151_paint it black

Liebe Leser,

hie und da im Jahr gönne ich mir den freiheitlichen Luxus und besuche den Hagebaumarkt in der Lerchenauer Straße 134, mit meinem prachtvollen hazelnutfarbenen Smart. Jawohl, Mercedes hat sich gedacht, Hazelnut klingt irgendwie besser als Haselnussbraun. HÄISLNATT. Hört sich schon knackig an, gell? Bei „Häisl“ kann man die Mundwinkel schön fies nach unten ziehen. Man probiere es aus!

Während der Fahrt laufen laut und mit viel Subwooferunterstützung die 80er Jahre-Songs von Nik Kershaw, den ich kürzlich wiederentdeckt habe.
I got it bad
You don’t know how bad I got it
You got it easy
You don’t know when you’ve got it good …

Mister Kershaw war ein begnadeter Meister der ungewöhnlichen Harmoniewechsel, so wie das nur wenige praktiziert haben oder noch tun, bevor sie das Zeitliche segnen müssen (The Beatles, Steely Dan und mein alter Kumpel Elvis Costello). Ich liebe ungewöhnliche Harmoniewechsel, diese Art intelligent zu musizieren ist allerdings leider so gut wie ausgestorben — die mittelalten Menschen hören inzwischen lieber Peter Fox oder sonstigen Hiphoprapkram, der zwar teilweise gewitzte Texte bietet, sich rein musikalisch jedoch auf kärglichstem Ödland bewegt. Bäh!

Aber ich schweife ab, ich wollte zum Hagebaumarkt! Genau! Dort gönnt sich Zinkl erstmal eine Leberkässemmel mit scharfem Senf und dazu ein Flascherl Mezzomix. Nirgendwo schmecken Leberkässemmeln besser als im Baumarkt, das ist so, das muss man auch gar nicht begründen.

Dann wandere ich zur Abteilung „Farben, Pinsel, Moltofill“ und lasse mir vom maskierten Hagebaumarktspezialisten ein 5-Liter-Fässchen Farbe anrühren. Und zwar die Farbe Schwarz. Damit das klar ist. Während der gute Mann die Rüttelmaschine rütteln und schütteln lässt, hole ich mir noch Pinsel, Gips und einen schwarzen Gummigipsbecher. Das ist alles kein Problem.

Munter rollt Smartie mit Nik und mir nach Hause, dort reißt sich Zinkl als erstes alle Kleider vom Leib. Warum er das tut? Damit ihm beim Malern die Farbe nicht aufs Gewand tropft, sondern nur auf den Bauch und sonstwohin. Außerdem ist es geil, splitternackert zu malern.
Nun kann der Spaß beginnen. Ich schleppe das ganze Handwerksgeraffel in den Keller und suche mir eine Wand, die schwarz werden soll. Rabenschwarz. Starless and Bible Black. Irgendwo in dunklen Schubladen gibt es auch noch Tesakrepp zum Abkleben, aber eigentlich male ich lieber murksig, sprich, zum Abkleben bin ich zu faul. Ich saue gerne mit einem dicken Pinsel herum und wische Danebengegangenes oberflächlich mit Tempo weg.

Profis malen mit der Rolle, weil das gleichmäßiger wird und schneller geht. Das ficht mich kaum an, ich will ja nicht, dass es schneller geht, ich will meditativ streichen und mich dabei spüren und im Hier und Jetzt existieren. Außerdem muss es bei meiner Schwarzmalerei ja nicht soo gleichmäßig werden, ist doch schließlich nur der Keller.

Damit ich so richtig in Stimmung komme, schalte ich Neil Youngs „Cinnamon Girl“ laut dazu. Jetzt sind wir in den späten 60er Jahren angekommen.
I want to live with a cinnamon girl
I could be happy the rest of my life
with a cinnamon girl
Ich schwelge in vergangenen Hippiezeiten, welche ich nie erlebt habe, bilde mir aber ein, dass ich dabeigewesen bin. Jaja, ist ja schon gut, ich weiß doch, da war der kleine Zinkl gerade mal in der dritten Klasse bei der feisten Frau Kneißl.

Ach, du wunderschönes Cinnamon Girl! Süße 16, knackig angetan mit ausgewaschenen engen Jeans, die schulterlangen Haare hennarot gefärbt, ein paar Blüten stecken drin, sie duftet nach Räucherstäbchen und auch ein wenig nach Zimt. Das Idealbild eines Mädels für den jugendlichen Zinkl. Natürlich damals für ihn unerreichbar gewesen, natürlich!
Inzwischen dürfte Cinnamon Girl 64 Jahre alt sein, die Haare sind kurz und unter der Hennatönung lugt es weißgrau hervor. Ja mei, der Zahn der Zeit nagt unentwegt.

Es ist bereits ein Drittel der Wand schwarz angemalt, plötzlich habe ich keine Lust mehr. Morgen ist auch noch ein Tag. Ich schließe das Schwarzfässchen und würge Neil Young bei „Down by the River“ brutal im Gitarrensologeschrammel ab. Das darf man. Schluss mit der Blumenkinderei und ab in die Dusche, die schwarzen Tupfen von der Haut gewetzt.

Was wollte ich mit diesem Blog eigentlich mitteilen? Dass das Leben schön ist, auch ohne Cinnamon Girl. In Demut Schwarzmalerei betreiben und dankbar sein, dass einen Corona noch nicht am Wickel hat.

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