der Sendlinger Straße. Eigentlich ja irgendwie schön auch, aber das darf man ja gar nicht sagen.

Es ist komisch geworden. Wenn ich mir einen meiner alten Batman-Comics hervorhole, kommt mir erstmals in den Sinn, dass Bruce Wayne seine Maske zu weit oben hat. Das nervt. Aber ich will nicht schon wieder über dieses leidige Thema palavern, denn, jawohl: Das nervt.

Da fällt mir ein: Ich habe noch immer kein Testament verfasst. Vor ein paar Tagen bin ich ziellos durch Solln gegurkt, in meinem üblichen e-Bike-Schneckentempo (ich nenne es kontemplatives Zinklradeln), und will ganz ganz vorsichtig die Straße überqueren, da zischt ein Rennradler vorbei, mit gefühlten 100 km/h. Ein paar Zentimeter näher und mein Umhängetascherl hätte sich in seinen Speichen verfangen und er hätte mich eine gute Strecke mit- und zu Tode geschleift, diese Mistsau, diese vermaledeite.

Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann sind es diese dürren Neontorpedos, die dem Straßenverkehr mit völliger Todesverachtung begegnen. Da braucht es doch nur einen in stillen Gedanken versunkenen Smartfahrer, der — am Straßenrand parkend — die Fahrertüre unbedarft aufschwingt, dann ist so ein Heranrasender mit Schmackes hinweggeschleudert, so dass man ihn danach nur noch vom Asphalt kratzen kann. Da hilft ihm dann auch das grellgelbe Helmchen nicht mehr viel, welches er sich auf sein vom Wetter gegerbtes Kopferl gezurrt hat.

Deshalb muss ich dringend mein Testament schreiben. Man ist ja nicht immer Herr der Lage. Habe gehört, dass ein Testament handschriftlich verfasst werden muss. Das ist sehr anstrengend für mich, ich bin ja Perfektionist und wenn ich mich beim fünfzehnten Wort verschreibe, muss ich das Papier zerknüllen und wieder ganz von vorne beginnen.
Aber wenn ich mein Testament blogge, gilt es wahrscheinlich nicht.

Ich könnte hier jedoch einen Entwurf verfassen und diesen danach mit dem edlen Mont Blanc-Füller diszipliniert und ohne zu rasen ins Handschriftliche bringen. Na gut, packen wir es an:
Ich hinterlasse tausende CDs und DVDs, Hunderte von Vinylschallplatten, die komplette Carl Barks-Edition, viele Batman-Comics, fast alle Stephen King-Bücher (gebunden!), ein paar korrekt gefertigte Star Wars-Legomodelle und 25 Immobilien. All das bekommen meine beiden Töchter Marlen und Linda. Sie müssen es nur noch gerecht unter sich aufteilen. Ist das zuviel verlangt?

Jaja, das ist es! Weiß ich doch selbst. Darum habe ich ja auch noch kein Testament gemacht, weil es so eine Wahnsinnsmühe ist zu entscheiden, welches Mädel welchen Kulturträger erben wird. „In a Glasshouse“ von Gentle Giant im absolut neuwertigen Vinyl-Cover mit dem großartigen Folienvexierbild ist sicher 90 Euro wert. „Spiel mir das Lied vom Tod“ auf BluRay dagegen bringt wohl keine 10 Euro mehr.

Doch diese zeitlosen Meisterwerke sollen ja nach meinem Ableben gar nicht verscherbelt werden! Sie sollen in Verehrung ordentlich archiviert bleiben. Kann ich das von meinen Mädels verlangen? Ach was solls, nach mir die Sintflut.

Außerdem habe ich vor, noch mindestens drei Jahrzehnte munter zu leben. Meinetwegen mit Schutzmaske. Wenn mein geliebtes Body and Soul-Hallenbad hoffentlich bald endlich eines Tages wieder öffnet, muss ich allerdings austesten, ob man mit so einer Baumwollmaske auch schwimmen kann.
Da ich mir angewöhnt habe, mit dem Kopf unter Wasser zu bleiben und nur zum Atmen hochzukommen, kann es gut sein, dass ich unter dem nassen Stoff ersticken werde. Also doch zeitig das Testament verfassen, das ist das Gebot der Stunde.

So, meine Lieben, das wars für heute. Sollte ich bei euch mit diesem Aufsatz den Eindruck erweckt haben, dass mir nix Gescheites mehr einfällt in diesen komischen Zeiten, dann muss ich euch leider Recht geben.

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