164_horror

Liebe Leser,

kürzlich war mein Enkelsohn Edgar bei mir auf Besuch. Er kam auf dem Arm seiner Mama, weil er sich unbedingt mein Winterwonderland ansehen wollte. Winterwonderland? Jetzt im Frühling? Ach was, Winterwonderland ist immer! Wer dazu Näheres wissen möchte: siehe Blog 162!

Zinkl-Opa ist übrigens der einzige, der den fast acht Monate alten Knaben „Eddie“ nennen darf — das habe ich amtlich erwirkt. Eddie ist eine coole Socke, das steht fest. Als ich die wunderbunte LED-Beleuchtung aktivierte und die kleinen entzückenden Skifahrer zum Laufen brachte, akustisch garniert mit den glöckchenhellen amerikanischen Liedern, schaute sich der Bub das mit großen Augen ganz genau an. Dann brachte er sein fest zusammengepresstes Mündlein in eine konvexe Form (die Rundung oben), passte die Gesichtsfarbe den roten LED-Lichtlein an und brauchte nur vier weitere Sekunden, um die Christmasmusic mit einem Schrei der Panik zu übertönen.

Ja, genau: Wir Erwachsenen bilden uns ein, was uns entzückt, muss auch einen (noch) sehr kleinen Menschen entzücken. Weit gefehlt! Ohne entsprechende Vorinformationen oder die Möglichkeit, jene geistig zu verarbeiten, ist so ein Winterwonderland nicht sehr weit entfernt vom berühmten Stanley Hotel in Estes, Colorado.
Im Jahre 1973 war in dieser Gegend wegen starken Schneefalls der Highway gesperrt gewesen und ein Autor namens Stephen King wurde deshalb genötigt, im Stanley Hotel zu übernachten. Dort fühlte er sich anscheinend so wohl, dass ihm die Idee zu seinem Roman „Shining“ kam. Wen das Hotel näher interessiert: Ich empfehle Stanley Kubricks „Shining“ (hat aber wohl jeder schon mal geschaut) — der beeindruckende Film entstand sieben Jahre nach Kings Hotelaufenthalt.
Meine Tochter Linda sah das Werk auf meine Empfehlung hin bereits als Jung-Teenager und schreibt aktuell — einige Jahre später — darüber eine Schularbeit. Jack Nicholson ist daran sicher auch nicht ganz unschuldig.

Aber ich schweife ab: Ich wollte ja mitteilen, dass Erwachsene und Kinder durchaus unterschiedliche Beurteilungskriterien anwenden. Was der eine süß findet, ist dem anderen ein grausiger Schrecken. Und damit komme ich zu Telemekel.

Telemekel kennt heute keine Sau mehr. Aber Mitte der 60er Jahre war ich ein kleines Kind und durfte Gott sei Dank ganz viel fernsehschauen. Natürlich zu der Zeit nur das Kinderfernsehen am Nachmittag. Aber selbst dieses konnte einem damals das Fürchten lehren — ich war also gut vorbereitet, als viel später Graf Dracula in mein Leben trat.

Albrecht Roser war seit 1955 beim SDR engagiert. Er setzte Maßstäbe für eine hohe künstlerische Qualität des Puppenfilms, besonders als seine Frau Dr. Elisabeth Schwarz das Nachmittagsprogramm für die ARD leitete. Rosers Puppenfilme sind ein bedeutendes Stück Filmgeschichte des SDR/SWR. In vielen Filmen hat Roser als Puppenbauer und -spieler, als Schauspieler, Regisseur, Bühnenbildner und Geschichtenschreiber mitgewirkt und für jeden seiner Puppenfilme eine fernsehgerechte Darstellung gefunden.
Dieser wohlwollende Text entstammt einer Verkaufsinformation der 2013 erschienenen DVD „Telemekel und Teleminchen“, welche unglücklicherweise längst vergriffen ist. Ich hätte sie nämlich wirklich sehr gerne — sie bekäme einen Sonderplatz in meinem DVD-Sammelschrank: in der Abteilung, in welcher sich auch „Dr. Jekyll und Mr. Hide“, „Der Dämon mit den blutigen Händen“ und „Ein Zombie hing am Glockenseil“ tummeln.

Telemekel war eine Art grauer Kobold (Achtung: Schwarzweißfernsehen!) mit riesiger Kartoffelnase und einem plumpen birnenförmigen (ebenfalls grauen) Körper. Außerdem besaß er kleine stechende Augen. Aus unerfindlichen Gründen wohnte Telemekel in einer grauen Wohnung bei einem unsympathischen Mann, welcher stets eine ganz miese Laune hatte, weil er sich dauernd ärgern musste über die Taten des kleinen Mitbewohners.
Man muss verstehen: Meine Erinnerung stammt von vor ca. 55 Jahren und ich weiß freilich nicht mehr, was Telemekel alles so anstellte, um den Erwachsenen immer wieder auf die Palme zu bringen. Aber vermutlich hat der kleine Kerl Geschirr zerbrochen oder eine Schere mit Klebstoff beschmiert. Was Herrn Roser halt so eingefallen ist — welcher den ständig angenervten Menschen höchstpersönlich und sehr überzeugend dargestellt hat.

Die Sendung war für mich damals nullkommanull lustig, sie war unangenehm und beklemmend, auch weil Roser so ein humorloses Arschloch zum Besten gegeben hat.
Irgendwann kam Roser auf die Idee, dem Kobold eine Koboldfrau zur Seite zu stellen und er gebar Teleminchen. Teleminchen hatte einen runden Kopf, große schwarze schlitzförmige Augen, KEINEN Mund, einen dicken birnenförmigen Körper und winzige Stummelhände ohne Finger (sie war ein Kind der Contergan-Zeit). Die kleine Dame konnte nicht sprechen, das war natürlich dem nicht vorhandenen Mund geschuldet. Was hatte sich Herr Roser wohl dabei gedacht, hmmm, liebe (inzwischen 78-jährige) Alice Schwarzer?

Teleminchen konnte allerdings zaubern. Wenn sie mit ihren riesigen schwarzen Schlitzaugen laut zwinkerte, geschah der Zauber. Sie hat dann das zerbrochene Geschirr wieder heil gemacht, beispielsweise. Eines ist sicher: Teleminchen war total unheimlich. Eine stumme, unkontrollierbare Meisterin der Magie. Der kleine Zinkl empfand sie angsteinflößend.

Ja, so war das damals im Kinderfernsehen. Im nachhinein kann ich mich ja nicht beklagen, denn immerhin habe ich Telemekel und Teleminchen in schöner schauriger Erinnerung behalten — dagegen können der Hase Cäsar, das Pony Poly oder Lolek und Bolek nicht anstinken. Nur der graue Luis Trenker mit seinen Geschichten vom „Auffi muass i aufn Berg“ war ein ernsthafter Konkurrent des bloß Ärger verursachenden Kobolds — weil er noch unverständlicher und langweiliger gewesen ist.

Auf jeden Fall war Telemekel — wie bereits angedeutet — eine hervorragende Basis, damit man später gerüstet gewesen ist für „Der Exorzist“ und „Blair Witch Project“. Danke, Albrecht Roser, herzlichen Dank!

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