Liebe Leser,
vor einigen Monaten fuhr ich mal wieder meinen „Musikcomputer“ hoch. Dieser Rechner wird nur dafür verwendet, Zinklmusik zu erfinden und zum Erklingen zu bringen. Ich hatte schon vermutet, dass ich dieser Beschäftigung nach immerhin vier Jahren Abstinenz für immer überdrüssig geworden war.
Aber: Tatsächlich bekam ich große Lust, neue Musik zusammenzupuzzeln. Lust auf Bizarres, Technisches, Kaltherziges. Also gab ich dem neuen Projekt den Namen „Tanzmusik für Roboter“, weil: Nix für fühlende Lebewesen aus Fleisch und Blut. Und so ist es auch geworden: Richtig schön.
Da ich mir immer einrede, ich produziere meine Liedchen nur zu meinem ganz persönlichen privaten Vergnügen, achte ich relativ wenig darauf, ob es anderen Hörern gefallen könnte. Ich werde für die Arbeit ja weder beauftragt noch bezahlt, also kann ich mich diesbezüglich aufführen, wie es mir gefällt. Als Liebhaber des Progressive Rock und Hörer auch von schrägen Klangwerken aus Jazz und Klassik habe ich jedenfalls keine Ambitionen, unaufdringliches Easy Listening für den Fahrstuhl zu erfinden
Allerdings hat die Sache einen Haken. Das Brot des Künstlers ist bekanntermaßen (auch) der Applaus, und natürlich WILL ich, dass meine klanglichen Werke Anklang finden. Ich hätte gerne, dass es Menschen gibt, die sich die Zeit nehmen und die Mühe machen, konzentriert hinzuhören, was — zugegeben — ziemlich viel verlangt ist.
Nun bekam ich vor zwei Wochen einen neuen Auftrag herein, ganz überraschend. Aber keine Arbeit für den Grafiker Zinkl, sondern für den Musiker Zinkl. Oioioioioi.
Das in Insiderkreisen ziemlich bekannte und mittlerweile preisgekrönte Duo Hartung & Trenz beleuchtet seit Jahrzehnten kleine aber auch mächtige Gebäudefassaden außen und innen mit Buchstaben aus Licht. Die Buchstaben bilden Wörter und nicht selten Lesbares und Sinnvolles. Das ist natürlich vor allem wirkungsvoll nachts oder in abgedunkelten Räumlichkeiten. Seit geraumer Zeit werden auch sehr kreativ und zeitaufwändig programmierte Animationen realisiert, das gefällt den meist beeindruckten Zuschauern freilich noch besser. Die Lichtmeister projezieren ihre Buchstaben selten in Farbe, sondern arbeiten eher puristisch mit weißem Licht, geraten also nicht in große Gefahr, kitschig zu werden. Ihr größtes Projekt war vor zwei Jahren die totale Außenbestrahlung des gigantischen Kölner Doms, zum hundertjährigen Jubiläum „Ende 1. Weltkrieg“.
Vor ein paar Wochen wurden Hartung & Trenz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier himself und seinem Team beauftragt, zum Abschluss dieses unseligen Coronajahres aufmunternde Worte und Grußbotschaften aus dem Volk auf das Schloss Bellevue zu leuchten, im ganz großen Stil, vom 15. bis zum 17. Dezember 2020.
Weil wegen Covid19 sich das im Schlosspark nur sehr wenige Leute live anschauen durften, sollte das Lichtwerk professionell abgefilmt und auf der Website von Hr. Steinmeier und auf seinem Facebook-Account für alle Menschen dieser Welt als Video gezeigt werden.
Ein Video ohne Ton ist irgendwie tonlos, also musste dafür Musik her. Detlef Hartung und Georg Trenz kennen mich (Georg war in den 80er Jahren mein Kommilitone an der FH), man schlug dem hohen Amt Musiker für den zu erstellenden Soundtrack vor und merkwürdigerweise wählte man Zinkl aus.
Eine solche ehrenvolle Aufgabe konnte ich nicht ablehnen, allerdings war das Projekt sehr kurzfristig geplant und entsprechend wenige Tage Zeit gab es für das musikalische Werk. Daher musste ich größtenteils aus meinem Fundus an halbfertigen und unveröffentlichten Stücken schöpfen und möglichst Passendes zu den elf Animationen auswählen, umarbeiten, zeitlich anpassen und klanglich finalisieren.
Als 1979 der Regisseur Werner Herzog für seinen „Nosferatu“ (mit dem legendären Vampir Kinski) Musik brauchte, ging er zu Florian Fricke („Popol Vuh“) und fragte: „Florian, hast zu Musik zum Fürchten?“ Und Florian fand dazu sogar sehr Passendes in seiner Tonbandschatzkammer.
Ich will mich ganz sicher nicht vergleichen mit dem großartigen Tonmeister Fricke, aber Musik zum Fürchten habe ich auch schon gemacht, für so manchen Zeitgenossen wohl auch Musik zum Davonlaufen.
