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Liebe Leser,

als ich 1967 sieben Jahre alt gewesen bin, hatte ich für mein Weihnachtsgeschenk schon Wochen vor Heiligabend eine sehr schwere Entscheidung zu treffen. Denn ich durfte wählen! Zwischen einer Märklin Modelleisenbahnanlage und einer Carrera-Autorennbahn. Es stellte sich wenige Tage nach der großen Bescherung heraus, dass ich die falsche Wahl getroffen hatte. Die Formel 1-Autos flogen regelmäßig aus den Kurven, weil die Geschwindigkeit schwer zu kontrollieren war, damals war halt die Spielzeugtechnik noch nicht so weit — und außerdem langweilte mich diese stupide Rennfahrerei ziemlich bald.
Wie schön wäre eine Märklin- oder Fleischmannanlage gewesen, mit fein ziselierten Fachwerkshäuschen, mystischen Bergtunnels, bunten Signallichtern, einer tutenden Dampflokomotive, herzallerliebst wäre das gewesen. Eine Freude über Jahre wäre es gewesen. Aber: Aus vorbei! Der Zug war abgefahren, für alle Zeiten.

Wir schreiben das Jahr 2020, Vorweihnachtszeit. Als ich am 6. Dezember mit Alexandra eine fröhliche Tour kreuz und quer durchs Münchner Lockdown-Haidhausen unternahm, kamen wir auch in die Sedanstraße. Da gab es ein Schaufenster, dessen Dekoration ließ mich vor Entzücken quieken, so dass man es noch im Westend hören konnte. Miniaturisierte Winterszenen mit bewegten Elementen: Ein zugefrorener Teich, auf der sich die Schlittschuhläufer im Kreis drehten, ringsum wundersam beleuchtete Häuschen mit vielen Menschen! Da! Schaut es euch an! Und beachtet: Keiner trägt eine Maske. Wie geil ist das denn?

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Aber der Oberhammer waren die Skifahrer. Auf einem glitzernd weißen Berg standen zwei schmucke Almhütten, aus der oberen kamen winzige Wintersportler heraus, meisterten mit enormen Tempo die Abfahrt, um dann in der unteren Hütte wieder abzutauchen. Die beiden Hütten und diverse Tannenbäumchen seitlich der Piste waren mit bunten Dioden aufs Wunderbarste beleuchtet, auch eine Laterne gab es, ach, ich kann es gar nicht so schön beschreiben, wie ich es erlebt habe.

Die Modelle gehörten dem Herrn Zander, der eine (Lockdown-stillgelegte) Fahrschule hatte — just in dem Moment, als Alexandra und ich (mit riesigen glänzenden Kinderaugen) davorstanden, kam der Herr Zander daherspaziert. Sofort sagte ich dem stolzen Besitzer, ich würde ihm das Skifahrerparadies abkaufen, für 200 Euro. Da kam ich an den Richtigen.
Herr Zander war Sammler und was ein echter Sammler ist, der trennt sich nicht von seinen Schmuckstücken für lächerliche Dumpingangebote. Aber: Er war wirklich sehr nett und verriet mir den Namen des Herstellers, vielleicht könnte ich die Begehrlichkeit ja selbst direkt dort erwerben. Mr. Christmas heißt die Firma, Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das Wunderwerk nennt sich treffenderweise WINTERWONDERLAND.

Es stellte sich heraus, dass mein Winterwonderland ausverkauft war, beim US-Hersteller genauso wie bei Amazon — ich war verzweifelt, am Boden zerstört.
Alexandra meinte: „Probiere es doch auch bei ebay!“
Und tatsächlich hatte mein Glücksmädchen mal wieder den richtigen Riecher gehabt: Oh welch’ Weihnachtswunder, bei ebay USA fand sich als Second Hand-Produkt das weltweit allerallerallerletzte käuflich erwerbbare Winterwonderland! Ich dachte mir: „I werd’ narrisch!“.
Für schlappe 160 Euro zzgl. ca. 50 Euro Versandkosten ließ ich es mir aus Philadelphia kommen. Aus Philadelphia, das ist kein Blogscherz, echt nicht!

Nun steht es da, das Hexenwerk, in meinem Heim an exponierter Stelle — jeden Abend lasse ich die mit bunten Anoraks winterfest gemachten Männles festlich beleuchtet in Schleife sausen, dazu gibt es süßliche amerikanische Weihnachtsmusik, die im Snowmountain integriert ist. Weihnachten ist ja vorbei, aber das juckt mich wenig. Ich werde das Ding das ganze Jahr über laufen lassen, auch im Hochsommer, dann erst recht.

Damit ihr in den Genuss der totalen Show kommt, habe ich auf youTube ein kleines Filmchen hochgeladen:

Kürzlich gab es leider einen schlimmen Defekt: Die Innenbeleuchtung der beiden Almhütten gab den Geist auf. Alexandra und ich öffneten den Berg ganz vorsichtig von unten, aber als ich das elektronische Wirrwarr erblickte (vermutlich asiatische Hochtechnologie), schraubte ich sofort wieder zu, bevor die Skifahrermechanik Schaden nehmen konnte.
Habe mir dann ein Pfund LED-Dioden besorgt, bohrte mit meiner ultraschweren Kress in die Almhüttenrückseiten Löcher, dass es staubte und steckte so viele Dioden rein wie möglich. Nun leuchten die Hütten wieder, man muss sich ja nur zu helfen wissen.

Wem dieser Blog zu kindisch war: Bitte, man sei gnädig mit mir. Es ist doch bekannt, dass sich ältere Menschen geistig wieder zurückentwickeln in die Infantilität, bei mir ist das halt jetzt auch passiert, obwohl ich erst in der sechsten Dekade angelangt bin.

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