147_glück

Sehr verehrte Leser,

gestern war ich bei meinen lieben Freunden Isa und Hans eingeladen — Hans feierte seinen Geburtstag und hatte eine kleine, fröhliche Runde handverlesener Gäste um sich versammelt, es gab Gegrilltes und so manchen guten Tropfen.

Heiter wurde diskutiert zum Thema gesundheitliche Beschwerden, wie zum Beispiel über jahrelange drastische Schlaflosigkeit oder über schwer zu kurierende Burnout- und Blackout-Erscheinungen. Aber auch über die Not, die man mit Handwerkern haben kann, wenn sie eine Armatur in der Küchenspüle montieren sollen, welche Wasser spendet.
Oder über die Not, die Lehrer (Isa und Hans) mit einem bayerischen Ministerialrat, zuständig für den Bereich Schulwesen, haben, wenn sich jener ausgerechnet zu Beginn des neuen Schuljahres geraume Zeit Urlaub gönnt, damit er zu unklaren und auch unlogischen Corona-Vorschriften keine lästigen Fragen zu beantworten braucht.

Zur Sprache kam ebenfalls, dass der Zinkl anscheinend keine Blogs mehr verfassen will, man würde seine Aufsätze schmerzlich vermissen, so ginge es doch nicht weiter. Seine Sommerpause sei eigentlich vorbei, also solle er sich gefälligst wieder ins Zeug legen. Der derart Angegriffene meinte daraufhin, ihm würde halt nichts mehr einfallen und bevor er einen Sch… veröffentlicht, würde er lieber stillhalten. Dafür hatte man dann Verständnis.

Eines der Geburtstagsgeschenke für Hans war eine Box mit chinesischen Glückskeksen, die schließlich zu später Stunde geöffnet wurde. Jeder Gast bekam ein solches Teilchen, um es zu brechen und seine persönliche frohe Botschaft zu empfangen und zum Besten zu geben.

Hans barg folgenden Spruch: Mit den Augen der Liebe gesehen, bekommt alles eine andere Bedeutung. Sehr sehr schön, dieser Satz. Zu fortgeschrittener Stunde unterließ man es, eine vernünftige Analyse einer solchen Wischiwaschi-Weisheit vorzunehmen.
Ich grüble just in diesesem Moment darüber nach, welche Art von Liebe da wohl gemeint sein könnte. Die Liebe zu seinem Mopshund, dessen übelriechende Hinterlassenschaften man mit Freude aufliest? Die Liebe zum Fleischsalat von Lidl, den man sich einverleibt, weil der verwaiste Kühlschrank nicht mehr hergibt? Oder gar die Liebe zu einem goldglänzenden Duschkopf, den man weiterhin verwendet, obwohl er nur noch minimale Funktionstätigkeit zu leisten bereit ist.
Wie auch immer: Mit den Augen der Liebe gesehen, bekommt alles eine andere Bedeutung. Man wird gnädig mit den Augen der Liebe zu Dingen, die einem eigentlich missfallen. Wohl dem, der Augen der Liebe besitzt.

Der Zinkl hatte ebenfalls einen Spruch aus seinen Glückskeksfragmenten herausgefuzzelt: Sie können durch zähe und ausdauernde Arbeiten viele Steine aus dem Weg räumen.
Oha, dachte er sich, das ist ja mal ein richtiger Muntermacher. Wie motivierend, dass man auch mit über 60 Lenzen noch was bewirken kann, wenn man sich nur so richtig reinkniet, wenn man zäh und ausdauernd ist, nicht locker lässt, hart arbeitet. Dann kann man viele Steine aus dem Weg räumen.
Wohlgemerkt: viele. Nicht alle. Alle Steine bekommt man auch durch Zähigkeit und Ausdauer nicht weggeräumt. Die werden liegenbleiben, über die muss man halt hinwegkrabbeln, vielleicht wird man sich dabei schmerzhaft stoßen, genau: Das Leben ist schließlich kein Ponyhof.

Derart angefixt, fuhr Zinkl nach der lustigen Party nach Hause und setzte sich sofort an seinen Blog-Computer, um Steine aus dem Weg zu räumen, die ihm den schmalen Pfad zu neuen literarischen Ergüssen versperren. Hat ja auch schon der inzwischen ungut gewordene Xavier gesungen: „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.“ Aber mit den Augen der Liebe bekommt alles eine andere Bedeutung.

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