Liebe Leser,

langsam beginne ich mich abzufinden, mit gewissen Tatsachen. So zum Beispiel, dass es auch im Jahre 2021 nicht möglich ist, einen für Apple-Computer (Urvater Steve Jobs) formatierten USB-Stick von einem androidischen PC (Urvater Bill Gates) lesen zu lassen. Das sind zwei völlig unvereinbare Religionen, so wie damals um 800 n. Chr. die Wikinger aus Kattegat mit ihrem uralten Glauben an Odin, Thor und Freya absolut inkompatibel waren mit den Engländern und Franken, die seit ein paar Jahrhunderten erst ihren Jesus Christus und die Dreifaltigkeit hatten.

Ein gewagter Sprung vom USB-Stick zu den heidnischen Nordmännern, ich weiß.
Das liegt daran, dass ich zum einen aktuell verzweifelt und bislang erfolglos versuche, ein selbstgeschnittenes Video im mp4-Format auf eine CD brennen zu lassen, damit ich mir den Film nicht nur am Computerbildschirm anschauen kann, sondern auch auf meinem Fernseher.
Zum anderen ist es so, dass ich mir zur Zeit mit Alexandra die Serie „Vikings“ auf Amazon Prime gebe, Folge für Folge.

Weil meine Herzensdame und ich auch nicht davor zurückschrecken, der grauenhaften nordmännischen Todesstrafe „Blutadler“ beizuwohnen, haben wir mittlerweile die dritte Staffel durch und freuen uns auf die weiteren Abenteuer von Ragnar, Rollo, Floki und natürlich auch der schönen Schildmaid Lagertha. Athelstan, den Sympathieträger, hat man uns mittlerweile genommen — nicht schön ist das, wenn liebgewonnene Protagonisten einfach weggetötet werden.

Natürlich ist „Vikings“ eine große Soap mit allen Ingredenzien, aber man lernt auch was dabei, beispielsweise, dass die todesverachtenden Brutalkrieger im 8. Jahrhundert n. Chr. tatsächlich dabei waren, über den Seine-Zugang Paris zu stürmen. Wusste ich vorher nicht. Was ich allerdings schon wusste, ist die Tatsache, dass sich die Menschen seit Urzeiten ihre Götter genauso hinbiegen, wie sie sie zur Rechtfertigung aller möglichen Gräueltaten brauchen. Da können sich die „Heiden“ und die Christen die Hände reichen, da sind sie alle gleich. Das bringt diese historische Serie wirklich gut rüber.

Weil mich diese Angelegenheit mit dem nervigen USB-Stick und seiner Inkompabilität so furchtbar ärgert, habe ich beschlossen, die digitale Welt zur Abwechslung links liegen zu lassen und mich mehr auf das Analoge zu konzentrieren: analoges Wirken wie bei den ungestümen Nordmännern, jawohl!

Damit will ich ausdrücken, dass ich beim ungenierten dekorativen Ausbau meiner Spur N-Modelleisenbahnanalage völlig darin aufgehe, mir die Fingerkuppen mit extrastarkem Klebestoff zu verhunzen, um 6 Millimeter lange Wildschweine zum aufrechten Stand zu zwingen. Auch das Zusammenlöten von haarfeinen LED-Lampendrähten ist eine erquickliche Herausforderung für meine nervösen Zinklfinger, die es bisher gewohnt waren, bei der Korrektur von kleinen Missgeschicken die „cmd“-Taste in Verbindung mit der „z“-Taste zu betätigen. Zack – und schon ist der Fehler rückgängig gemacht. Nicht so beim Verdrahten von Stromverteilungsplatinen SV 24+2 FDK mit Federschnellanschlussklemmen ohne Schraube. Diesen Platinen ist mit digitalen Befehlen keinesfalls beizukommen, das ist eine ganz neue und aufregende Erfahrung für den Zinkl. 

Und was für eine herzspringende Freude, wenn in Folge einer gelungenen Verdrahtung ein grelles rotes Minilämpchen aufglimmt. Das sind so kleine Orgasmen, die bekommt man nicht am Computer. Aber echt nicht.

Oder wenn sich nach der skeptischen Verlegung von Gleisen und dem zittrigen Anbringen der Fleischmann piccolo Anschlussklemmen und ihrer Kabelverbindung mit dem Trafo tatsächlich die Lok bewegt! Das ist Mystik pur, das ist eigentlich nur dadurch zu erklären, dass einem der Göttervater Odin wohlgesonnen ist. Da werde ich gerne zum Gläubigen. Natürlich könnte das auch Tschisäs bewirkt haben, das will ich gar nicht ausschließen. Mir ist, ehrlich gesagt, völlig gleich, welcher Gott seine Finger mit im Spiel hat. Allerdings gebe ich zu, dass dem Zinkltolpatschhandwerker beim Fluchen ganz traditionsbewusst immer noch das christliche „Zefix“ heraussprudelt, weil mir der markige Auswurf von „Verfluchter Blutadler“ doch nicht so geläufig ist.

Jawohl, gegen alte Gewohnheiten ist nicht leicht anzukommen, deshalb tat sich der historische Mensch ja auch so schwer, seine religiösen Überzeugungen zu wechseln wie das mit Blut verkrustete Beinkleid. Als zu den Wikingern ein junger Christenprediger wanderte und sie umzustimmen versuchte, legte man ihm erstmal ein rotglühendes Eisen in die zarten Handflächen. Weil ihn sein Christengott nicht unversehrt lassen wollte, verloren die harten Nordmänner jeglichen Respekt vor dem laut Jammernden und töteten ihn dann auch noch.

Wenn ich meine kleinen roten und gelben und blauen LED-Glühlämpchen anfasse, sticht es auch ein wenig heiß in die zarten Fingerchen hinein, trotz geringstem Stromflusse. Aber freilich kein Vergleich zu dem, was dem armen Wanderprediger zugemutet worden war.

Ich bin schon froh, dass ich im Jahre 2021 lebe und nicht im Jahre 800. Heutzutage darf man sogar seelenruhig und gefahrlos Atheist sein — eine Denkart, die damals eben völlig undenkbar gewesen ist. Und ich nehme an, es wird schon noch eine andere Erklärung dafür geben, dass die Lok fährt, außer dass es ein Gott veranlasst hat. Aber man darf ja noch staunen dürfen! Und fluchen. Und beten. Alles was hilft.

In diesem Sinne: Frohe Ostern!

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