Das Bundespräsidialamt nickte alle meine musikalischen Vorschläge ab, es schien zu gefallen, was mich froh stimmte. Die Buchstaben aus Licht tanzten nun zu lebhaften und auch sphärischen Zinklstücken, in Wellen, in Kreisen, purzelten wie Schneeflocken, ploppten auf und verschwanden — ein munteres Treiben. Es wirkte auf mich tatsächlich so, als hätte ich das alles ganz speziell nur für das Buchstabenballett komponiert, eine interessante Erfahrung.
Die dreinächtliche Lichtshow wurde gefilmt und übers Internet gestreamt, zusammen mit dem zinkl’schen Soundtrack. Das erste, was mir beim Anschauen auffiel, war, das man bei dem Filmchen die Musik nur sehr sehr leise anhören kann. Dezentes Klanggeplätscher ohne Power. Soso. Aha. Aber zumindest hatte man die Lichtbuchstaben nicht nachträglich abgedunkelt — eine Ängstlichkeit, die Zuschauer zu blenden, war also anscheinend nicht aufgekommen. Wenigstens das.
Schließlich meldete sich auch die Presse zu Wort. Das „Monopol-Magazin für Kunst und Leben“ berichtete online zeitnah über das große Event recht wohlwollend und auch launig. Am Ende des Artikels schrieb man:
„Aber Achtung: Lautsprecher aus, denn die Musik ist entsetzliches Fahrstuhl-Gedüdel. Vielleicht einfach selbst ein Weihnachtslied singen. Aber bitte nur allein, oder mit Mitgliedern des eigenen Haushalts.“
Das fand ich wahnsinnig witzig — und bin jetzt sehr froh, dass ich nicht so prominent wie Helene Fischer bin. Helene wurde und wird immer mal wieder hektoliterweise mit Häme überschüttet, das muss sie aushalten können. Sie ist das sicher mittlerweile auch gewöhnt und pfeift hoffentlich drauf. Das wünsche ich ihr sehr.
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Zum Jahresabschluss erlaube ich mir hier noch ein Video zu präsentieren, zum Lied „Mutter“, welches Bestandteil meines frischgebackenen Roboter-Albums ist. Seid bitte so lieb und dreht es beim Anschauen richtig gescheit laut auf, damit man versteht, dass es nicht explizit nur für den Fahrstuhl komponiert worden ist. Wünsche euch jetzt schon einen guten Rutsch!
Lieber Zinkl,
eines der wenigen echten Abenteuer, schrecklich und faszinierend zugleich, die für mich hierzulande möglich sind, ist der Besuch einer Waschstrasse.
Gestern war es mal wieder so weit.
Um das Abenteuer zu steigern, habe ich eine Waschstrasse aufgesucht, in der ich noch nie war, mir also jegliche Routine – wenn man bei ca. 3 Besuchen pro Jahr überhaupt von Routine sprechen kann – gefehlt hat.
Noch im Tageslicht muss ich mich darauf konzentrieren dem Waschstrassenboy cool gegenüber zu treten und ihn nicht merken zu lassen, wieviel Konzentration es mich kostet dem neuen Automatikauto all seine Sicherheits-Routinen und -Belehrungen abzuschalten, es zu einem ‚Nichtgang‘ zu überreden, und die Automatikhandbremse davon zu überzeugen, einmal nicht für mich denken zu müssen, also nicht angezogen sein zu wollen.
STRESS!
Als dann endlich und mit herablassender Hilfe des Waschstrassenboys alles gepasst hat, ging’s unweigerlich los und ich wurde willenlos, wie in der Geisterbahn, in den Schlund geschoben.
Während ich mich in der hochaktiven Insektenlöseschaumdusche auf neue und überraschende Lichtspiele und die Lappentänze freue, und das Gedonnere der Waschwalzen mit Grusel erwarte, kommt mir die Idee, ich könnte Deinen Robotertanzfilm mal laufen lassen, in der Erwartung dass sich die Erlebnisse gegenseitig steigern könnten.
Und ich muss sagen, gute Idee!
Wie sich die schrillen Stakkato-Trommeln mit den wabbeligen Waschtrommeln verschwurrbeln, wie sich die süßliche Roboterin mit den Lichtblitzen zwischen den Lappen mischt, wie sich der Robotergewerkschafter-Appell mit der Stimme von Aiwanger aus dem Radio verbindet, besser geht nicht!
Das ist DIE Umgebung um Deine Musik zu hören.
Vergiss solche Schnörkel wie das Schloss Bellevue und wattig-banale Weihnachtssprüche aus Licht. Die Musik gehört ins richtige Leben!
Leider war dann die Waschstrasse plötzlich zu Ende, während ich noch auf’s Handy schiele und der Scheißgang ist nicht rein gegangen in’s Auto, weil man eine bestimmte Kombination von ‚Bremse‘, ‚Bremse lösen‘ und ‚Parken‘ einstellen und in einer bestimmten Reihenfolge drücken muss, und weil Frau keine Gebrauchsanweisungen liest, und kein programmierter Roboter ist……..
Aber: auch diesmal wieder gut gegangen.
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Danke, liebe Cordula, für diesen erbaulichen Bericht. Waschstraßen sind was Wunderbares.
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Danke für deinen Kommentar auf meinem Blog! Ich wünsche dir auch ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Mit freundlichen Grüßen
Miss Katherine White
Work – Life – Balance
http://www.miss-katherine-white.com
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