145_sich brausen

Liebe Leser,

im Blog 141, Mitte Mai, habe ich ein Loblied gesungen auf einen neuartigen Duschkopf, den ich — inspiriert von einem manipulativen Instagram-Werbespot — aus dem fernen Ausland erworben hatte. In dem guten Glauben, dass hochwertige technische Produkte auch außerhalb meiner deutschen Heimat hergestellt werden können. Bin ja schließlich kein Rassist, ganz bestimmt nicht.

Zwei Wochen lang hat mich das Brausegerät aufs Feinste besprüht, ein frischer, wahlweise kühler oder heißer Wasserwind umflorte und reinigte mich, dass es eine wahre Gaudi war in meiner Nasszelle.
Nun, der Münchner weiß, wie es um die Kalkhaltigkeit in seinem Leitungswasser steht. Und ich bin ja nicht naiv, hatte also durchaus den Verdacht, dass die mikroskopisch kleinen feinen Düsenöffnungen auch mal verstopfen können. Für diesen Fall der Fälle hatte ich mich schon im Vorfeld mit fünf Hektoliter Entkalkungsflüssigkeit ausgestattet, um der Brause regelmäßige Erleichterungen angedeihen zu lassen. Man pflegt ja schließlich, was man liebgewonnen hat.

Pah, da hatte ich die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht. Nach einiger Zeit wurde mir gewahr, dass die Intensität der Wasserbestrahlung nachließ — klar, war ja abzusehen. Was mich allerdings ziemlich überraschte und schockierte, war, dass sich das Wasser plötzlich einen anderen unerwarteten Weg suchte, als es nicht mehr durch die Düsen konnte.
Mein goldener Duschkopf besteht nämlich fatalerweise aus einem oberen und aus einem unteren Teil (in welchem sich die Düsen befinden). Beide sind untrennbar fest miteinander verbunden und sollten natürlich DICHT sein. Verbundenheit ist durchaus verhanden, aber nun spritzten plötzlich feine Wasserstrahlen aus der (zweifellos undichten) Zwischennaht heraus. Und zwar in völlig andere und verschiedene Richtungen: an die Fliesen, an den Duschvorhang, in meine Augen.

So war es also um die nachhaltige technische Hochwertigkeit dieser Gerätschaft bestellt. Sofort war mein Vertrauen in asiatische oder nordamerikanische Ingenieurskunst aufs Tiefste erschüttert (weiß der Geier, wo das Ding hergestellt worden war) — und ich war dezent erbost über diesen unentschuldbaren Missstand.

Da der Duschkopf einige Monate an Transferzeit benötigt hatte, um aus einem fernen Kontinent bei mir einzutrudeln, war mir klar, dass mich ein Umtausch nur Nerven und mindestens ein halbes Jahr Warten zzgl. zusätzlicher Versandgebühren kosten würde — und damit rechnete der Hersteller aus Fudschimutschi wohl auch.

Ich dachte mir: Ach was, das marode goldene Teil wird nicht entsorgt, es wird von mir persönlich repariert. Wozu bin ich ausgewiesener Handwerksmeister, so eine undichte Naht, die lässt sich doch kitten. So dachte ich mir in meiner unendlichen Gutgläubigkeit gegenüber Instrumenten des Satans.

Noch gibt es das wunderbare Kaufhaus Karstadt am Nordbad, welches mich Jahrzehnte lang mit praktischen Produkten versorgt hatte. Leider leider wird es nun dank Corona geschlossen werden und das, was man dringend und sofort braucht, muss nun auch über die böse alte Tante Amazon eingekauft werden. Es ist zum Haareraufen.
Ein allerletztes Geschäft schloss ich aber mit Karstadt noch ab, ich erwarb Klebstoff von der altehrwürdigen Marke Pattex. Und zwar die Sorte, die keine langen nervigen Klebefäden nach sich zieht, sondern welche die Konsistenz (und Farbe) von zähflüssigem Honig besitzt.

Ich bestrich die undichte Naht ringsum recht üppig mit gelber Pattexpaste, und war mir sicher, dass diese Lösung eine gute war. Joseph Beuys wäre stolz auf mich gewesen, meinen Duschkopf hätte man nämlich nun problemlos zusammen mit seinen berühmten Fettobjekten ausstellen können.
Widerlich sah er aus, der trübe unregelmäßige ockerfarbene Wulst ringsum auf der hochglänzenden Oberfläche, aber man muss die Dinge eben manchmal mit freiem Kunstverstand betrachten, und außerdem: Funktion vor Design!

In dem berühmten Film Jurassic Park von Steven Spielberg kommt das bedeutungsschwere Zitat „Life finds a way“ zur Sprache, zitiert vom schönen Jeff Goldblum. Will sagen, dass sich das Leben auch unter widrigsten Umständen durchsetzen wird, das ist eben die Natur des Lebens. In dem Film geht es bekanntermaßen vor allem um blitzschnelle blutgierige Dinosaurier, die Raptoren.

Bei mir im Bad waren es die nadelspitzen Wasserstrahlen, die sich raptorengleich durch die Pattexwand fraßen, mit einem unbezwingbaren Freiheitsdrang schossen sie schon beim zweiten Duschvorgang wieder unkontrolliert heraus, sammelten sich zu erheblichen Strahlengruppen, keine Chance für den Kameraden Pattex, den ich wirklich alles andere als sparsam aufgebracht hatte.

Ich war erzürnt und belustigt zugleich, hatte da nun einen unerwarteten Feind in meinem Haushalt, das war durchaus ein ebenbürtiger Gegner. Golden Showerhead versus Zinkl hieß der Actionfilm.
Ich ging in die zweite Runde und holte das bewährte Ivy Grip Tape aus dem Safe. Das ist ein Klebeband von ungeheuerlicher Festigkeitskraft, seit Monaten hält es in meinem Smart eine schmale saupraktische Ledertasche an der Türe fest.
Mit dem dicken gummiartigen transparenten Band umwickelte ich den Brausekopf mehrmals, es überdeckte großzügig den Pattexring und ich dachte mir: Da kommt nix mehr durch, kein Wasserstrählchen mehr kommt da durch.

Ach, was soll ich noch groß erzählen, das Ende vom Lied wird den geneigten Blog-Leser nicht mehr groß überraschen. Ich werde diesen kleinen goldenen Troll aber weiterhin eine gnädige Zeitlang kitten und überkleben, bis er genauso monströs aussieht, wie er sich benimmt.
Ein Januskopf des Grauens, der nicht nur nach vorne strahlt und nicht nur nach hinten, sondern in alle Richtungen. Viel eher noch zu vergleichen mit einer Hydra, die mit vielen Mäulern gleichzeitig zubeißt.

Ich hasse ihn. Aber ich will ihn nicht wegtun, ich will ihn bezwingen. Versteht ihr das? So kann man den Sommer 2020 auch verbringen. Nicht nach draußen zum Baden fahren, nein! Sich in der eigenen Nasszelle mit einem unerbittlichen Widersacher messen, das ist das Gebot der Stunde.

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