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Liebe Leser,

kürzlich habe ich über Perry Rhodan und seinen Aufstieg zum Chef des Solaren Imperiums berichtet und über sein fabelhaftes Mutantenteam. Das war in Blog Nr. 163.
Dazu noch folgendes: 1961 hatte der Müchner Moewig Verlag überhaupt nicht damit gerechnet, dass sich die wöchentlich erscheinende Serie innerhalb eines Jahres solch großer Beliebtheit erfreuen würde — man hatte eigentlich nur 50 Folgen geplant. Logisch, dass man nun die Autoren beauftragte, fleißig weiterzuspinnen an der lukrativen Zukunft der Menschheit unter der Führung des großen Perry und seiner Freunde.

Mit Erscheinen von Perry Rhodan-Band 50 gab es einen Paukenschlag, man brachte einen neuen Protagonisten ins Spiel: den edlen Außerirdischen Atlan vom Volk der Arkoniden!
Atlan hatte im Jahre 8002 vor Christus von der Superintelligenz ES einen Zellaktivator erhalten, der ihn danach nicht mehr altern ließ. Er lebte zu dieser Zeit auf der Erde im sagenhaften Reich Atlantis (einer Kolonie der Arkoniden). Atlantis ging unter, der stolze und kluge Atlan blieb der einzige Überlebende.
Fortan war er ein einsamer Wanderer überall auf der Welt — er wirkte beispielsweise als anonymer Berater der Philosophen in der griechischen Antike, er inspirierte Leonardo da Vinci zu seinen genialen Erfindungen und half diversen anderen Denkern auf die Sprünge.
Atlan erwachte im Frühjahr 2040 nach einem Tiefschlaf von 69 Jahren in seiner Tiefseekuppel (er hatte damit Perry Rhodans Landung auf dem Mond gerade noch verpennt) und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass die Erde mittlerweile zum Solaren Imperium vereint war, unter einem gewissen, jawohl, genau: Perry Rhodan.
Nachdem sich Perry und Atlan in einem gnadenlosen Zweikampf fast gegenseitig umgebracht haben (Alphatiere halt), werden sie aber schnell zu allerbesten Freunden, gewissermaßen zu Blutsbrüdern. Da haben wir also Old Shatterhand und Winnetou im Weltall, ist das nicht wunderherrlich? Und die beiden haben dank ihrer Zellaktivatoren mittlerweile bereits einige Leser der Serie überlebt und werden das auch künftig tun …

Entschuldigt bitte, wenn es um Perry Rhodan geht, komme ich unweigerlich ins Plappern, da kann ich kaum dagegen ankämpfen. Aber dieser Blog heißt ja DOWNGRADING und das hat seinen Grund. Also aufgepasst!

Irgendwann in der Zeit nach Perry Rhodan-Band 2.000 hatten die Autoren ein Problem. Mittlerweile konnten die Raumschiffe der Menschheit in die entferntesten Galaxien oder auch gleich in ein anderes Universum fliegen, weil die Antriebstechnik entsprechend weit fortgeschritten war. Ja, man hatte die gesamte Technologie in der Serie inzwischen so irre hochgesteigert, dass es kaum mehr Grenzen gab. Und wenn es keine Grenzen mehr gibt und technisch alles möglich ist, als wäre es Zauberei, dann … wird es irgendwann auch etwas langweilig.
Vor allem für die jungen Neuleser, die laufend dazukamen, war es schwierig, nicht nur der komplexen Handlung zu folgen, sondern die Autoren wollten sie nicht auch gleich mit völlig unverständlicher Wundertechnik überfordern.

Man ließ sich daher etwas einfallen: Den abgehobenen Kosmokraten (die allerobersten Herrscher des Universums) wurden die raumfahrenden Völker zu übermütig, weil in ihrer Technologie zu mächtig. Also beschlossen sie, die physikalischen Gegebenheiten im Weltraum zu modifizieren. Und zwar so, dass jegliche Super-Hightech total versagte, dass Reisen in weit entfernte Galaxien ab sofort völlig unmöglich waren — gewissermaßen ein Schritt zurück in die Bronzezeit der Raumfahrt. Dramaturgisches Downgrading, sehr wirkungsvoll.
Es ist ja tatsächlich unterhaltsamer, wenn sich Perry und Atlan in einem schrottigen Raumkreuzer im eigenen Sonnensystem abplagen müssen, als komfortabel per Knopfdruck in zehn Minuten im Andromedanebel landen zu können.

Als ich gestern mit meinem lieben Freund Hans durch die nächtliche Maxvorstadt spazierte, wurde uns bewusst, dass wir in der realen Welt auch gerade ein erstaunliches Downgrading erleben. Einst so selbstverständliche Dinge wie der Besuch eines Friseursalons oder eines Nagelstudios sind jetzt etwas ganz besonders Seltenes und Kostbares geworden. Das Wandeln zwischen den Regalen beim Hagebaumarkt in der Lerchenauerstraße hat sich zu einer Luxusunternehmung erster Güte entwickelt.

Allerdings einen Schweinsbraten IM Augustiner zu verköstigen, ist solch ein unerfüllbares Verlangen geworden, wie die Reise in eine fremde Galaxie. Leibhaftige dreidimensionale Künstler auf einer echten Bühne agieren zu sehen — oder der Eintritt in die heiligen Hallen des Body and Soul-Wellnessbereiches mit seinem großen Swimming-Pool und dem stilvollen Dampfbad: Es gleicht einem fantastischen Trip in ein anderes Universum, ist völlig ausgeschlossen, höchstens erlebbar in einem intensiven Genusstraum.

Unsere Politiker (die allmächtigen Kosmokraten) haben sich das ganz genau überlegt. Um dem deutschen Volk die Dekadenz zu ersparen, die von ständig verfügbaren Luxus- und Kulturgenüssen ausgeht, sind Maßnahmen ergriffen worden, die dem einen Riegel vorschieben. Nur ganz langsam und bedacht wird der deutsche Bürger wieder herangeführt an gewisse nützliche Annehmlichkeiten, wie sich die Haare schneiden oder sich den Schimmelpilz von den Fußsohlen abschaben zu lassen.
Und man zwingt ihn dazu, selbst zu kochen, im ganz kleinen Kreise, dank dem Lockdown ist das jetzt endlich machbar. Ja, es funktioniert: Bescheidene Zufriedenheit stellt sich ein.

Sollten die Aliens Merkel, Söder und Co. aber tatsächlich eines unverhofften Tages bestimmen, dass es wieder möglich sein kann, beispielsweise das Nicht-online-Schuhekaufen zu durchleben, wird der Genuss, die Ekstase und die Dankbarkeit der deutschen Menschen keine Grenzen mehr kennen. Diese werden dann endlich auch das Pulsieren der Lebenssäfte zu schätzen wissen, welches einen durchflutet, wenn man persönlich vor Ort einen Pullover beim C&A anprobiert und erwirbt. Ein solches Pulsieren kann die fette Tante Amazon niemals bewirken.

Und dann werde ich mit Herzenslust einen Spruch zelebrieren, den mir meine liebe Alexandra beigebracht hat, als wir im eiskalten Januar draußen, vor dem Kentucky Fried Chicken-Restaurant, standen und die KFC Filet Bites Hot & Spicy verzehrten:
„Leider geil!“

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