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Liebe Leser,

auch im hoffnungsvollen Jahre 2021 darf ich mir erlauben, ab und zu einen Aufsatz zu veröffentlichen, welcher die Absicht hat, euch, liebe Leser, vom alltäglichen Einheitsbrei ein wenig abzulenken. Ich wünsche mir und hoffe, es möge gelingen. Aber erstmal: A guats Neis, nachträglich!

Bei mir hat das neue Jahr schon gleich mit einer erheblichen Herausforderung begonnen. Dem Grafiker Zinkl wurde angetragen, eine vorhandene Broschüre umzugestalten, im Sinne von: Neu, anders, modern. Dabei ist das Teil gerade mal acht Monate alt und jetzt bereits altmodisch geworden?

Es wird vom Grafiker Zinkl ja stets ein geschmackvolles Design auf der Höhe der Zeit angestrebt, welches zudem die Jahrhunderte schadlos überdauern kann. Aber wie ein fröhliches Lied von der legendären Kabarettgruppe Scharwitzl von 1980 in seinem Refrain tönte: „Die Geschmäcker sind verschieden, hauptsach’, die Menschen sind zufrieden“. In diesem Falle also der Auftraggeber.

Gutgut. Modern also. Was für ein zierliches, feines und wunderbar altmodisches Wort. MODERN. Das klingt wie aus der Bauhauszeit von vor ca. 100 Jahren, als man die unsinnigen dekorativen Schnörkel von den Gebäudefassaden verbannte und auf pur rein funktional setzte. Ist pur also gleichzusetzen mit modern? Das wäre ein Ansatz.

Meine liebe Ex-Gattin Elisabeth, die (unangefochten) beste Grafikerin auf der ganzen Welt, war in ihren Arbeiten immer so modern, dass selbst ihre Werke aus den 90er Jahren noch heute den mystischen Hauch der puren Zeitlosigkeit ausströmen.
Ich erinnere mich gut daran, dass unsere Auftraggeber in den vergangenen drei Jahrzehnten nie vergessen hatten zu betonen, dass sie auf jeden Fall moderne Grafik für ihre Werbeprodukte haben wollten. Was jene Auftraggeber darunter verstanden, lag zwar oft in einer dichten Nebelbank des persönlichen Geschmacks, aber man vertraute meist darauf, dass Frau und Herr Grafiker schon etwas Passendes und auf alle Fälle völlig Unangestaubtes kreieren würden.

Inzwischen ist das aber schwieriger geworden. In der Kultur hat sich allerorten bereits seit geraumer Zeit ein selbstbewusstes Retro-Empfinden eingestellt. Wahrscheinlich deshalb, weil mittlerweile „alles schon irgendwann mal da gewesen ist“, weil es nur eine begrenzte Auswahl von Farben und Formen gibt, weil höchstwahrscheinlich irgendwann schon mal jede erdenkliche Melodie geklimpert und gesungen worden ist — und weil es halt einfach cool ist (immer eine gute Begründung, die man nicht begründen muss).
Man orientiert sich gerne an dem, was früher gut und richtig und schön war  — und kopiert es einfach oder stellt es im besten Falle geistreich in einen „neuen“ Kontext, indem man es mixt mit Anderem, so dass es (in den Augen des sich modern fühlenden Betrachters bzw. Hörers) ungewöhnlich, frisch und — genau! — modern aussieht oder klingt.

So gesehen ist also Altes wieder modern, wenn es in der Gegenwart angewendet wird — oft in modifizierter Form, manchmal aber auch mit Absicht augenzwinkernd voll auf „antik“ getrimmt. Wobei man da (apropos „antik“) im grafischen Bereich meist nicht weiter zurückgeht als bis zur Bauhauszeit. Sonst könnte es aus Mangel an Purismus trotzdem altbacken wirken (noch so ein schönes, aber eindeutig negativ besetztes Wort: altbacken!).

In der Musik dagegen wurden im vergangenen Jahrhundert auch viel ältere Formen wiederbelebt, das tat zum Beispiel der italienische Komponist Ottorino Respighi mit seiner im Jahre 1916 herausgebrachten wunderbaren Suite „Antiche danze ed arie“, welche sich musikalisch inspirieren lässt von dem, was ein paar Jahrhunderte davor angesagt gewesen ist, welche aber klanglich auf der damaligen Höhe der Zeit war, also von einem großen Orchester aufgeführt wurde.

Schallplatten aus Vinyl sind seit zehn Jahren auch wieder modern, also voll im Trend. Die Compact Disc ist es aktuell überhaupt nicht mehr, die ist sowas von out. Aber vielleicht wieder total angesagt in dreißig Jahren, wenn es die Menschen als cool und geil empfinden, eine der silbernen Scheiben mit Genuss in den Player zu legen? Streaming ist ja nix zum Anfassen und der moderne Mensch hat schon gerne auch mal was Haptisches, nicht nur beim Sex.

Der Musiker Zinkl hat bei seinem Lied Freie Fahrt (aus dem aktuellen Tanzmusik für Roboter-Album) eine geistige Verbindung hergestellt zu dem berühmten Stück Autobahn von Kraftwerk von 1974 („Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“), hat es aber kompositorisch und klanglich eher „progressiv“ und für den Hörer nicht ganz so leicht verdaulich aufgemotzt. Ist Zinkls Lied nun modern? Das muss halt jeder für sich selbst entscheiden, falls für ihn die Eigenschaft „Modernität“ überhaupt von Belang ist.

Genau! Ist „Modernität“ in unserer heutigen vielgestaltigen und „stillosen“ Zeit überhaupt noch von Belang? Oder ist alleine der Gebrauch des Wortes „modern“ schon eine zum Gähnen langweilige altbackene Art sich auszudrücken? Wenn ich das Wort höre, regt sich jedenfalls Widerstand in meinen vergrauten Zellen. Auf bayrisch: „I konn’s nimma hör’n!“

In diesem Sinne, meine lieben Freunde: Auch im Jahre 2021 immer schön old fashioned bleiben. Denn das ist meist moderner als (spießig) modern sein zu wollen.

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